heimlich so gütig gegen mich gesinnet waren, als ich jetzt zu meiner grösseren Kränckung aus dem Briefe meiner Frau Basen ersehe, deren Nachrichten Sie bekräftigen. Allein diese Wirckung würde der Brief gehabt haben, daß ich mich mit aller Macht bestre- bet haben würde, zu demjenigen zu reisen, der diesen vernünftigen Brief geschrieben hat, und daß ich aus meinem Vetter und Vormunde, meinen Freund, meinen Beschützer und meinen Vater gemacht haben würde. Gegen einen solchen Schutz würde bey meinen Umständen nichts einzuwenden gewesen seyn. Allein ich sollte und mußte unglücklich werden! Wie blutet mir mein Hertz darüber, daß meines Vetters Beschreibung Lovelacen so gleich ist!
Ein solcher Mensch, an den ich sonst mit Ab- scheu gedachte, soll mein Theil seyn! Allein ich ver- lies mich zu viel auf meine eigenen Kräfte. Jch folgete meinem Triebe, ohne einige Gefahr zu be- fürchten, und hub meine Augen zu wenig zu dem allerweisesten Wesen in die Höhe: auf dieses allein hätte ich meine Zuversicht setzen, und mir selbst nicht trauen sollen; insonderheit, nachdem ich sahe, daß mir ein solcher Mensch unauf hörlich nachginge.
Unerfahrenheit und Einbildung, nebst den nieder- trächtigen Absichten meiner Geschwister, sind mein Unglück gewesen. Es ist dieses ein harter Aus- druck; allein ich widerhole ihn wohlbedächtlich: denn bey dem Besten, das ich zu gewarten haben kann, habe ich dennoch meinen guten Nahmen ein- gebüsset; ich bekomme einen liederlichen Menschen zu
mei-
heimlich ſo guͤtig gegen mich geſinnet waren, als ich jetzt zu meiner groͤſſeren Kraͤnckung aus dem Briefe meiner Frau Baſen erſehe, deren Nachrichten Sie bekraͤftigen. Allein dieſe Wirckung wuͤrde der Brief gehabt haben, daß ich mich mit aller Macht beſtre- bet haben wuͤrde, zu demjenigen zu reiſen, der dieſen vernuͤnftigen Brief geſchrieben hat, und daß ich aus meinem Vetter und Vormunde, meinen Freund, meinen Beſchuͤtzer und meinen Vater gemacht haben wuͤrde. Gegen einen ſolchen Schutz wuͤrde bey meinen Umſtaͤnden nichts einzuwenden geweſen ſeyn. Allein ich ſollte und mußte ungluͤcklich werden! Wie blutet mir mein Hertz daruͤber, daß meines Vetters Beſchreibung Lovelacen ſo gleich iſt!
Ein ſolcher Menſch, an den ich ſonſt mit Ab- ſcheu gedachte, ſoll mein Theil ſeyn! Allein ich ver- lies mich zu viel auf meine eigenen Kraͤfte. Jch folgete meinem Triebe, ohne einige Gefahr zu be- fuͤrchten, und hub meine Augen zu wenig zu dem allerweiſeſten Weſen in die Hoͤhe: auf dieſes allein haͤtte ich meine Zuverſicht ſetzen, und mir ſelbſt nicht trauen ſollen; inſonderheit, nachdem ich ſahe, daß mir ein ſolcher Menſch unauf hoͤrlich nachginge.
Unerfahrenheit und Einbildung, nebſt den nieder- traͤchtigen Abſichten meiner Geſchwiſter, ſind mein Ungluͤck geweſen. Es iſt dieſes ein harter Aus- druck; allein ich widerhole ihn wohlbedaͤchtlich: denn bey dem Beſten, das ich zu gewarten haben kann, habe ich dennoch meinen guten Nahmen ein- gebuͤſſet; ich bekomme einen liederlichen Menſchen zu
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heimlich ſo guͤtig gegen mich geſinnet waren, als ich
jetzt zu meiner groͤſſeren Kraͤnckung aus dem Briefe
meiner Frau Baſen erſehe, deren Nachrichten Sie
bekraͤftigen. Allein dieſe Wirckung wuͤrde der Brief
gehabt haben, daß ich mich mit aller Macht beſtre-
bet haben wuͤrde, zu demjenigen zu reiſen, der dieſen
vernuͤnftigen Brief geſchrieben hat, und daß ich aus
meinem Vetter und Vormunde, meinen Freund,
meinen Beſchuͤtzer und meinen Vater gemacht haben
wuͤrde. Gegen einen ſolchen Schutz wuͤrde bey
meinen Umſtaͤnden nichts einzuwenden geweſen ſeyn.
Allein ich ſollte und mußte ungluͤcklich werden! Wie
blutet mir mein Hertz daruͤber, daß meines Vetters
Beſchreibung Lovelacen ſo gleich iſt!
Ein ſolcher Menſch, an den ich ſonſt mit Ab-
ſcheu gedachte, ſoll mein Theil ſeyn! Allein ich ver-
lies mich zu viel auf meine eigenen Kraͤfte. Jch
folgete meinem Triebe, ohne einige Gefahr zu be-
fuͤrchten, und hub meine Augen zu wenig zu dem
allerweiſeſten Weſen in die Hoͤhe: auf dieſes allein
haͤtte ich meine Zuverſicht ſetzen, und mir ſelbſt nicht
trauen ſollen; inſonderheit, nachdem ich ſahe, daß
mir ein ſolcher Menſch unauf hoͤrlich nachginge.
Unerfahrenheit und Einbildung, nebſt den nieder-
traͤchtigen Abſichten meiner Geſchwiſter, ſind mein
Ungluͤck geweſen. Es iſt dieſes ein harter Aus-
druck; allein ich widerhole ihn wohlbedaͤchtlich:
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kann, habe ich dennoch meinen guten Nahmen ein-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/576>, abgerufen am 23.11.2024.
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