gnügen zu finden. Einer griff immer den andern an: und sie stritten nach den Regeln der gelehrten Fechter-Kunst. So oft einer von beyden etwas vor- brachte, das den andern zu treffen schien, sahe er uns Frauenzimmer an, um sich zu versichern, ob wir seine Gelehrsamkeit und Verstand bewunderten. Herr Belford war seinem Widersacher sehr merck- lich überlegen: er ist von einem aufgeweckteren Ver- stande, und er scheint dieses zu wissen, denn er ver- theidigte gemeiniglich unrichtige Sätze, um seinen Vorzug vor dem andern desto mehr zu zeigen. Mir fielen hiebey Miltons Worte ein.
Von Honig floß sein Mund: das Unrecht schien uns Recht, Der Jrrthum lockte uns, wenn er die Lippen regte. Die Wahrheit stand beschämt, wenn er sie wi- derlegte. Sein niederträchtigs Hertz, und sein verworrnes Haupt Voll Witz versteht die Kunst das leichte zu ver- wirren, Wo Einfalt sicher geht, wo niemand irrt zu irren. Zum Laster groß und kühn, durch das, was un- erlaubt, Und was unglaublich ist gereitzt, wird er beredt. Zu edlen Thaten matt, zu grossen Schlüssen träge, Vergnügt er doch das Ohr. Wir sind gewohnt, uns in unserer Wahl zu gefal- len, so lange wir nicht gantz ohne Hoffnung sind, wenn uns gleich einige Umstände nicht gefallen, in
die
gnuͤgen zu finden. Einer griff immer den andern an: und ſie ſtritten nach den Regeln der gelehrten Fechter-Kunſt. So oft einer von beyden etwas vor- brachte, das den andern zu treffen ſchien, ſahe er uns Frauenzimmer an, um ſich zu verſichern, ob wir ſeine Gelehrſamkeit und Verſtand bewunderten. Herr Belford war ſeinem Widerſacher ſehr merck- lich uͤberlegen: er iſt von einem aufgeweckteren Ver- ſtande, und er ſcheint dieſes zu wiſſen, denn er ver- theidigte gemeiniglich unrichtige Saͤtze, um ſeinen Vorzug vor dem andern deſto mehr zu zeigen. Mir fielen hiebey Miltons Worte ein.
Von Honig floß ſein Mund: das Unrecht ſchien uns Recht, Der Jrrthum lockte uns, wenn er die Lippen regte. Die Wahrheit ſtand beſchaͤmt, wenn er ſie wi- derlegte. Sein niedertraͤchtigs Hertz, und ſein verworrnes Haupt Voll Witz verſteht die Kunſt das leichte zu ver- wirren, Wo Einfalt ſicher geht, wo niemand irrt zu irren. Zum Laſter groß und kuͤhn, durch das, was un- erlaubt, Und was unglaublich iſt gereitzt, wird er beredt. Zu edlen Thaten matt, zu groſſen Schluͤſſen traͤge, Vergnuͤgt er doch das Ohr. Wir ſind gewohnt, uns in unſerer Wahl zu gefal- len, ſo lange wir nicht gantz ohne Hoffnung ſind, wenn uns gleich einige Umſtaͤnde nicht gefallen, in
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gnuͤgen zu finden. Einer griff immer den andern
an: und ſie ſtritten nach den Regeln der gelehrten
Fechter-Kunſt. So oft einer von beyden etwas vor-
brachte, das den andern zu treffen ſchien, ſahe er
uns Frauenzimmer an, um ſich zu verſichern, ob
wir ſeine Gelehrſamkeit und Verſtand bewunderten.
Herr Belford war ſeinem Widerſacher ſehr merck-
lich uͤberlegen: er iſt von einem aufgeweckteren Ver-
ſtande, und er ſcheint dieſes zu wiſſen, denn er ver-
theidigte gemeiniglich unrichtige Saͤtze, um ſeinen
Vorzug vor dem andern deſto mehr zu zeigen. Mir
fielen hiebey Miltons Worte ein.
Von Honig floß ſein Mund: das Unrecht ſchien
uns Recht,
Der Jrrthum lockte uns, wenn er die Lippen
regte.
Die Wahrheit ſtand beſchaͤmt, wenn er ſie wi-
derlegte.
Sein niedertraͤchtigs Hertz, und ſein verworrnes
Haupt
Voll Witz verſteht die Kunſt das leichte zu ver-
wirren,
Wo Einfalt ſicher geht, wo niemand irrt zu irren.
Zum Laſter groß und kuͤhn, durch das, was un-
erlaubt,
Und was unglaublich iſt gereitzt, wird er beredt.
Zu edlen Thaten matt, zu groſſen Schluͤſſen traͤge,
Vergnuͤgt er doch das Ohr.
Wir ſind gewohnt, uns in unſerer Wahl zu gefal-
len, ſo lange wir nicht gantz ohne Hoffnung ſind,
wenn uns gleich einige Umſtaͤnde nicht gefallen, in
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/516>, abgerufen am 28.11.2024.
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