Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Erschrecken Sie nicht über diese Entschliessung,
ob ich gleich unaufhörlich bewachet und belauret wer-
de, ob ich gleich gezwungen bin, meiner Mutter
des Tages beständig etwas vorzulesen, oder in ihrer
Gegenwart zu arbeiten, so daß ich weder über Mund
noch Hände selbst zu befehlen habe: ob ich gleich wi-
der meinen Willen des Nachts bey ihr schlafen muß:
so ist doch eine Furcht und eine Hoffnung, die mich
von der Ausführung dessen, was ich geschrieben ha-
be, abhält. Die Furcht ist, daß einige, die Jh-
re Flucht für ein Versehen halten, meine Flucht auf
Jhre Rechnung schreiben, und Jhr vermeyntes Ver-
sehen hiedurch verdoppeln werden. Meine Hoff-
nung hingegen ist diese: daß sich dennoch alles glück-
lich endigen wird: und daß sich einige Leute über ihre
bisherige Aufführung schämen werden. Jch
wäge oft die Ursachen auf beyden Seiten ab:
allein wenn Sie den Briefwechsel aufgeben,
und zwar um eine Zeit, da er Jhnen am un-
entbehrlichsten ist; so wird dieses der Wage ei-
nen Ausschlag geben. Schreiben Sie daher,
oder erwarten Sie bald die Folgen Jhres
Stilleschweigens.

Ein Paar Worte, zu Beantwortung Jhrer vo-
rigen Briefe! Jch weiß nicht, ob Jhr Bruder sei-
nen weisen Anschlag hat fahren lassen, oder nicht.
Jn Jhrem Hause ist jetzt alles so stille, als wenn die
gantze Familie ausgestorben wäre. Jhr Bruder
war drey Tage lang verreiset: er war darauf einen
Tag zu Hause: jetzt ist er schon wider ver-

reiset.


Erſchrecken Sie nicht uͤber dieſe Entſchlieſſung,
ob ich gleich unaufhoͤrlich bewachet und belauret wer-
de, ob ich gleich gezwungen bin, meiner Mutter
des Tages beſtaͤndig etwas vorzuleſen, oder in ihrer
Gegenwart zu arbeiten, ſo daß ich weder uͤber Mund
noch Haͤnde ſelbſt zu befehlen habe: ob ich gleich wi-
der meinen Willen des Nachts bey ihr ſchlafen muß:
ſo iſt doch eine Furcht und eine Hoffnung, die mich
von der Ausfuͤhrung deſſen, was ich geſchrieben ha-
be, abhaͤlt. Die Furcht iſt, daß einige, die Jh-
re Flucht fuͤr ein Verſehen halten, meine Flucht auf
Jhre Rechnung ſchreiben, und Jhr vermeyntes Ver-
ſehen hiedurch verdoppeln werden. Meine Hoff-
nung hingegen iſt dieſe: daß ſich dennoch alles gluͤck-
lich endigen wird: und daß ſich einige Leute uͤber ihre
bisherige Auffuͤhrung ſchaͤmen werden. Jch
waͤge oft die Urſachen auf beyden Seiten ab:
allein wenn Sie den Briefwechſel aufgeben,
und zwar um eine Zeit, da er Jhnen am un-
entbehrlichſten iſt; ſo wird dieſes der Wage ei-
nen Ausſchlag geben. Schreiben Sie daher,
oder erwarten Sie bald die Folgen Jhres
Stilleſchweigens.

Ein Paar Worte, zu Beantwortung Jhrer vo-
rigen Briefe! Jch weiß nicht, ob Jhr Bruder ſei-
nen weiſen Anſchlag hat fahren laſſen, oder nicht.
Jn Jhrem Hauſe iſt jetzt alles ſo ſtille, als wenn die
gantze Familie ausgeſtorben waͤre. Jhr Bruder
war drey Tage lang verreiſet: er war darauf einen
Tag zu Hauſe: jetzt iſt er ſchon wider ver-

reiſet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0528" n="514"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Er&#x017F;chrecken Sie nicht u&#x0364;ber die&#x017F;e Ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;ung,<lb/>
ob ich gleich unaufho&#x0364;rlich bewachet und belauret wer-<lb/>
de, ob ich gleich gezwungen bin, meiner Mutter<lb/>
des Tages be&#x017F;ta&#x0364;ndig etwas vorzule&#x017F;en, oder in ihrer<lb/>
Gegenwart zu arbeiten, &#x017F;o daß ich weder u&#x0364;ber Mund<lb/>
noch Ha&#x0364;nde &#x017F;elb&#x017F;t zu befehlen habe: ob ich gleich wi-<lb/>
der meinen Willen des Nachts bey ihr &#x017F;chlafen muß:<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t doch <hi rendition="#fr">eine</hi> Furcht und <hi rendition="#fr">eine</hi> Hoffnung, die mich<lb/>
von der Ausfu&#x0364;hrung de&#x017F;&#x017F;en, was ich ge&#x017F;chrieben ha-<lb/>
be, abha&#x0364;lt. Die <hi rendition="#fr">Furcht</hi> i&#x017F;t, daß einige, die Jh-<lb/>
re Flucht fu&#x0364;r ein Ver&#x017F;ehen halten, meine Flucht auf<lb/>
Jhre Rechnung &#x017F;chreiben, und Jhr vermeyntes Ver-<lb/>
&#x017F;ehen hiedurch verdoppeln werden. Meine Hoff-<lb/>
nung hingegen i&#x017F;t die&#x017F;e: daß &#x017F;ich dennoch alles glu&#x0364;ck-<lb/>
lich endigen wird: und daß &#x017F;ich einige Leute u&#x0364;ber ihre<lb/>
bisherige Auffu&#x0364;hrung &#x017F;cha&#x0364;men werden. Jch<lb/>
wa&#x0364;ge oft die Ur&#x017F;achen auf beyden Seiten ab:<lb/>
allein wenn Sie den Briefwech&#x017F;el aufgeben,<lb/>
und zwar um eine Zeit, da er Jhnen am un-<lb/>
entbehrlich&#x017F;ten i&#x017F;t; &#x017F;o wird die&#x017F;es der Wage ei-<lb/>
nen Aus&#x017F;chlag geben. Schreiben Sie daher,<lb/>
oder erwarten Sie bald die Folgen Jhres<lb/>
Stille&#x017F;chweigens.</p><lb/>
          <p>Ein Paar Worte, zu Beantwortung Jhrer vo-<lb/>
rigen Briefe! Jch weiß nicht, ob Jhr Bruder &#x017F;ei-<lb/>
nen wei&#x017F;en An&#x017F;chlag hat fahren la&#x017F;&#x017F;en, oder nicht.<lb/>
Jn Jhrem Hau&#x017F;e i&#x017F;t jetzt alles &#x017F;o &#x017F;tille, als wenn die<lb/>
gantze Familie ausge&#x017F;torben wa&#x0364;re. Jhr Bruder<lb/>
war drey Tage lang verrei&#x017F;et: er war darauf <hi rendition="#fr">einen</hi><lb/>
Tag zu Hau&#x017F;e: jetzt i&#x017F;t er &#x017F;chon wider ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">rei&#x017F;et.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[514/0528] Erſchrecken Sie nicht uͤber dieſe Entſchlieſſung, ob ich gleich unaufhoͤrlich bewachet und belauret wer- de, ob ich gleich gezwungen bin, meiner Mutter des Tages beſtaͤndig etwas vorzuleſen, oder in ihrer Gegenwart zu arbeiten, ſo daß ich weder uͤber Mund noch Haͤnde ſelbſt zu befehlen habe: ob ich gleich wi- der meinen Willen des Nachts bey ihr ſchlafen muß: ſo iſt doch eine Furcht und eine Hoffnung, die mich von der Ausfuͤhrung deſſen, was ich geſchrieben ha- be, abhaͤlt. Die Furcht iſt, daß einige, die Jh- re Flucht fuͤr ein Verſehen halten, meine Flucht auf Jhre Rechnung ſchreiben, und Jhr vermeyntes Ver- ſehen hiedurch verdoppeln werden. Meine Hoff- nung hingegen iſt dieſe: daß ſich dennoch alles gluͤck- lich endigen wird: und daß ſich einige Leute uͤber ihre bisherige Auffuͤhrung ſchaͤmen werden. Jch waͤge oft die Urſachen auf beyden Seiten ab: allein wenn Sie den Briefwechſel aufgeben, und zwar um eine Zeit, da er Jhnen am un- entbehrlichſten iſt; ſo wird dieſes der Wage ei- nen Ausſchlag geben. Schreiben Sie daher, oder erwarten Sie bald die Folgen Jhres Stilleſchweigens. Ein Paar Worte, zu Beantwortung Jhrer vo- rigen Briefe! Jch weiß nicht, ob Jhr Bruder ſei- nen weiſen Anſchlag hat fahren laſſen, oder nicht. Jn Jhrem Hauſe iſt jetzt alles ſo ſtille, als wenn die gantze Familie ausgeſtorben waͤre. Jhr Bruder war drey Tage lang verreiſet: er war darauf einen Tag zu Hauſe: jetzt iſt er ſchon wider ver- reiſet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/528
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/528>, abgerufen am 18.12.2024.