Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Er hatte die Vorsichtigkeit gehabt, auf die ich
nicht gedacht hatte, (denn was sollte ich jetzt vor-
sichtig seyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache
nicht gewesen war) mir eine sammtene Kappe, und
ein artiges Mäntelchen mit Silber besetzt ohne
mein Wissen einzukauffen. Der listige Mensch
sagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan-
tin von ihr, und der Mägde: er wollte sich die
Belohnung vor seine Vorsorge nehmen, und seiner
schönen mürrischen Schwester ein Mäulchen steh-
len. Er nahm sich auch in der That seinen Lohn,
und (wie er sagte) mit demselben eine Thräne. Er
versicherte mir in aller Gegenwart (der garstige
Mensch!) ich dürfte mich nicht vor meinen Eltern
fürchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es
mir möglich, mein Schatz, einem solchen Mann
freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort
auf der Zunge schwebte?

Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich
etwas dagegen hätte, daß wir auf das Gut in der
Grafschaft Hertford führen? der Lord M. halte
sich jetzt in der Grafschaft Berck auf.

Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem
von seinen Verwanten reisen; denn das würde of-
fenbar lassen, als wenn ich in meine Verwanten
ein Mistrauen setzte. Wenn ich meiner eigenen
Wahl folgen dürfte, so sehnete ich mich nach einem
Aufenthalt, da ich verborgen und für mich seyn
könnte, und er sollte mich so lange verlassen, bis
ich hörte, wie es bey meinen Freunden aussähe.
Jch hätte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer

Aus-
E 4


Er hatte die Vorſichtigkeit gehabt, auf die ich
nicht gedacht hatte, (denn was ſollte ich jetzt vor-
ſichtig ſeyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache
nicht geweſen war) mir eine ſammtene Kappe, und
ein artiges Maͤntelchen mit Silber beſetzt ohne
mein Wiſſen einzukauffen. Der liſtige Menſch
ſagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan-
tin von ihr, und der Maͤgde: er wollte ſich die
Belohnung vor ſeine Vorſorge nehmen, und ſeiner
ſchoͤnen muͤrriſchen Schweſter ein Maͤulchen ſteh-
len. Er nahm ſich auch in der That ſeinen Lohn,
und (wie er ſagte) mit demſelben eine Thraͤne. Er
verſicherte mir in aller Gegenwart (der garſtige
Menſch!) ich duͤrfte mich nicht vor meinen Eltern
fuͤrchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es
mir moͤglich, mein Schatz, einem ſolchen Mann
freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort
auf der Zunge ſchwebte?

Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich
etwas dagegen haͤtte, daß wir auf das Gut in der
Grafſchaft Hertford fuͤhren? der Lord M. halte
ſich jetzt in der Grafſchaft Berck auf.

Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem
von ſeinen Verwanten reiſen; denn das wuͤrde of-
fenbar laſſen, als wenn ich in meine Verwanten
ein Mistrauen ſetzte. Wenn ich meiner eigenen
Wahl folgen duͤrfte, ſo ſehnete ich mich nach einem
Aufenthalt, da ich verborgen und fuͤr mich ſeyn
koͤnnte, und er ſollte mich ſo lange verlaſſen, bis
ich hoͤrte, wie es bey meinen Freunden ausſaͤhe.
Jch haͤtte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer

Aus-
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0085" n="71"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Er hatte die Vor&#x017F;ichtigkeit gehabt, auf die ich<lb/>
nicht gedacht hatte, (denn was &#x017F;ollte ich jetzt vor-<lb/>
&#x017F;ichtig &#x017F;eyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache<lb/>
nicht gewe&#x017F;en war) mir eine &#x017F;ammtene Kappe, und<lb/>
ein artiges Ma&#x0364;ntelchen mit Silber be&#x017F;etzt ohne<lb/>
mein Wi&#x017F;&#x017F;en einzukauffen. Der li&#x017F;tige Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;agte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan-<lb/>
tin von ihr, und der Ma&#x0364;gde: er wollte &#x017F;ich die<lb/>
Belohnung vor &#x017F;eine Vor&#x017F;orge nehmen, und &#x017F;einer<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen mu&#x0364;rri&#x017F;chen Schwe&#x017F;ter ein Ma&#x0364;ulchen &#x017F;teh-<lb/>
len. Er nahm &#x017F;ich auch in der That &#x017F;einen Lohn,<lb/>
und (wie er &#x017F;agte) mit dem&#x017F;elben eine Thra&#x0364;ne. Er<lb/>
ver&#x017F;icherte mir in aller Gegenwart (der gar&#x017F;tige<lb/>
Men&#x017F;ch!) ich du&#x0364;rfte mich nicht vor meinen Eltern<lb/>
fu&#x0364;rchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es<lb/>
mir mo&#x0364;glich, mein Schatz, einem &#x017F;olchen Mann<lb/>
freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort<lb/>
auf der Zunge &#x017F;chwebte?</p><lb/>
          <p>Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich<lb/>
etwas dagegen ha&#x0364;tte, daß wir auf das Gut in der<lb/>
Graf&#x017F;chaft Hertford fu&#x0364;hren? der <hi rendition="#fr">Lord</hi> M. halte<lb/>
&#x017F;ich jetzt in der Graf&#x017F;chaft Berck auf.</p><lb/>
          <p>Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem<lb/>
von &#x017F;einen Verwanten rei&#x017F;en; denn das wu&#x0364;rde of-<lb/>
fenbar la&#x017F;&#x017F;en, als wenn ich in meine Verwanten<lb/>
ein Mistrauen &#x017F;etzte. Wenn ich meiner eigenen<lb/>
Wahl folgen du&#x0364;rfte, &#x017F;o &#x017F;ehnete ich mich nach einem<lb/>
Aufenthalt, da ich verborgen und fu&#x0364;r mich &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnte, und er &#x017F;ollte mich &#x017F;o lange verla&#x017F;&#x017F;en, bis<lb/>
ich ho&#x0364;rte, wie es bey meinen Freunden aus&#x017F;a&#x0364;he.<lb/>
Jch ha&#x0364;tte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Aus-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0085] Er hatte die Vorſichtigkeit gehabt, auf die ich nicht gedacht hatte, (denn was ſollte ich jetzt vor- ſichtig ſeyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache nicht geweſen war) mir eine ſammtene Kappe, und ein artiges Maͤntelchen mit Silber beſetzt ohne mein Wiſſen einzukauffen. Der liſtige Menſch ſagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan- tin von ihr, und der Maͤgde: er wollte ſich die Belohnung vor ſeine Vorſorge nehmen, und ſeiner ſchoͤnen muͤrriſchen Schweſter ein Maͤulchen ſteh- len. Er nahm ſich auch in der That ſeinen Lohn, und (wie er ſagte) mit demſelben eine Thraͤne. Er verſicherte mir in aller Gegenwart (der garſtige Menſch!) ich duͤrfte mich nicht vor meinen Eltern fuͤrchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es mir moͤglich, mein Schatz, einem ſolchen Mann freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort auf der Zunge ſchwebte? Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich etwas dagegen haͤtte, daß wir auf das Gut in der Grafſchaft Hertford fuͤhren? der Lord M. halte ſich jetzt in der Grafſchaft Berck auf. Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem von ſeinen Verwanten reiſen; denn das wuͤrde of- fenbar laſſen, als wenn ich in meine Verwanten ein Mistrauen ſetzte. Wenn ich meiner eigenen Wahl folgen duͤrfte, ſo ſehnete ich mich nach einem Aufenthalt, da ich verborgen und fuͤr mich ſeyn koͤnnte, und er ſollte mich ſo lange verlaſſen, bis ich hoͤrte, wie es bey meinen Freunden ausſaͤhe. Jch haͤtte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer Aus- E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/85
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/85>, abgerufen am 12.12.2024.