Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



"so dürre Lippen hat, daß sie das Zahnfleisch kaum
"bedecken, nicht anders, als wenn sie ihm die
"Sonne in den heißen Ländern ausgedörret hätte:
"einen braunen Rock anhabend, und einen bunten
"Halstuch; und an statt des Stockes einen gros-
"sen eichenen Knüppel tragend, der beynahe so
"lang ist, als er selbst."

Wenn dieser Kerl käme, so müßte ihm auf kei-
ne Frage geantwortet werden. Man sollte mich
zu ihm ruffen. Allein meiner Liebsten sollte man
es so lang verborgen halten, als es möglich wä-
re. Wenn ihr Bruder oder Singleton selbst
kämen, und höflich wären, so wollte ich um mei-
ner Liebsten willen auch höflich seyn. Meine
Liebste dürfte alsdenn nur gestehen, daß sie verhey-
rathet sey, so würde von keiner Seiten Anlaß zu
Gewaltthätigkeiten gegeben werden. Allein ich
schwur dabey, so hoch ich konnte: wenn sie mir
mit Gewalt geraubet würde, oder sich überreden
liesse, mit zu gehen, so wollte ich den ersten Tag,
an dem ich sie vermissete, nach ihres Vaters Hau-
se gehen, und sie wieder fordern; und wenn ich die
Schwester nicht wieder bekommen könnte, so
wollte ich den Bruder haben. Jch würde eben
so gut ein Schiff und einen Schiffs-Capitain din-
gen können, als er. Glaubst du, Bruder, daß
sie sich nun unterstehen wird, von mir zu fliehen?

Frau Sinclair fing an, besorgt zu werden,
daß Unglück in ihrem Hause vorgehen könnte:
und ich war besorgt, daß sie der Sache zu viel
thun und sich dabey verrathen möchte. Jch

winckte
K 4



„ſo duͤrre Lippen hat, daß ſie das Zahnfleiſch kaum
„bedecken, nicht anders, als wenn ſie ihm die
„Sonne in den heißen Laͤndern ausgedoͤrret haͤtte:
„einen braunen Rock anhabend, und einen bunten
„Halstuch; und an ſtatt des Stockes einen groſ-
„ſen eichenen Knuͤppel tragend, der beynahe ſo
„lang iſt, als er ſelbſt.„

Wenn dieſer Kerl kaͤme, ſo muͤßte ihm auf kei-
ne Frage geantwortet werden. Man ſollte mich
zu ihm ruffen. Allein meiner Liebſten ſollte man
es ſo lang verborgen halten, als es moͤglich waͤ-
re. Wenn ihr Bruder oder Singleton ſelbſt
kaͤmen, und hoͤflich waͤren, ſo wollte ich um mei-
ner Liebſten willen auch hoͤflich ſeyn. Meine
Liebſte duͤrfte alsdenn nur geſtehen, daß ſie verhey-
rathet ſey, ſo wuͤrde von keiner Seiten Anlaß zu
Gewaltthaͤtigkeiten gegeben werden. Allein ich
ſchwur dabey, ſo hoch ich konnte: wenn ſie mir
mit Gewalt geraubet wuͤrde, oder ſich uͤberreden
lieſſe, mit zu gehen, ſo wollte ich den erſten Tag,
an dem ich ſie vermiſſete, nach ihres Vaters Hau-
ſe gehen, und ſie wieder fordern; und wenn ich die
Schweſter nicht wieder bekommen koͤnnte, ſo
wollte ich den Bruder haben. Jch wuͤrde eben
ſo gut ein Schiff und einen Schiffs-Capitain din-
gen koͤnnen, als er. Glaubſt du, Bruder, daß
ſie ſich nun unterſtehen wird, von mir zu fliehen?

Frau Sinclair fing an, beſorgt zu werden,
daß Ungluͤck in ihrem Hauſe vorgehen koͤnnte:
und ich war beſorgt, daß ſie der Sache zu viel
thun und ſich dabey verrathen moͤchte. Jch

winckte
K 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0157" n="151"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;&#x017F;o du&#x0364;rre Lippen hat, daß &#x017F;ie das Zahnflei&#x017F;ch kaum<lb/>
&#x201E;bedecken, nicht anders, als wenn &#x017F;ie ihm die<lb/>
&#x201E;Sonne in den heißen La&#x0364;ndern ausgedo&#x0364;rret ha&#x0364;tte:<lb/>
&#x201E;einen braunen Rock anhabend, und einen bunten<lb/>
&#x201E;Halstuch; und an &#x017F;tatt des Stockes einen gro&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en eichenen Knu&#x0364;ppel tragend, der beynahe &#x017F;o<lb/>
&#x201E;lang i&#x017F;t, als er &#x017F;elb&#x017F;t.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Wenn die&#x017F;er Kerl ka&#x0364;me, &#x017F;o mu&#x0364;ßte ihm auf kei-<lb/>
ne Frage geantwortet werden. Man &#x017F;ollte mich<lb/>
zu ihm ruffen. Allein meiner Lieb&#x017F;ten &#x017F;ollte man<lb/>
es &#x017F;o lang verborgen halten, als es mo&#x0364;glich wa&#x0364;-<lb/>
re. Wenn ihr Bruder oder <hi rendition="#fr">Singleton</hi> &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ka&#x0364;men, und ho&#x0364;flich wa&#x0364;ren, &#x017F;o wollte ich um mei-<lb/>
ner Lieb&#x017F;ten willen auch ho&#x0364;flich &#x017F;eyn. Meine<lb/>
Lieb&#x017F;te du&#x0364;rfte alsdenn nur ge&#x017F;tehen, daß &#x017F;ie verhey-<lb/>
rathet &#x017F;ey, &#x017F;o wu&#x0364;rde von keiner Seiten Anlaß zu<lb/>
Gewalttha&#x0364;tigkeiten gegeben werden. Allein ich<lb/>
&#x017F;chwur dabey, &#x017F;o hoch ich konnte: wenn &#x017F;ie mir<lb/>
mit Gewalt geraubet wu&#x0364;rde, oder &#x017F;ich u&#x0364;berreden<lb/>
lie&#x017F;&#x017F;e, mit zu gehen, &#x017F;o wollte ich den er&#x017F;ten Tag,<lb/>
an dem ich &#x017F;ie vermi&#x017F;&#x017F;ete, nach ihres Vaters Hau-<lb/>
&#x017F;e gehen, und &#x017F;ie wieder fordern; und wenn ich die<lb/>
Schwe&#x017F;ter nicht wieder bekommen ko&#x0364;nnte, &#x017F;o<lb/>
wollte ich den Bruder haben. Jch wu&#x0364;rde eben<lb/>
&#x017F;o gut ein Schiff und einen Schiffs-Capitain din-<lb/>
gen ko&#x0364;nnen, als er. Glaub&#x017F;t du, Bruder, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich nun unter&#x017F;tehen wird, von mir zu fliehen?</p><lb/>
          <p>Frau <hi rendition="#fr">Sinclair</hi> fing an, be&#x017F;orgt zu werden,<lb/>
daß Unglu&#x0364;ck in ihrem Hau&#x017F;e vorgehen ko&#x0364;nnte:<lb/>
und ich war be&#x017F;orgt, daß &#x017F;ie der Sache zu viel<lb/>
thun und &#x017F;ich dabey verrathen mo&#x0364;chte. Jch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 4</fw><fw place="bottom" type="catch">winckte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0157] „ſo duͤrre Lippen hat, daß ſie das Zahnfleiſch kaum „bedecken, nicht anders, als wenn ſie ihm die „Sonne in den heißen Laͤndern ausgedoͤrret haͤtte: „einen braunen Rock anhabend, und einen bunten „Halstuch; und an ſtatt des Stockes einen groſ- „ſen eichenen Knuͤppel tragend, der beynahe ſo „lang iſt, als er ſelbſt.„ Wenn dieſer Kerl kaͤme, ſo muͤßte ihm auf kei- ne Frage geantwortet werden. Man ſollte mich zu ihm ruffen. Allein meiner Liebſten ſollte man es ſo lang verborgen halten, als es moͤglich waͤ- re. Wenn ihr Bruder oder Singleton ſelbſt kaͤmen, und hoͤflich waͤren, ſo wollte ich um mei- ner Liebſten willen auch hoͤflich ſeyn. Meine Liebſte duͤrfte alsdenn nur geſtehen, daß ſie verhey- rathet ſey, ſo wuͤrde von keiner Seiten Anlaß zu Gewaltthaͤtigkeiten gegeben werden. Allein ich ſchwur dabey, ſo hoch ich konnte: wenn ſie mir mit Gewalt geraubet wuͤrde, oder ſich uͤberreden lieſſe, mit zu gehen, ſo wollte ich den erſten Tag, an dem ich ſie vermiſſete, nach ihres Vaters Hau- ſe gehen, und ſie wieder fordern; und wenn ich die Schweſter nicht wieder bekommen koͤnnte, ſo wollte ich den Bruder haben. Jch wuͤrde eben ſo gut ein Schiff und einen Schiffs-Capitain din- gen koͤnnen, als er. Glaubſt du, Bruder, daß ſie ſich nun unterſtehen wird, von mir zu fliehen? Frau Sinclair fing an, beſorgt zu werden, daß Ungluͤck in ihrem Hauſe vorgehen koͤnnte: und ich war beſorgt, daß ſie der Sache zu viel thun und ſich dabey verrathen moͤchte. Jch winckte K 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/157
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/157>, abgerufen am 22.11.2024.