Das einzige, was an ihm gelobet werden muß, ist, daß er die vortreflichen Eigenschaften der Fräu- lein in Absicht auf ihre Gestalt und Gemüth erken- net, ob sie gleich eine Anklage wider ihn selbst sind. Dieses ist der Anfang seines Briefes:
"Nun muß ich dir erzählen, was wir bey dem "Frühstück geredet haben. Meine Göttin war "gantz heiter und versöhnt, als sie zu uns herunter "kam: ihr Anblick gebot einem jeden der sie sahe, "Ehrfurcht und Stillschweigen, alle plaudernden "Lippen musten auf eine demüthige und unterthä- "nige Art verstummen. Sie war durch ihr reines "Gewissen, und dadurch, daß sie ihren eigenen "Werth erkannte, uns allen überlegen, und erschien "wie eine Königin in dem Gedränge ihrer Untertha- "nen. Und dennoch war kein Hochmuth an ihr "wahr zunehmen; sie schien recht dazu gebohren, "daß sie groß und unvergleichlich seyn sollte: alles "was angenehm seyn kann, war ihr schon zur Ge- "wohnheit geworden."
Er meldet darauf, daß Sally Martin und Marie Horton darüber eifersüchtig geworden sind, daß er ihr so viele Ehrerbiethung erzeiget habe. Er giebt vor, es wären diese Mädchens vornehmer er- zogen, als es ihr Stand und Umstände mit sich brächten, und hätten allen öffentlichen Lustbarkeiten sehr frühzeitig einen Geschmack abgewonnen: dieses sey die Gelegenheit gewesen, daß sie ihm hätten müssen zu Theil werden. Sie hätten eine Zeitlang den Gewinst des Hauses mit der Frau Sinclairin getheilet; und der Vorzug, den die Liebe einer Manns-
Person
Das einzige, was an ihm gelobet werden muß, iſt, daß er die vortreflichen Eigenſchaften der Fraͤu- lein in Abſicht auf ihre Geſtalt und Gemuͤth erken- net, ob ſie gleich eine Anklage wider ihn ſelbſt ſind. Dieſes iſt der Anfang ſeines Briefes:
„Nun muß ich dir erzaͤhlen, was wir bey dem „Fruͤhſtuͤck geredet haben. Meine Goͤttin war „gantz heiter und verſoͤhnt, als ſie zu uns herunter „kam: ihr Anblick gebot einem jeden der ſie ſahe, „Ehrfurcht und Stillſchweigen, alle plaudernden „Lippen muſten auf eine demuͤthige und unterthaͤ- „nige Art verſtummen. Sie war durch ihr reines „Gewiſſen, und dadurch, daß ſie ihren eigenen „Werth erkannte, uns allen uͤberlegen, und erſchien „wie eine Koͤnigin in dem Gedraͤnge ihrer Untertha- „nen. Und dennoch war kein Hochmuth an ihr „wahr zunehmen; ſie ſchien recht dazu gebohren, „daß ſie groß und unvergleichlich ſeyn ſollte: alles „was angenehm ſeyn kann, war ihr ſchon zur Ge- „wohnheit geworden.„
Er meldet darauf, daß Sally Martin und Marie Horton daruͤber eiferſuͤchtig geworden ſind, daß er ihr ſo viele Ehrerbiethung erzeiget habe. Er giebt vor, es waͤren dieſe Maͤdchens vornehmer er- zogen, als es ihr Stand und Umſtaͤnde mit ſich braͤchten, und haͤtten allen oͤffentlichen Luſtbarkeiten ſehr fruͤhzeitig einen Geſchmack abgewonnen: dieſes ſey die Gelegenheit geweſen, daß ſie ihm haͤtten muͤſſen zu Theil werden. Sie haͤtten eine Zeitlang den Gewinſt des Hauſes mit der Frau Sinclairin getheilet; und der Vorzug, den die Liebe einer Manns-
Perſon
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Das einzige, was an ihm gelobet werden muß,
iſt, daß er die vortreflichen Eigenſchaften der Fraͤu-
lein in Abſicht auf ihre Geſtalt und Gemuͤth erken-
net, ob ſie gleich eine Anklage wider ihn ſelbſt ſind.
Dieſes iſt der Anfang ſeines Briefes:
„Nun muß ich dir erzaͤhlen, was wir bey dem
„Fruͤhſtuͤck geredet haben. Meine Goͤttin war
„gantz heiter und verſoͤhnt, als ſie zu uns herunter
„kam: ihr Anblick gebot einem jeden der ſie ſahe,
„Ehrfurcht und Stillſchweigen, alle plaudernden
„Lippen muſten auf eine demuͤthige und unterthaͤ-
„nige Art verſtummen. Sie war durch ihr reines
„Gewiſſen, und dadurch, daß ſie ihren eigenen
„Werth erkannte, uns allen uͤberlegen, und erſchien
„wie eine Koͤnigin in dem Gedraͤnge ihrer Untertha-
„nen. Und dennoch war kein Hochmuth an ihr
„wahr zunehmen; ſie ſchien recht dazu gebohren,
„daß ſie groß und unvergleichlich ſeyn ſollte: alles
„was angenehm ſeyn kann, war ihr ſchon zur Ge-
„wohnheit geworden.„
Er meldet darauf, daß Sally Martin und
Marie Horton daruͤber eiferſuͤchtig geworden ſind,
daß er ihr ſo viele Ehrerbiethung erzeiget habe. Er
giebt vor, es waͤren dieſe Maͤdchens vornehmer er-
zogen, als es ihr Stand und Umſtaͤnde mit ſich
braͤchten, und haͤtten allen oͤffentlichen Luſtbarkeiten
ſehr fruͤhzeitig einen Geſchmack abgewonnen: dieſes
ſey die Gelegenheit geweſen, daß ſie ihm haͤtten
muͤſſen zu Theil werden. Sie haͤtten eine Zeitlang
den Gewinſt des Hauſes mit der Frau Sinclairin
getheilet; und der Vorzug, den die Liebe einer Manns-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/486>, abgerufen am 21.11.2024.
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