nen Streit gehabt, und meiner Geliebten das Amt einer Groß-Cantzlerin dabey aufgetragen. Sie gab der Sarah darin Unrecht, daß sie gegen ei- nen, der sie liebet, grausam ist. Das gute Kind stehet vor dem Spiegel, und thut doch die Augen zu, damit es sich nicht kennen möge. Frau Sin- clair hat sich auch ihren unfehlbaren und untrüg- lichen Ausspruch in Absicht auf ihre beyden Ba- sen ausgebeten.
So gut haben wir seit einigen Tagen mit den Leuten in dem Hause gestanden. Allein meine Ge- liebde will doch nicht mit ihnen speisen, und pflegt auch sonst selten in ihre Gesellschaft zu kommen. Sie werden ihrer Art nun gewohnt, und belästi- gen sie nicht durch Bitten, weil wir doch endlich durch Geduld überwinden müssen. Wenn sie zu- sammen kommen, so begegnen beide Theile einan- der sehr höflich. Jch glaube, daß selbst Eheleu- te manchen Streit vermeiden können, wenn sie sich selten zu sehen bekommen.
Mich dünckt, du fragest mich, wie ich selbst mit der Fräulein stehe, seitdem sie an Mittewo- chen früh mich so geschwind verlassen, und meinen Kuß so ungehorsam abgewiesen hat? Es steht gut genug! Recht sehr gut! Das liebe eigensin- nige Kind kann sich selbst nicht helfen: es hat keinen andern Schutz. Es hat auch über dieses mich behorchet, als ich eben denselben Mittewo- chen Nachmittags mit der Frau Sinclair und Jungfer Martin redete. Wer hätte damahls dencken sollen, daß das liebe Kind uns so nahe
wäre?
nen Streit gehabt, und meiner Geliebten das Amt einer Groß-Cantzlerin dabey aufgetragen. Sie gab der Sarah darin Unrecht, daß ſie gegen ei- nen, der ſie liebet, grauſam iſt. Das gute Kind ſtehet vor dem Spiegel, und thut doch die Augen zu, damit es ſich nicht kennen moͤge. Frau Sin- clair hat ſich auch ihren unfehlbaren und untruͤg- lichen Ausſpruch in Abſicht auf ihre beyden Ba- ſen ausgebeten.
So gut haben wir ſeit einigen Tagen mit den Leuten in dem Hauſe geſtanden. Allein meine Ge- liebde will doch nicht mit ihnen ſpeiſen, und pflegt auch ſonſt ſelten in ihre Geſellſchaft zu kommen. Sie werden ihrer Art nun gewohnt, und belaͤſti- gen ſie nicht durch Bitten, weil wir doch endlich durch Geduld uͤberwinden muͤſſen. Wenn ſie zu- ſammen kommen, ſo begegnen beide Theile einan- der ſehr hoͤflich. Jch glaube, daß ſelbſt Eheleu- te manchen Streit vermeiden koͤnnen, wenn ſie ſich ſelten zu ſehen bekommen.
Mich duͤnckt, du frageſt mich, wie ich ſelbſt mit der Fraͤulein ſtehe, ſeitdem ſie an Mittewo- chen fruͤh mich ſo geſchwind verlaſſen, und meinen Kuß ſo ungehorſam abgewieſen hat? Es ſteht gut genug! Recht ſehr gut! Das liebe eigenſin- nige Kind kann ſich ſelbſt nicht helfen: es hat keinen andern Schutz. Es hat auch uͤber dieſes mich behorchet, als ich eben denſelben Mittewo- chen Nachmittags mit der Frau Sinclair und Jungfer Martin redete. Wer haͤtte damahls dencken ſollen, daß das liebe Kind uns ſo nahe
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nen Streit gehabt, und meiner Geliebten das Amt
einer Groß-Cantzlerin dabey aufgetragen. Sie
gab der Sarah darin Unrecht, daß ſie gegen ei-
nen, der ſie liebet, grauſam iſt. Das gute Kind
ſtehet vor dem Spiegel, und thut doch die Augen
zu, damit es ſich nicht kennen moͤge. Frau Sin-
clair hat ſich auch ihren unfehlbaren und untruͤg-
lichen Ausſpruch in Abſicht auf ihre beyden Ba-
ſen ausgebeten.
So gut haben wir ſeit einigen Tagen mit den
Leuten in dem Hauſe geſtanden. Allein meine Ge-
liebde will doch nicht mit ihnen ſpeiſen, und pflegt
auch ſonſt ſelten in ihre Geſellſchaft zu kommen.
Sie werden ihrer Art nun gewohnt, und belaͤſti-
gen ſie nicht durch Bitten, weil wir doch endlich
durch Geduld uͤberwinden muͤſſen. Wenn ſie zu-
ſammen kommen, ſo begegnen beide Theile einan-
der ſehr hoͤflich. Jch glaube, daß ſelbſt Eheleu-
te manchen Streit vermeiden koͤnnen, wenn ſie
ſich ſelten zu ſehen bekommen.
Mich duͤnckt, du frageſt mich, wie ich ſelbſt
mit der Fraͤulein ſtehe, ſeitdem ſie an Mittewo-
chen fruͤh mich ſo geſchwind verlaſſen, und meinen
Kuß ſo ungehorſam abgewieſen hat? Es ſteht
gut genug! Recht ſehr gut! Das liebe eigenſin-
nige Kind kann ſich ſelbſt nicht helfen: es hat
keinen andern Schutz. Es hat auch uͤber dieſes
mich behorchet, als ich eben denſelben Mittewo-
chen Nachmittags mit der Frau Sinclair und
Jungfer Martin redete. Wer haͤtte damahls
dencken ſollen, daß das liebe Kind uns ſo nahe
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/152>, abgerufen am 16.02.2025.
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