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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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wollte wünschen, daß zum wenigsten dieses mahl
Jhre Schmeicheley wahr seyn möchte.

Jch bitte dich noch einmahl Lovelace, überlege
die ungemeinen Vorzüge der Fräulein, ehe es zu
späte, und ehe du die Tod-Sünde begangen hast.
Dein Gewissen mahnet dich so oft um deine Pflicht:
laß es einmahl recht ausreden. Gieb nicht zu, daß
dein Hochmuth und dein wildes Hertz alle deine
künftige Hoffnung vereitele. Wahrhaftig, es ist
nichts als Eitelkeit, Einbildung und Thorheit mit
allen unsern wilden Einfällen. Mit dem Alter
werden wir klüger werden: und wenn wir auf un-
sere Jugend zurück dencken, nachdem die Hitze ver-
flogen ist, so werden wir uns selbst unserer Thorheit
wegen verachten, so oft uns die Partheyen bey-
fallen, von denen wir Ehre gehabt hätten, und die
wir hätten wählen können. Deine Reue wird die
empfindlichste seyn, wenn du dir ein so unvergleich-
liches Wunder aus der Hand gleiten läßt: ein sol-
ches Wunder, das von der Wiege an unbefleckt ist,
und das in allen seinen Handlungen und Neigungen
sich selbsten gleich und unveränderlich edel ist. Ein
solches Kind, das gegen den unvernünftigen Va-
ter seine Pflichten ohne Belohnung auch ohnausge-
setzt erfüllet, muß gewiß die allerbeste Frau in der
Welt seyn, und den Mann glücklich machen, der die
Ehre hat es die Seinige zu nennen.

Bedencke, wie viel die Fräulein um deinetwillen
gelitten hat. Zu eben der Zeit, da du alle Künste
anwendest, sie unglücklich zu machen, (zum wenig-
sten so wie sie und die Welt das Wort unglücklich

ver-



wollte wuͤnſchen, daß zum wenigſten dieſes mahl
Jhre Schmeicheley wahr ſeyn moͤchte.

Jch bitte dich noch einmahl Lovelace, uͤberlege
die ungemeinen Vorzuͤge der Fraͤulein, ehe es zu
ſpaͤte, und ehe du die Tod-Suͤnde begangen haſt.
Dein Gewiſſen mahnet dich ſo oft um deine Pflicht:
laß es einmahl recht ausreden. Gieb nicht zu, daß
dein Hochmuth und dein wildes Hertz alle deine
kuͤnftige Hoffnung vereitele. Wahrhaftig, es iſt
nichts als Eitelkeit, Einbildung und Thorheit mit
allen unſern wilden Einfaͤllen. Mit dem Alter
werden wir kluͤger werden: und wenn wir auf un-
ſere Jugend zuruͤck dencken, nachdem die Hitze ver-
flogen iſt, ſo werden wir uns ſelbſt unſerer Thorheit
wegen verachten, ſo oft uns die Partheyen bey-
fallen, von denen wir Ehre gehabt haͤtten, und die
wir haͤtten waͤhlen koͤnnen. Deine Reue wird die
empfindlichſte ſeyn, wenn du dir ein ſo unvergleich-
liches Wunder aus der Hand gleiten laͤßt: ein ſol-
ches Wunder, das von der Wiege an unbefleckt iſt,
und das in allen ſeinen Handlungen und Neigungen
ſich ſelbſten gleich und unveraͤnderlich edel iſt. Ein
ſolches Kind, das gegen den unvernuͤnftigen Va-
ter ſeine Pflichten ohne Belohnung auch ohnausge-
ſetzt erfuͤllet, muß gewiß die allerbeſte Frau in der
Welt ſeyn, und den Mann gluͤcklich machen, der die
Ehre hat es die Seinige zu nennen.

Bedencke, wie viel die Fraͤulein um deinetwillen
gelitten hat. Zu eben der Zeit, da du alle Kuͤnſte
anwendeſt, ſie ungluͤcklich zu machen, (zum wenig-
ſten ſo wie ſie und die Welt das Wort ungluͤcklich

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[109/0115] wollte wuͤnſchen, daß zum wenigſten dieſes mahl Jhre Schmeicheley wahr ſeyn moͤchte. Jch bitte dich noch einmahl Lovelace, uͤberlege die ungemeinen Vorzuͤge der Fraͤulein, ehe es zu ſpaͤte, und ehe du die Tod-Suͤnde begangen haſt. Dein Gewiſſen mahnet dich ſo oft um deine Pflicht: laß es einmahl recht ausreden. Gieb nicht zu, daß dein Hochmuth und dein wildes Hertz alle deine kuͤnftige Hoffnung vereitele. Wahrhaftig, es iſt nichts als Eitelkeit, Einbildung und Thorheit mit allen unſern wilden Einfaͤllen. Mit dem Alter werden wir kluͤger werden: und wenn wir auf un- ſere Jugend zuruͤck dencken, nachdem die Hitze ver- flogen iſt, ſo werden wir uns ſelbſt unſerer Thorheit wegen verachten, ſo oft uns die Partheyen bey- fallen, von denen wir Ehre gehabt haͤtten, und die wir haͤtten waͤhlen koͤnnen. Deine Reue wird die empfindlichſte ſeyn, wenn du dir ein ſo unvergleich- liches Wunder aus der Hand gleiten laͤßt: ein ſol- ches Wunder, das von der Wiege an unbefleckt iſt, und das in allen ſeinen Handlungen und Neigungen ſich ſelbſten gleich und unveraͤnderlich edel iſt. Ein ſolches Kind, das gegen den unvernuͤnftigen Va- ter ſeine Pflichten ohne Belohnung auch ohnausge- ſetzt erfuͤllet, muß gewiß die allerbeſte Frau in der Welt ſeyn, und den Mann gluͤcklich machen, der die Ehre hat es die Seinige zu nennen. Bedencke, wie viel die Fraͤulein um deinetwillen gelitten hat. Zu eben der Zeit, da du alle Kuͤnſte anwendeſt, ſie ungluͤcklich zu machen, (zum wenig- ſten ſo wie ſie und die Welt das Wort ungluͤcklich ver-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/115>, abgerufen am 24.11.2024.