ausleeren. Sie sagen mir, (denn ihre Worte klingen mir noch in den Ohren, und mein Hertz fühlt sie noch) daß sie gern die gantze Welt und al- les, was sie in der Welt zu hoffen haben, dafür geben wollten, wenn sie noch in ihres finstern und harten Vaters Hause wären, - -
Kein Wort gegen meinen Vater, Herr Love- lace! - das werde ich nicht leyden -
Es möchte auch erfolger seyn, was da wollte, haben sie gesagt. Fräulein, sie haben ei- ne gantz unwahrscheinliche Leichtgläubigkeit, daß sie dem Solmes nicht würden angetrauet seyn. Jch muß von ihnen hören, daß ich sie verleitet habe, ihre Pflicht und Gewissen zu verletzen. Allein mercken sie nicht, liebstes Kind, wie sie sich selbst widersprechen? Mercken sie nicht, daß die Hitze sie übernimt? Sie haben ihr Gefängniß und ihre Verfolger so unwillig und mit so genauer Noth verlassen, daß ihr Gewissen ihnen deshalb nicht den allergeringsten Vorwurf machen kann.
O Herr Lovelace, sind sie ein solcher Wort- Klauber? Sind sie bey ihrem Zorn noch von so sreyem Gemüthe, daß sie Worte auffangen kön- nen?
Jch habe in der That seit der Zeit einen Ver- dacht, daß sein Zorn keine Leidenschast ist, die ihn überfällt; sondern daß er Herr über seinen Zorn ist, und ihm nur bisweilen den Zügel schießen läßt, um sich bey mir in Furcht zu setzen. Er fuhr in- dessen fort:
Ver-
ausleeren. Sie ſagen mir, (denn ihre Worte klingen mir noch in den Ohren, und mein Hertz fuͤhlt ſie noch) daß ſie gern die gantze Welt und al- les, was ſie in der Welt zu hoffen haben, dafuͤr geben wollten, wenn ſie noch in ihres finſtern und harten Vaters Hauſe waͤren, ‒ ‒
Kein Wort gegen meinen Vater, Herr Love- lace! ‒ das werde ich nicht leyden ‒
Es moͤchte auch erfolger ſeyn, was da wollte, haben ſie geſagt. Fraͤulein, ſie haben ei- ne gantz unwahrſcheinliche Leichtglaͤubigkeit, daß ſie dem Solmes nicht wuͤrden angetrauet ſeyn. Jch muß von ihnen hoͤren, daß ich ſie verleitet habe, ihre Pflicht und Gewiſſen zu verletzen. Allein mercken ſie nicht, liebſtes Kind, wie ſie ſich ſelbſt widerſprechen? Mercken ſie nicht, daß die Hitze ſie uͤbernimt? Sie haben ihr Gefaͤngniß und ihre Verfolger ſo unwillig und mit ſo genauer Noth verlaſſen, daß ihr Gewiſſen ihnen deshalb nicht den allergeringſten Vorwurf machen kann.
O Herr Lovelace, ſind ſie ein ſolcher Wort- Klauber? Sind ſie bey ihrem Zorn noch von ſo ſreyem Gemuͤthe, daß ſie Worte auffangen koͤn- nen?
Jch habe in der That ſeit der Zeit einen Ver- dacht, daß ſein Zorn keine Leidenſchaſt iſt, die ihn uͤberfaͤllt; ſondern daß er Herr uͤber ſeinen Zorn iſt, und ihm nur bisweilen den Zuͤgel ſchießen laͤßt, um ſich bey mir in Furcht zu ſetzen. Er fuhr in- deſſen fort:
Ver-
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ausleeren. Sie ſagen mir, (denn ihre Worte
klingen mir noch in den Ohren, und mein Hertz
fuͤhlt ſie noch) daß ſie gern die gantze Welt und al-
les, was ſie in der Welt zu hoffen haben, dafuͤr
geben wollten, wenn ſie noch in ihres finſtern und
harten Vaters Hauſe waͤren, ‒ ‒
Kein Wort gegen meinen Vater, Herr Love-
lace! ‒ das werde ich nicht leyden ‒
Es moͤchte auch erfolger ſeyn, was da
wollte, haben ſie geſagt. Fraͤulein, ſie haben ei-
ne gantz unwahrſcheinliche Leichtglaͤubigkeit, daß
ſie dem Solmes nicht wuͤrden angetrauet ſeyn.
Jch muß von ihnen hoͤren, daß ich ſie verleitet
habe, ihre Pflicht und Gewiſſen zu verletzen.
Allein mercken ſie nicht, liebſtes Kind, wie ſie ſich
ſelbſt widerſprechen? Mercken ſie nicht, daß die
Hitze ſie uͤbernimt? Sie haben ihr Gefaͤngniß und
ihre Verfolger ſo unwillig und mit ſo genauer
Noth verlaſſen, daß ihr Gewiſſen ihnen deshalb
nicht den allergeringſten Vorwurf machen kann.
O Herr Lovelace, ſind ſie ein ſolcher Wort-
Klauber? Sind ſie bey ihrem Zorn noch von ſo
ſreyem Gemuͤthe, daß ſie Worte auffangen koͤn-
nen?
Jch habe in der That ſeit der Zeit einen Ver-
dacht, daß ſein Zorn keine Leidenſchaſt iſt, die ihn
uͤberfaͤllt; ſondern daß er Herr uͤber ſeinen Zorn
iſt, und ihm nur bisweilen den Zuͤgel ſchießen laͤßt,
um ſich bey mir in Furcht zu ſetzen. Er fuhr in-
deſſen fort:
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/76>, abgerufen am 26.11.2024.
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