"Jch überlege die Sachen von neuen. Wenn ich "erfahren könnte, daß mein liebes Kind einige Briefe "in den Taschen hat, so wollte ich suchen, es in die "Comödie zu bringen. Vielleicht wäre meine Schö- "ne so unglücklich ihre Taschen zu verlieren. Allein "wie soll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas "weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als "ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das "Kammer-Mädchen sie siehet, ist sie schon angeklei- "det. Das ist ein verfluchter Argwohn! warlich "Bruder, wer argwöhnisch ist, der verdient gestraf- "fet zu werden. Wenn ein Mädchen einen ehrli- "chen Kerl für einen Schelm hält, so giebt es ihm "ein Recht ein Schelm zu werden.
"Je mehr ich der Sache nachdencke, desto mehr "kriege ich Lust etwas gegen ihre Taschen zu wagen, "weil dabey die wenigste Gefahr ist. Allein es "können ohnmöglich alle ihre Briefe in den Taschen "stecken, obgleich die Taschen halb so groß sind, als "das Frauenzimmer selbst. Jch glaube, sie tragen "sie an statt des Ballastes, damit der Wind nicht "ihre Cannevassenen Segel ergreiffen, und sie in die "Luft führen möge."
Weil er befürchtet, daß die beyden Fräuleins auf allerhand Anschläge dencken mögten, ihm die Fräulein Harlowe aus den Händen zu bringen, so erzählt er, was er in solchem Falle zu thun gesinnet sey, und rühmet sich, daß er der Dorcas und seinem Wilhelm Summers schon auf alle Fälle Ver- haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha- be sich gegen alle mögliche Unglücks-Fälle vorgesehen:
und
A 5
„Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich „erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe „in den Taſchen hat, ſo wollte ich ſuchen, es in die „Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ- „ne ſo ungluͤcklich ihre Taſchen zu verlieren. Allein „wie ſoll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas „weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als „ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das „Kammer-Maͤdchen ſie ſiehet, iſt ſie ſchon angeklei- „det. Das iſt ein verfluchter Argwohn! warlich „Bruder, wer argwoͤhniſch iſt, der verdient geſtraf- „fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli- „chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, ſo giebt es ihm „ein Recht ein Schelm zu werden.
„Je mehr ich der Sache nachdencke, deſto mehr „kriege ich Luſt etwas gegen ihre Taſchen zu wagen, „weil dabey die wenigſte Gefahr iſt. Allein es „koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taſchen „ſtecken, obgleich die Taſchen halb ſo groß ſind, als „das Frauenzimmer ſelbſt. Jch glaube, ſie tragen „ſie an ſtatt des Ballaſtes, damit der Wind nicht „ihre Cannevaſſenen Segel ergreiffen, und ſie in die „Luft fuͤhren moͤge.„
Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf allerhand Anſchlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein Harlowe aus den Haͤnden zu bringen, ſo erzaͤhlt er, was er in ſolchem Falle zu thun geſinnet ſey, und ruͤhmet ſich, daß er der Dorcas und ſeinem Wilhelm Summers ſchon auf alle Faͤlle Ver- haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha- be ſich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgeſehen:
und
A 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0015"n="9"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>„Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich<lb/>„erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe<lb/>„in den Taſchen hat, ſo wollte ich ſuchen, es in die<lb/>„Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ-<lb/>„ne ſo ungluͤcklich ihre Taſchen zu verlieren. Allein<lb/>„wie ſoll ich das erfahren? Denn ihre <hirendition="#fr">Dorcas</hi><lb/>„weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als<lb/>„ihr <hirendition="#fr">Lovelace.</hi> Ehe der Tag anbricht, ehe das<lb/>„Kammer-Maͤdchen ſie ſiehet, iſt ſie ſchon angeklei-<lb/>„det. Das iſt ein verfluchter Argwohn! warlich<lb/>„Bruder, wer argwoͤhniſch iſt, der verdient geſtraf-<lb/>„fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli-<lb/>„chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, ſo giebt es ihm<lb/>„ein Recht ein Schelm zu werden.</p><lb/><p>„Je mehr ich der Sache nachdencke, deſto mehr<lb/>„kriege ich Luſt etwas gegen ihre Taſchen zu wagen,<lb/>„weil dabey die wenigſte Gefahr iſt. Allein es<lb/>„koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taſchen<lb/>„ſtecken, obgleich die Taſchen halb ſo groß ſind, als<lb/>„das Frauenzimmer ſelbſt. Jch glaube, ſie tragen<lb/>„ſie an ſtatt des Ballaſtes, damit der Wind nicht<lb/>„ihre Cannevaſſenen Segel ergreiffen, und ſie in die<lb/>„Luft fuͤhren moͤge.„</p><lb/><p>Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf<lb/>
allerhand Anſchlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein<lb/><hirendition="#fr">Harlowe</hi> aus den Haͤnden zu bringen, ſo erzaͤhlt<lb/>
er, was er in ſolchem Falle zu thun geſinnet ſey,<lb/>
und ruͤhmet ſich, daß er der <hirendition="#fr">Dorcas</hi> und ſeinem<lb/><hirendition="#fr">Wilhelm Summers</hi>ſchon auf alle Faͤlle Ver-<lb/>
haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha-<lb/>
be ſich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgeſehen:<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[9/0015]
„Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich
„erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe
„in den Taſchen hat, ſo wollte ich ſuchen, es in die
„Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ-
„ne ſo ungluͤcklich ihre Taſchen zu verlieren. Allein
„wie ſoll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas
„weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als
„ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das
„Kammer-Maͤdchen ſie ſiehet, iſt ſie ſchon angeklei-
„det. Das iſt ein verfluchter Argwohn! warlich
„Bruder, wer argwoͤhniſch iſt, der verdient geſtraf-
„fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli-
„chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, ſo giebt es ihm
„ein Recht ein Schelm zu werden.
„Je mehr ich der Sache nachdencke, deſto mehr
„kriege ich Luſt etwas gegen ihre Taſchen zu wagen,
„weil dabey die wenigſte Gefahr iſt. Allein es
„koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taſchen
„ſtecken, obgleich die Taſchen halb ſo groß ſind, als
„das Frauenzimmer ſelbſt. Jch glaube, ſie tragen
„ſie an ſtatt des Ballaſtes, damit der Wind nicht
„ihre Cannevaſſenen Segel ergreiffen, und ſie in die
„Luft fuͤhren moͤge.„
Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf
allerhand Anſchlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein
Harlowe aus den Haͤnden zu bringen, ſo erzaͤhlt
er, was er in ſolchem Falle zu thun geſinnet ſey,
und ruͤhmet ſich, daß er der Dorcas und ſeinem
Wilhelm Summers ſchon auf alle Faͤlle Ver-
haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha-
be ſich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgeſehen:
und
A 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/15>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.