dieses bey jedem Verdachte thun, oder wenn ich ihrer überdrüßig bin, und eine andere mir besser gefällt.
Was müßte der aber für ein Unmensch seyn, der ein Frauenzimmer, welches er verführet hat, (denn von Gassenhuren reden wir nicht) ohne wichtige Ursachen wegjagen kann? ohne eine Ur- sache, die in seinen Augen, und in den Augen der Welt und des unglücklichen Frauenzimmers selbst gültiger ist, als diese, daß ihn die Gesetze nicht ab- halten, und daß er Lust hat, eine andere eben so unglücklich zu machen?
Wenn ich nicht von dem rede, was in einer andern Welt geschehen möchte, sondern auf das sehe: was wircklich geschiehet, und wie sich alle die aufführen, die Maitressen halten, so dünckt mich nicht, daß man eine Maitresse so leichte loß wird.
Man kann weiter nichts sagen, als: wir können sie wegjagen, wenn wir wollen. Und eben diese Gewalt macht, das wir manches von einer Maitresse leiden, daß wir einer Frau nicht zu gute halten würden. Wenn wir Menschen sind: wenn das Frauenzimmer listig ist: (und welchem Frauenzimmer fehlet es an List, wenn es durch List überwunden ist, und ohne List sich nicht in seinen jetzigen Umständen erhalten kann?) wenn wir unsere Maitresse nach uns haben nennen lassen: wenn wir an einem gewissen Or- te wohnen, und in ihrer Gesellschaft Besuch an- genommen, und sie für unsre Frau ausgegeben ha-
ben:
J 4
dieſes bey jedem Verdachte thun, oder wenn ich ihrer uͤberdruͤßig bin, und eine andere mir beſſer gefaͤllt.
Was muͤßte der aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn, der ein Frauenzimmer, welches er verfuͤhret hat, (denn von Gaſſenhuren reden wir nicht) ohne wichtige Urſachen wegjagen kann? ohne eine Ur- ſache, die in ſeinen Augen, und in den Augen der Welt und des ungluͤcklichen Frauenzimmers ſelbſt guͤltiger iſt, als dieſe, daß ihn die Geſetze nicht ab- halten, und daß er Luſt hat, eine andere eben ſo ungluͤcklich zu machen?
Wenn ich nicht von dem rede, was in einer andern Welt geſchehen moͤchte, ſondern auf das ſehe: was wircklich geſchiehet, und wie ſich alle die auffuͤhren, die Maitreſſen halten, ſo duͤnckt mich nicht, daß man eine Maitreſſe ſo leichte loß wird.
Man kann weiter nichts ſagen, als: wir koͤnnen ſie wegjagen, wenn wir wollen. Und eben dieſe Gewalt macht, das wir manches von einer Maitreſſe leiden, daß wir einer Frau nicht zu gute halten wuͤrden. Wenn wir Menſchen ſind: wenn das Frauenzimmer liſtig iſt: (und welchem Frauenzimmer fehlet es an Liſt, wenn es durch Liſt uͤberwunden iſt, und ohne Liſt ſich nicht in ſeinen jetzigen Umſtaͤnden erhalten kann?) wenn wir unſere Maitreſſe nach uns haben nennen laſſen: wenn wir an einem gewiſſen Or- te wohnen, und in ihrer Geſellſchaft Beſuch an- genommen, und ſie fuͤr unſre Frau ausgegeben ha-
ben:
J 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0141"n="135"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
dieſes bey jedem Verdachte thun, oder wenn ich<lb/>
ihrer uͤberdruͤßig bin, und eine andere mir beſſer<lb/>
gefaͤllt.</p><lb/><p>Was muͤßte der aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn,<lb/>
der ein Frauenzimmer, welches er verfuͤhret hat,<lb/>
(denn von Gaſſenhuren reden wir nicht) ohne<lb/>
wichtige Urſachen wegjagen kann? ohne eine Ur-<lb/>ſache, die in ſeinen Augen, und in den Augen der<lb/>
Welt und des ungluͤcklichen Frauenzimmers ſelbſt<lb/>
guͤltiger iſt, als dieſe, daß ihn die Geſetze nicht ab-<lb/>
halten, und daß er Luſt hat, eine andere eben ſo<lb/>
ungluͤcklich zu machen?</p><lb/><p>Wenn ich nicht von dem rede, was in einer<lb/>
andern Welt geſchehen moͤchte, ſondern auf das<lb/>ſehe: was wircklich geſchiehet, und wie ſich alle<lb/>
die auffuͤhren, die Maitreſſen halten, ſo duͤnckt<lb/>
mich nicht, daß man eine Maitreſſe ſo leichte loß<lb/>
wird.</p><lb/><p>Man kann weiter nichts ſagen, als: wir<lb/>
koͤnnen ſie wegjagen, wenn wir <hirendition="#fr">wollen.</hi> Und<lb/>
eben dieſe Gewalt macht, das wir manches von<lb/>
einer Maitreſſe leiden, daß wir einer Frau nicht<lb/>
zu gute halten wuͤrden. Wenn wir Menſchen<lb/>ſind: wenn das Frauenzimmer liſtig iſt: (und<lb/>
welchem Frauenzimmer fehlet es an Liſt, wenn<lb/>
es durch Liſt uͤberwunden iſt, und ohne Liſt ſich<lb/>
nicht in ſeinen jetzigen Umſtaͤnden erhalten kann?)<lb/>
wenn wir unſere Maitreſſe nach uns haben<lb/>
nennen laſſen: wenn wir an einem gewiſſen Or-<lb/>
te wohnen, und in ihrer Geſellſchaft Beſuch an-<lb/>
genommen, und ſie fuͤr unſre Frau ausgegeben ha-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ben:</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[135/0141]
dieſes bey jedem Verdachte thun, oder wenn ich
ihrer uͤberdruͤßig bin, und eine andere mir beſſer
gefaͤllt.
Was muͤßte der aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn,
der ein Frauenzimmer, welches er verfuͤhret hat,
(denn von Gaſſenhuren reden wir nicht) ohne
wichtige Urſachen wegjagen kann? ohne eine Ur-
ſache, die in ſeinen Augen, und in den Augen der
Welt und des ungluͤcklichen Frauenzimmers ſelbſt
guͤltiger iſt, als dieſe, daß ihn die Geſetze nicht ab-
halten, und daß er Luſt hat, eine andere eben ſo
ungluͤcklich zu machen?
Wenn ich nicht von dem rede, was in einer
andern Welt geſchehen moͤchte, ſondern auf das
ſehe: was wircklich geſchiehet, und wie ſich alle
die auffuͤhren, die Maitreſſen halten, ſo duͤnckt
mich nicht, daß man eine Maitreſſe ſo leichte loß
wird.
Man kann weiter nichts ſagen, als: wir
koͤnnen ſie wegjagen, wenn wir wollen. Und
eben dieſe Gewalt macht, das wir manches von
einer Maitreſſe leiden, daß wir einer Frau nicht
zu gute halten wuͤrden. Wenn wir Menſchen
ſind: wenn das Frauenzimmer liſtig iſt: (und
welchem Frauenzimmer fehlet es an Liſt, wenn
es durch Liſt uͤberwunden iſt, und ohne Liſt ſich
nicht in ſeinen jetzigen Umſtaͤnden erhalten kann?)
wenn wir unſere Maitreſſe nach uns haben
nennen laſſen: wenn wir an einem gewiſſen Or-
te wohnen, und in ihrer Geſellſchaft Beſuch an-
genommen, und ſie fuͤr unſre Frau ausgegeben ha-
ben:
J 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/141>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.