So ging es mir dieses mal: ich bemerckte mit Vergnügen, wie sehr Herr Lovelace seine Freunde in allen Stücken übertraf, selbst in denen, auf die sie sich am meisten einbilde- ten. An Lebhaftigkeit des Verstandes war ihm nie- mand in der Gesellschaft gleich. So bald er die Lippen regete, verstummeten die übrigen. Wenn er reden wollte, so konnte der hochmüthige Mow- bray den Tourville bitten, ihn nicht durch sein Plaudern zu stören, oder den eingebildeten Belton anstossen, daß er zuhören sollte. Wenn er ausge- redet hatte, so erhielt er von allen anwesenden Her- ren ein ungekünsteltes Lob, das entweder die Be- wunderung oder der Neid ihnen erpressete. Er hat so viele Vorzüge der Gestalt und der Lebens-Art, daß man das, was bey andern keine Entschuldigung lei- det, bey ihm billigen und für anständig halten wür- de, wenn man nicht genau über sich wachete, um den wesentlichen Unterschied des Guten und des Bö- sen nicht zu vergessen.
"Wenn man ihn unter zwantzig Leuten siehet" sagte Belford, (welcher mich zu meinem nicht ge- ringen Verdruß so gleich anredete, als Herr Love- lace hinunter gerufen ward, um mir Glück zu wün- schen, und mir zugleich sagte; ich möchte das harte Gelübde nicht allzu spät erlassen, das ich von einem überall beliebten und bewunderten Liebsten er- zwungen hätte) "wenn man ihn unter "zwantzig Leuten siehet, die alle von gutem "Stande sind: so ist es doch, als wenn er al-
"lein
J i 4
die wir uns geſetzt haben.
So ging es mir dieſes mal: ich bemerckte mit Vergnuͤgen, wie ſehr Herr Lovelace ſeine Freunde in allen Stuͤcken uͤbertraf, ſelbſt in denen, auf die ſie ſich am meiſten einbilde- ten. An Lebhaftigkeit des Verſtandes war ihm nie- mand in der Geſellſchaft gleich. So bald er die Lippen regete, verſtummeten die uͤbrigen. Wenn er reden wollte, ſo konnte der hochmuͤthige Mow- bray den Tourville bitten, ihn nicht durch ſein Plaudern zu ſtoͤren, oder den eingebildeten Belton anſtoſſen, daß er zuhoͤren ſollte. Wenn er ausge- redet hatte, ſo erhielt er von allen anweſenden Her- ren ein ungekuͤnſteltes Lob, das entweder die Be- wunderung oder der Neid ihnen erpreſſete. Er hat ſo viele Vorzuͤge der Geſtalt und der Lebens-Art, daß man das, was bey andern keine Entſchuldigung lei- det, bey ihm billigen und fuͤr anſtaͤndig halten wuͤr- de, wenn man nicht genau uͤber ſich wachete, um den weſentlichen Unterſchied des Guten und des Boͤ- ſen nicht zu vergeſſen.
„Wenn man ihn unter zwantzig Leuten ſiehet„ ſagte Belford, (welcher mich zu meinem nicht ge- ringen Verdruß ſo gleich anredete, als Herr Love- lace hinunter gerufen ward, um mir Gluͤck zu wuͤn- ſchen, und mir zugleich ſagte; ich moͤchte das harte Geluͤbde nicht allzu ſpaͤt erlaſſen, das ich von einem uͤberall beliebten und bewunderten Liebſten er- zwungen haͤtte) „wenn man ihn unter „zwantzig Leuten ſiehet, die alle von gutem „Stande ſind: ſo iſt es doch, als wenn er al-
„lein
J i 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><cit><quote><lgtype="poem"><pbfacs="#f0517"n="503"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><l>die wir uns geſetzt haben.</l></lg></quote></cit><p>So ging es mir dieſes<lb/>
mal: ich bemerckte mit Vergnuͤgen, wie ſehr Herr<lb/><hirendition="#fr">Lovelace</hi>ſeine Freunde in allen Stuͤcken uͤbertraf,<lb/>ſelbſt in denen, auf die ſie ſich am meiſten einbilde-<lb/>
ten. An Lebhaftigkeit des Verſtandes war ihm nie-<lb/>
mand in der Geſellſchaft gleich. So bald er die<lb/>
Lippen regete, verſtummeten die uͤbrigen. Wenn<lb/>
er reden wollte, ſo konnte der hochmuͤthige <hirendition="#fr">Mow-<lb/>
bray</hi> den <hirendition="#fr">Tourville</hi> bitten, ihn nicht durch ſein<lb/>
Plaudern zu ſtoͤren, oder den eingebildeten <hirendition="#fr">Belton</hi><lb/>
anſtoſſen, daß er zuhoͤren ſollte. Wenn er ausge-<lb/>
redet hatte, ſo erhielt er von allen anweſenden Her-<lb/>
ren ein ungekuͤnſteltes Lob, das entweder die Be-<lb/>
wunderung oder der Neid ihnen erpreſſete. Er hat<lb/>ſo viele Vorzuͤge der Geſtalt und der Lebens-Art, daß<lb/>
man das, was bey andern keine Entſchuldigung lei-<lb/>
det, bey ihm billigen und fuͤr anſtaͤndig halten wuͤr-<lb/>
de, wenn man nicht genau uͤber ſich wachete, um<lb/>
den weſentlichen Unterſchied des Guten und des Boͤ-<lb/>ſen nicht zu vergeſſen.</p><lb/><p>„Wenn man ihn unter zwantzig Leuten ſiehet„<lb/>ſagte <hirendition="#fr">Belford,</hi> (welcher mich zu meinem nicht ge-<lb/>
ringen Verdruß ſo gleich anredete, als Herr <hirendition="#fr">Love-<lb/>
lace</hi> hinunter gerufen ward, um mir Gluͤck zu wuͤn-<lb/>ſchen, und mir zugleich ſagte; ich moͤchte das harte<lb/>
Geluͤbde nicht allzu ſpaͤt erlaſſen, das ich von einem<lb/>
uͤberall beliebten und bewunderten Liebſten er-<lb/>
zwungen haͤtte) „wenn man ihn unter<lb/>„zwantzig Leuten ſiehet, die alle von gutem<lb/>„Stande ſind: ſo iſt es doch, als wenn er al-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J i 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">„lein</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[503/0517]
die wir uns geſetzt haben.
So ging es mir dieſes
mal: ich bemerckte mit Vergnuͤgen, wie ſehr Herr
Lovelace ſeine Freunde in allen Stuͤcken uͤbertraf,
ſelbſt in denen, auf die ſie ſich am meiſten einbilde-
ten. An Lebhaftigkeit des Verſtandes war ihm nie-
mand in der Geſellſchaft gleich. So bald er die
Lippen regete, verſtummeten die uͤbrigen. Wenn
er reden wollte, ſo konnte der hochmuͤthige Mow-
bray den Tourville bitten, ihn nicht durch ſein
Plaudern zu ſtoͤren, oder den eingebildeten Belton
anſtoſſen, daß er zuhoͤren ſollte. Wenn er ausge-
redet hatte, ſo erhielt er von allen anweſenden Her-
ren ein ungekuͤnſteltes Lob, das entweder die Be-
wunderung oder der Neid ihnen erpreſſete. Er hat
ſo viele Vorzuͤge der Geſtalt und der Lebens-Art, daß
man das, was bey andern keine Entſchuldigung lei-
det, bey ihm billigen und fuͤr anſtaͤndig halten wuͤr-
de, wenn man nicht genau uͤber ſich wachete, um
den weſentlichen Unterſchied des Guten und des Boͤ-
ſen nicht zu vergeſſen.
„Wenn man ihn unter zwantzig Leuten ſiehet„
ſagte Belford, (welcher mich zu meinem nicht ge-
ringen Verdruß ſo gleich anredete, als Herr Love-
lace hinunter gerufen ward, um mir Gluͤck zu wuͤn-
ſchen, und mir zugleich ſagte; ich moͤchte das harte
Geluͤbde nicht allzu ſpaͤt erlaſſen, das ich von einem
uͤberall beliebten und bewunderten Liebſten er-
zwungen haͤtte) „wenn man ihn unter
„zwantzig Leuten ſiehet, die alle von gutem
„Stande ſind: ſo iſt es doch, als wenn er al-
„lein
J i 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/517>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.