Es ist wahr; weder ich noch ihr bildeten uns ein, daß ihr das Glück haben würdet, ihr zu gefallen. Allein ich dachte doch, daß sie so wohlgezogen seyn würde, meine Freunde nicht auf eine so empfindli- che Art gegen mich herunter zu setzen. Jch weiß nicht, was ich sagen soll, Belford. Das Frau- enzimmer bildet sich ein Recht ein, uns allerley un- angenehme und beschwerliche Wahrheiten in das Gesicht zu sagen. Wir aber müssen ungezogen, grob, unbelebt, und wer weiß was noch mehr feyn, wenn wir nicht einen gantzen Sack verfluchter Lügen vor ihnen ausschütten, und aus demüthigster Erge- benheit das schwartze weiß machen. Sie lehren uns die Heucheley: und so bald wir heucheln können, nennen sie uns, Betrieger.
Jch suchte euch insgesammt zu entschuldigen, so gut ich konnte: allein was kann man anders gegen ein Frauenzimmer, das solche Gedancken von der Tugend hat, zu unserer Entschuldigung vorbringen, als ein Geschwätz? Jch will dir etwas von dem, so ich gesagt habe, schreiben.
Das fromme Kind ärgerte sich an einer jeden kleinen Abweichung: indessen habe ich in euren Wor- ten und in eurer Aufführung den gantzen Abend nichts anstößiges bemercken können. Einige von der Ge- sellschaft konnten nur von ein oder zweyerley Materien reden, und waren gleich an Gedancken erschöpft: sie hingegen konnte von allen Dingen reden. War es Wunder, das jene von dem, was sie am besten verstunden, von sinnlichen Dingen redeten? Wenn sie uns die Ehre erzeiget hätte, mehr zu reden, so
wür-
Es iſt wahr; weder ich noch ihr bildeten uns ein, daß ihr das Gluͤck haben wuͤrdet, ihr zu gefallen. Allein ich dachte doch, daß ſie ſo wohlgezogen ſeyn wuͤrde, meine Freunde nicht auf eine ſo empfindli- che Art gegen mich herunter zu ſetzen. Jch weiß nicht, was ich ſagen ſoll, Belford. Das Frau- enzimmer bildet ſich ein Recht ein, uns allerley un- angenehme und beſchwerliche Wahrheiten in das Geſicht zu ſagen. Wir aber muͤſſen ungezogen, grob, unbelebt, und wer weiß was noch mehr feyn, wenn wir nicht einen gantzen Sack verfluchter Luͤgen vor ihnen ausſchuͤtten, und aus demuͤthigſter Erge- benheit das ſchwartze weiß machen. Sie lehren uns die Heucheley: und ſo bald wir heucheln koͤnnen, nennen ſie uns, Betrieger.
Jch ſuchte euch insgeſammt zu entſchuldigen, ſo gut ich konnte: allein was kann man anders gegen ein Frauenzimmer, das ſolche Gedancken von der Tugend hat, zu unſerer Entſchuldigung vorbringen, als ein Geſchwaͤtz? Jch will dir etwas von dem, ſo ich geſagt habe, ſchreiben.
Das fromme Kind aͤrgerte ſich an einer jeden kleinen Abweichung: indeſſen habe ich in euren Wor- ten und in eurer Auffuͤhrung den gantzen Abend nichts anſtoͤßiges bemercken koͤnnen. Einige von der Ge- ſellſchaft konnten nur von ein oder zweyerley Materien reden, und waren gleich an Gedancken erſchoͤpft: ſie hingegen konnte von allen Dingen reden. War es Wunder, das jene von dem, was ſie am beſten verſtunden, von ſinnlichen Dingen redeten? Wenn ſie uns die Ehre erzeiget haͤtte, mehr zu reden, ſo
wuͤr-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0537"n="523"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Es iſt wahr; weder ich noch ihr bildeten uns ein,<lb/>
daß ihr das Gluͤck haben wuͤrdet, ihr zu gefallen.<lb/>
Allein ich dachte doch, daß ſie ſo wohlgezogen ſeyn<lb/>
wuͤrde, meine Freunde nicht auf eine ſo empfindli-<lb/>
che Art gegen mich herunter zu ſetzen. Jch weiß<lb/>
nicht, was ich ſagen ſoll, <hirendition="#fr">Belford.</hi> Das Frau-<lb/>
enzimmer bildet ſich ein Recht ein, uns allerley un-<lb/>
angenehme und beſchwerliche Wahrheiten in das<lb/>
Geſicht zu ſagen. Wir aber muͤſſen ungezogen,<lb/>
grob, unbelebt, und wer weiß was noch mehr feyn,<lb/>
wenn wir nicht einen gantzen Sack verfluchter Luͤgen<lb/>
vor ihnen ausſchuͤtten, und aus demuͤthigſter Erge-<lb/>
benheit das ſchwartze weiß machen. Sie lehren uns<lb/>
die Heucheley: und ſo bald wir heucheln koͤnnen,<lb/>
nennen ſie uns, <hirendition="#fr">Betrieger.</hi></p><lb/><p>Jch ſuchte euch insgeſammt zu entſchuldigen, ſo<lb/>
gut ich konnte: allein was kann man anders gegen<lb/>
ein Frauenzimmer, das ſolche Gedancken von der<lb/>
Tugend hat, zu unſerer Entſchuldigung vorbringen,<lb/>
als ein Geſchwaͤtz? Jch will dir etwas von dem, ſo<lb/>
ich geſagt habe, ſchreiben.</p><lb/><p>Das fromme Kind aͤrgerte ſich an einer jeden<lb/>
kleinen Abweichung: indeſſen habe ich in euren Wor-<lb/>
ten und in eurer Auffuͤhrung den gantzen Abend nichts<lb/>
anſtoͤßiges bemercken koͤnnen. Einige von der Ge-<lb/>ſellſchaft konnten nur von ein oder zweyerley Materien<lb/>
reden, und waren gleich an Gedancken erſchoͤpft:<lb/>ſie hingegen konnte von allen Dingen reden. War<lb/>
es Wunder, das jene von dem, was ſie am beſten<lb/>
verſtunden, von ſinnlichen Dingen redeten? Wenn<lb/>ſie uns die Ehre erzeiget haͤtte, mehr zu reden, ſo<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wuͤr-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[523/0537]
Es iſt wahr; weder ich noch ihr bildeten uns ein,
daß ihr das Gluͤck haben wuͤrdet, ihr zu gefallen.
Allein ich dachte doch, daß ſie ſo wohlgezogen ſeyn
wuͤrde, meine Freunde nicht auf eine ſo empfindli-
che Art gegen mich herunter zu ſetzen. Jch weiß
nicht, was ich ſagen ſoll, Belford. Das Frau-
enzimmer bildet ſich ein Recht ein, uns allerley un-
angenehme und beſchwerliche Wahrheiten in das
Geſicht zu ſagen. Wir aber muͤſſen ungezogen,
grob, unbelebt, und wer weiß was noch mehr feyn,
wenn wir nicht einen gantzen Sack verfluchter Luͤgen
vor ihnen ausſchuͤtten, und aus demuͤthigſter Erge-
benheit das ſchwartze weiß machen. Sie lehren uns
die Heucheley: und ſo bald wir heucheln koͤnnen,
nennen ſie uns, Betrieger.
Jch ſuchte euch insgeſammt zu entſchuldigen, ſo
gut ich konnte: allein was kann man anders gegen
ein Frauenzimmer, das ſolche Gedancken von der
Tugend hat, zu unſerer Entſchuldigung vorbringen,
als ein Geſchwaͤtz? Jch will dir etwas von dem, ſo
ich geſagt habe, ſchreiben.
Das fromme Kind aͤrgerte ſich an einer jeden
kleinen Abweichung: indeſſen habe ich in euren Wor-
ten und in eurer Auffuͤhrung den gantzen Abend nichts
anſtoͤßiges bemercken koͤnnen. Einige von der Ge-
ſellſchaft konnten nur von ein oder zweyerley Materien
reden, und waren gleich an Gedancken erſchoͤpft:
ſie hingegen konnte von allen Dingen reden. War
es Wunder, das jene von dem, was ſie am beſten
verſtunden, von ſinnlichen Dingen redeten? Wenn
ſie uns die Ehre erzeiget haͤtte, mehr zu reden, ſo
wuͤr-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/537>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.