das an mich eingeschlossen, und zu M.--Hall abge- geben war. Was meynst du, von wem war es? Von der Frau Howe!
Was war aber der Jnhalt?
Wie kann ich das wissen, wenn das liebe Kind ihn mir nicht zeiget? Daß es ein sehr grausamer Brief gewesen seyn muß, konnte ich aus den Wir- ckungen wohl schliessen. Die Thränen lieffen ihr an den Wangen nieder, als sie den Brief las, und sie verfärbete sich etlichemal. Jhre Verfolgung scheint noch kein Ende zu haben. Das liebenswürdige und bekümmerte Kind sagte weiter nichts als dieses: wie hart ist mein Schicksal! Nun muß ich mich des ein- tzigen Trostes in meinem Leben begeben.
Das soll vermuthlich der Briefwechsel mit der Fräulein Howe seyn.
Hat mein Kind Recht sich so sehr darüber zu be- trüben? Dieser Briefwechsel ist der Tochter schon längst auf das ernstlichste verboten worden; und dennoch haben ihn die beyden heiligen Kinder, die nicht einmal die Erb-Sünde fühlen, fortgesetzt. Konnten sie glauben, daß sich die Mutter ihrer Rech- te begeben würde? Da ihr Verbot bey der unartigen Tochter nichts fruchtete, so mußten sie erwarten, daß die Mutter versuchte, was sie bey der Freundin ih- rer Tochter ausrichten könnte. Jch glaube, daß sie ihren Endzweck erhält, denn meine liebe Fräulein wird sich nun ein Gewissen daraus machen, mit ih- rer Freundin Briefe zu wechseln.
Jch hasse die Grausamkeit, und zwar am meisten an den Frauens-Leuten; ich würde deswegen auf die
Frau
das an mich eingeſchloſſen, und zu M.‒‒Hall abge- geben war. Was meynſt du, von wem war es? Von der Frau Howe!
Was war aber der Jnhalt?
Wie kann ich das wiſſen, wenn das liebe Kind ihn mir nicht zeiget? Daß es ein ſehr grauſamer Brief geweſen ſeyn muß, konnte ich aus den Wir- ckungen wohl ſchlieſſen. Die Thraͤnen lieffen ihr an den Wangen nieder, als ſie den Brief las, und ſie verfaͤrbete ſich etlichemal. Jhre Verfolgung ſcheint noch kein Ende zu haben. Das liebenswuͤrdige und bekuͤmmerte Kind ſagte weiter nichts als dieſes: wie hart iſt mein Schickſal! Nun muß ich mich des ein- tzigen Troſtes in meinem Leben begeben.
Das ſoll vermuthlich der Briefwechſel mit der Fraͤulein Howe ſeyn.
Hat mein Kind Recht ſich ſo ſehr daruͤber zu be- truͤben? Dieſer Briefwechſel iſt der Tochter ſchon laͤngſt auf das ernſtlichſte verboten worden; und dennoch haben ihn die beyden heiligen Kinder, die nicht einmal die Erb-Suͤnde fuͤhlen, fortgeſetzt. Konnten ſie glauben, daß ſich die Mutter ihrer Rech- te begeben wuͤrde? Da ihr Verbot bey der unartigen Tochter nichts fruchtete, ſo mußten ſie erwarten, daß die Mutter verſuchte, was ſie bey der Freundin ih- rer Tochter ausrichten koͤnnte. Jch glaube, daß ſie ihren Endzweck erhaͤlt, denn meine liebe Fraͤulein wird ſich nun ein Gewiſſen daraus machen, mit ih- rer Freundin Briefe zu wechſeln.
Jch haſſe die Grauſamkeit, und zwar am meiſten an den Frauens-Leuten; ich wuͤrde deswegen auf die
Frau
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das an mich eingeſchloſſen, und zu M.‒‒Hall abge-
geben war. Was meynſt du, von wem war es?
Von der Frau Howe!
Was war aber der Jnhalt?
Wie kann ich das wiſſen, wenn das liebe Kind
ihn mir nicht zeiget? Daß es ein ſehr grauſamer
Brief geweſen ſeyn muß, konnte ich aus den Wir-
ckungen wohl ſchlieſſen. Die Thraͤnen lieffen ihr an
den Wangen nieder, als ſie den Brief las, und ſie
verfaͤrbete ſich etlichemal. Jhre Verfolgung ſcheint
noch kein Ende zu haben. Das liebenswuͤrdige und
bekuͤmmerte Kind ſagte weiter nichts als dieſes: wie
hart iſt mein Schickſal! Nun muß ich mich des ein-
tzigen Troſtes in meinem Leben begeben.
Das ſoll vermuthlich der Briefwechſel mit der
Fraͤulein Howe ſeyn.
Hat mein Kind Recht ſich ſo ſehr daruͤber zu be-
truͤben? Dieſer Briefwechſel iſt der Tochter ſchon
laͤngſt auf das ernſtlichſte verboten worden; und
dennoch haben ihn die beyden heiligen Kinder, die
nicht einmal die Erb-Suͤnde fuͤhlen, fortgeſetzt.
Konnten ſie glauben, daß ſich die Mutter ihrer Rech-
te begeben wuͤrde? Da ihr Verbot bey der unartigen
Tochter nichts fruchtete, ſo mußten ſie erwarten, daß
die Mutter verſuchte, was ſie bey der Freundin ih-
rer Tochter ausrichten koͤnnte. Jch glaube, daß ſie
ihren Endzweck erhaͤlt, denn meine liebe Fraͤulein
wird ſich nun ein Gewiſſen daraus machen, mit ih-
rer Freundin Briefe zu wechſeln.
Jch haſſe die Grauſamkeit, und zwar am meiſten
an den Frauens-Leuten; ich wuͤrde deswegen auf die
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/544>, abgerufen am 22.12.2024.
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