lange willst du ein so unvergleichliches Frauenzim- mer schimpfen, als wenn es in der Versuchung nicht bestehen würde? So oft du einen Brief schreibest, so giebst du vor, sie würde und müßte überwun- den werden, weil sie so sehr verstricket sey: und dennoch ist es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun- de und Vertheidiger macht.
Nennest du mich ein Werckzeug des verächt- lichen Jäckel Harlowes? Wie fluche ich auf dich! ein Werckzeug des Bruders! der Schwester! allein gieb auf das Ende Achtung, so wirst du sehen, was aus dem Bruder und aus der Schwester wer- den soll.
Gebrauche dich meiner sinnlichen Schwachhei- ten nicht gegen mich, wenn ich sie dir bekenne. Diese sinnlichen Schwachheiten sind eine Widerlegung dessen, was du von meinem fühllosen Hertze schreibst, und du wüßtest nicht einmahl etwas davon, wenn ich es dir nicht gemeldet hätte.
Du bleibst immer bey dem alten Liede: wenn ich eine so ungemein tugendhafte Person ver- führte - - bald behauptest du, daß die allerreine- ste Tugend nicht sicher ist, so bald es Leute giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und mit ihren Eydschwüren und Gelübden einen Schertz treiben. Dencke nur, einfältiger Kerl, was würde das für eine Tugend seyn, die sich ohne Eydschwüre überwinden liesse? Jst nicht die Welt gantz voll von dergleichen Betrügereyen? Sind nicht die Eydschwüre der Verliebten gemeiniglich ein Ball, damit gespielet wird? Bestehet nicht ein
noth-
H 5
lange willſt du ein ſo unvergleichliches Frauenzim- mer ſchimpfen, als wenn es in der Verſuchung nicht beſtehen wuͤrde? So oft du einen Brief ſchreibeſt, ſo giebſt du vor, ſie wuͤrde und muͤßte uͤberwun- den werden, weil ſie ſo ſehr verſtricket ſey: und dennoch iſt es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun- de und Vertheidiger macht.
Nenneſt du mich ein Werckzeug des veraͤcht- lichen Jaͤckel Harlowes? Wie fluche ich auf dich! ein Werckzeug des Bruders! der Schweſter! allein gieb auf das Ende Achtung, ſo wirſt du ſehen, was aus dem Bruder und aus der Schweſter wer- den ſoll.
Gebrauche dich meiner ſinnlichen Schwachhei- ten nicht gegen mich, wenn ich ſie dir bekenne. Dieſe ſinnlichen Schwachheiten ſind eine Widerlegung deſſen, was du von meinem fuͤhlloſen Hertze ſchreibſt, und du wuͤßteſt nicht einmahl etwas davon, wenn ich es dir nicht gemeldet haͤtte.
Du bleibſt immer bey dem alten Liede: wenn ich eine ſo ungemein tugendhafte Perſon ver- fuͤhrte ‒ ‒ bald behaupteſt du, daß die allerreine- ſte Tugend nicht ſicher iſt, ſo bald es Leute giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und mit ihren Eydſchwuͤren und Geluͤbden einen Schertz treiben. Dencke nur, einfaͤltiger Kerl, was wuͤrde das fuͤr eine Tugend ſeyn, die ſich ohne Eydſchwuͤre uͤberwinden lieſſe? Jſt nicht die Welt gantz voll von dergleichen Betruͤgereyen? Sind nicht die Eydſchwuͤre der Verliebten gemeiniglich ein Ball, damit geſpielet wird? Beſtehet nicht ein
noth-
H 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0127"n="121"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
lange willſt du ein ſo unvergleichliches Frauenzim-<lb/>
mer ſchimpfen, als wenn es in der Verſuchung nicht<lb/>
beſtehen wuͤrde? So oft du einen Brief ſchreibeſt,<lb/>ſo giebſt du vor, ſie wuͤrde und muͤßte uͤberwun-<lb/>
den werden, weil ſie ſo ſehr verſtricket ſey: und<lb/>
dennoch iſt es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun-<lb/>
de und Vertheidiger macht.</p><lb/><p>Nenneſt du mich ein <hirendition="#fr">Werckzeug</hi> des <hirendition="#fr">veraͤcht-<lb/>
lichen Jaͤckel Harlowes?</hi> Wie fluche ich auf<lb/>
dich! ein Werckzeug des Bruders! der Schweſter!<lb/>
allein gieb auf das Ende Achtung, ſo wirſt du ſehen,<lb/>
was aus dem Bruder und aus der Schweſter wer-<lb/>
den ſoll.</p><lb/><p>Gebrauche dich meiner ſinnlichen Schwachhei-<lb/>
ten nicht gegen mich, wenn ich ſie dir bekenne. Dieſe<lb/>ſinnlichen Schwachheiten ſind eine Widerlegung<lb/>
deſſen, was du von meinem fuͤhlloſen Hertze ſchreibſt,<lb/>
und du wuͤßteſt nicht einmahl etwas davon, wenn ich<lb/>
es dir nicht gemeldet haͤtte.</p><lb/><p>Du bleibſt immer bey dem alten Liede: <hirendition="#fr">wenn<lb/>
ich eine ſo ungemein tugendhafte Perſon ver-<lb/>
fuͤhrte</hi>‒‒ bald behaupteſt du, <hirendition="#fr">daß die allerreine-<lb/>ſte Tugend nicht ſicher iſt, ſo bald es Leute<lb/>
giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und<lb/>
mit ihren Eydſchwuͤren und Geluͤbden einen<lb/>
Schertz treiben.</hi> Dencke nur, einfaͤltiger Kerl,<lb/>
was wuͤrde das fuͤr eine Tugend ſeyn, die ſich ohne<lb/>
Eydſchwuͤre uͤberwinden lieſſe? Jſt nicht die Welt<lb/>
gantz voll von dergleichen Betruͤgereyen? Sind<lb/>
nicht die Eydſchwuͤre der Verliebten gemeiniglich ein<lb/>
Ball, damit geſpielet wird? Beſtehet nicht ein<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">noth-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[121/0127]
lange willſt du ein ſo unvergleichliches Frauenzim-
mer ſchimpfen, als wenn es in der Verſuchung nicht
beſtehen wuͤrde? So oft du einen Brief ſchreibeſt,
ſo giebſt du vor, ſie wuͤrde und muͤßte uͤberwun-
den werden, weil ſie ſo ſehr verſtricket ſey: und
dennoch iſt es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun-
de und Vertheidiger macht.
Nenneſt du mich ein Werckzeug des veraͤcht-
lichen Jaͤckel Harlowes? Wie fluche ich auf
dich! ein Werckzeug des Bruders! der Schweſter!
allein gieb auf das Ende Achtung, ſo wirſt du ſehen,
was aus dem Bruder und aus der Schweſter wer-
den ſoll.
Gebrauche dich meiner ſinnlichen Schwachhei-
ten nicht gegen mich, wenn ich ſie dir bekenne. Dieſe
ſinnlichen Schwachheiten ſind eine Widerlegung
deſſen, was du von meinem fuͤhlloſen Hertze ſchreibſt,
und du wuͤßteſt nicht einmahl etwas davon, wenn ich
es dir nicht gemeldet haͤtte.
Du bleibſt immer bey dem alten Liede: wenn
ich eine ſo ungemein tugendhafte Perſon ver-
fuͤhrte ‒ ‒ bald behaupteſt du, daß die allerreine-
ſte Tugend nicht ſicher iſt, ſo bald es Leute
giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und
mit ihren Eydſchwuͤren und Geluͤbden einen
Schertz treiben. Dencke nur, einfaͤltiger Kerl,
was wuͤrde das fuͤr eine Tugend ſeyn, die ſich ohne
Eydſchwuͤre uͤberwinden lieſſe? Jſt nicht die Welt
gantz voll von dergleichen Betruͤgereyen? Sind
nicht die Eydſchwuͤre der Verliebten gemeiniglich ein
Ball, damit geſpielet wird? Beſtehet nicht ein
noth-
H 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/127>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.