als Gliedern der bürgerlichen Gesellschaft ob- liegen.
Wir besitzen unsere Güter als rechtmäßige Kinder unserer Vorfahren. Wie würde es uns gefallen, wenn wir solche nackte Kerls wären, als wir nothwendig seyn müßtzten, wenn unsere Väter eben so klug gewesen wären, als wir seyn wollen, und wenn ihnen der Ehestand eben so verächtlich gewesen wäre? Sollen wir nicht eben so gut für unsere Nachkommen sorgen, da wir die Vorsorge unserer Väter für uns mit Danck erkennen?
Dieser Einfall schmeckt dir vielleicht allzusehr nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle- gen, das uns mehr rühret. Wie können wir Sparsamkeit und gute Haushaltung von denen Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem unsrigen nicht verbunden ist? Müssen wir nicht zum voraus denken, daß sie unser Vermögen ver- schwenden werden? - - Sie wissen, daß ihr An- theil an uns sehr ungewiß ist, weil wir veränder- lich, und heute so, morgen anders sind. Wenn nun diese Huren nicht in den Tag hinein leben, sondern auf das Künftige dencken, so müssen sie nothwendig etwas auf den Winter zu sammlen su- chen, wo es in ihrem Vermögen stehet: ist aber dieses nicht, so werden sie verschwenden helfen, so viel sie können, weil nichts als die jetzige Stunde ihnen gehöret. Jhre Lebensart, und das, was sie uns aufgeopfert haben, machen, daß sie weder an Ehre noch Gewissen dencken können.
Eine
als Gliedern der buͤrgerlichen Geſellſchaft ob- liegen.
Wir beſitzen unſere Guͤter als rechtmaͤßige Kinder unſerer Vorfahren. Wie wuͤrde es uns gefallen, wenn wir ſolche nackte Kerls waͤren, als wir nothwendig ſeyn muͤßtzten, wenn unſere Vaͤter eben ſo klug geweſen waͤren, als wir ſeyn wollen, und wenn ihnen der Eheſtand eben ſo veraͤchtlich geweſen waͤre? Sollen wir nicht eben ſo gut fuͤr unſere Nachkommen ſorgen, da wir die Vorſorge unſerer Vaͤter fuͤr uns mit Danck erkennen?
Dieſer Einfall ſchmeckt dir vielleicht allzuſehr nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle- gen, das uns mehr ruͤhret. Wie koͤnnen wir Sparſamkeit und gute Haushaltung von denen Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem unſrigen nicht verbunden iſt? Muͤſſen wir nicht zum voraus denken, daß ſie unſer Vermoͤgen ver- ſchwenden werden? ‒ ‒ Sie wiſſen, daß ihr An- theil an uns ſehr ungewiß iſt, weil wir veraͤnder- lich, und heute ſo, morgen anders ſind. Wenn nun dieſe Huren nicht in den Tag hinein leben, ſondern auf das Kuͤnftige dencken, ſo muͤſſen ſie nothwendig etwas auf den Winter zu ſammlen ſu- chen, wo es in ihrem Vermoͤgen ſtehet: iſt aber dieſes nicht, ſo werden ſie verſchwenden helfen, ſo viel ſie koͤnnen, weil nichts als die jetzige Stunde ihnen gehoͤret. Jhre Lebensart, und das, was ſie uns aufgeopfert haben, machen, daß ſie weder an Ehre noch Gewiſſen dencken koͤnnen.
Eine
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als Gliedern der buͤrgerlichen Geſellſchaft ob-
liegen.
Wir beſitzen unſere Guͤter als rechtmaͤßige
Kinder unſerer Vorfahren. Wie wuͤrde es uns
gefallen, wenn wir ſolche nackte Kerls waͤren, als
wir nothwendig ſeyn muͤßtzten, wenn unſere Vaͤter
eben ſo klug geweſen waͤren, als wir ſeyn wollen,
und wenn ihnen der Eheſtand eben ſo veraͤchtlich
geweſen waͤre? Sollen wir nicht eben ſo gut fuͤr
unſere Nachkommen ſorgen, da wir die Vorſorge
unſerer Vaͤter fuͤr uns mit Danck erkennen?
Dieſer Einfall ſchmeckt dir vielleicht allzuſehr
nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle-
gen, das uns mehr ruͤhret. Wie koͤnnen wir
Sparſamkeit und gute Haushaltung von denen
Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem
unſrigen nicht verbunden iſt? Muͤſſen wir nicht
zum voraus denken, daß ſie unſer Vermoͤgen ver-
ſchwenden werden? ‒ ‒ Sie wiſſen, daß ihr An-
theil an uns ſehr ungewiß iſt, weil wir veraͤnder-
lich, und heute ſo, morgen anders ſind. Wenn
nun dieſe Huren nicht in den Tag hinein leben,
ſondern auf das Kuͤnftige dencken, ſo muͤſſen ſie
nothwendig etwas auf den Winter zu ſammlen ſu-
chen, wo es in ihrem Vermoͤgen ſtehet: iſt aber
dieſes nicht, ſo werden ſie verſchwenden helfen, ſo
viel ſie koͤnnen, weil nichts als die jetzige Stunde
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an Ehre noch Gewiſſen dencken koͤnnen.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/138>, abgerufen am 25.11.2024.
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