listigen Betrug sogleich rechtfertigen und beloh- nen? kann ich anders als ungehalten seyn, da er mich gleichsam um mich selbst betrogen hat? (eben den Ausdruck zu gebrauchen, den ich gegen ihn selbst gebraucht habe) da er mich gezwungen hat, gantz wider meinen Vorsatz, und wider die Versicherungen, die ich Jhnen gegeben hatte, zu handeln? mich selbst in solche Noth zu stürtzen? und, wenn ich an sonst niemand dencken will, mei- ne Mutter so empfindlich zu betrüben? Sie kön- nen ohnmöglich glauben, noch es sich vorstellen, wie ich mich über dieses alles gräme, und wie ge- ringe und verächtlich ich mir jetzt vorkomme, da ich vorhin andern zum Muster vorgestellet zu werden pflegte. Ach wenn ich doch wieder in meines Va- ters Hause wäre, und mich in den Garten stehlen könnte, um einen Brief für Sie hinzulegen, zwi- schen Furcht und Hofnung, ob ich etwan ein Schreiben von Jhnen finden möchte!
Jetzt bricht der Mittewochen an, vor dem ich mich so sehr fürchtete, und den ich noch vor kur- tzen, als die Zeit ansahe, die mein Schicksaal ent- scheiden würde. Allein vor dem Montage hätte ich mich fürchten sollen. Wenn ich gewartet hät- te, und es wäre das allerschlimmeste erfolget, das ich befürchten könnte, so hätten die Meinigen alle unglücklichen Folgen davon auf ihrem Gewissen gehabt: da ich jetzt keinen andern Trost habe als diesen, der Jhnen schlecht genug vorkommen wird:
daß
liſtigen Betrug ſogleich rechtfertigen und beloh- nen? kann ich anders als ungehalten ſeyn, da er mich gleichſam um mich ſelbſt betrogen hat? (eben den Ausdruck zu gebrauchen, den ich gegen ihn ſelbſt gebraucht habe) da er mich gezwungen hat, gantz wider meinen Vorſatz, und wider die Verſicherungen, die ich Jhnen gegeben hatte, zu handeln? mich ſelbſt in ſolche Noth zu ſtuͤrtzen? und, wenn ich an ſonſt niemand dencken will, mei- ne Mutter ſo empfindlich zu betruͤben? Sie koͤn- nen ohnmoͤglich glauben, noch es ſich vorſtellen, wie ich mich uͤber dieſes alles graͤme, und wie ge- ringe und veraͤchtlich ich mir jetzt vorkomme, da ich vorhin andern zum Muſter vorgeſtellet zu werden pflegte. Ach wenn ich doch wieder in meines Va- ters Hauſe waͤre, und mich in den Garten ſtehlen koͤnnte, um einen Brief fuͤr Sie hinzulegen, zwi- ſchen Furcht und Hofnung, ob ich etwan ein Schreiben von Jhnen finden moͤchte!
Jetzt bricht der Mittewochen an, vor dem ich mich ſo ſehr fuͤrchtete, und den ich noch vor kur- tzen, als die Zeit anſahe, die mein Schickſaal ent- ſcheiden wuͤrde. Allein vor dem Montage haͤtte ich mich fuͤrchten ſollen. Wenn ich gewartet haͤt- te, und es waͤre das allerſchlimmeſte erfolget, das ich befuͤrchten koͤnnte, ſo haͤtten die Meinigen alle ungluͤcklichen Folgen davon auf ihrem Gewiſſen gehabt: da ich jetzt keinen andern Troſt habe als dieſen, der Jhnen ſchlecht genug vorkommen wird:
daß
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liſtigen Betrug ſogleich rechtfertigen und beloh-
nen? kann ich anders als ungehalten ſeyn, da er
mich gleichſam um mich ſelbſt betrogen hat?
(eben den Ausdruck zu gebrauchen, den ich gegen
ihn ſelbſt gebraucht habe) da er mich gezwungen
hat, gantz wider meinen Vorſatz, und wider die
Verſicherungen, die ich Jhnen gegeben hatte, zu
handeln? mich ſelbſt in ſolche Noth zu ſtuͤrtzen?
und, wenn ich an ſonſt niemand dencken will, mei-
ne Mutter ſo empfindlich zu betruͤben? Sie koͤn-
nen ohnmoͤglich glauben, noch es ſich vorſtellen,
wie ich mich uͤber dieſes alles graͤme, und wie ge-
ringe und veraͤchtlich ich mir jetzt vorkomme, da ich
vorhin andern zum Muſter vorgeſtellet zu werden
pflegte. Ach wenn ich doch wieder in meines Va-
ters Hauſe waͤre, und mich in den Garten ſtehlen
koͤnnte, um einen Brief fuͤr Sie hinzulegen, zwi-
ſchen Furcht und Hofnung, ob ich etwan ein
Schreiben von Jhnen finden moͤchte!
Jetzt bricht der Mittewochen an, vor dem ich
mich ſo ſehr fuͤrchtete, und den ich noch vor kur-
tzen, als die Zeit anſahe, die mein Schickſaal ent-
ſcheiden wuͤrde. Allein vor dem Montage haͤtte
ich mich fuͤrchten ſollen. Wenn ich gewartet haͤt-
te, und es waͤre das allerſchlimmeſte erfolget, das
ich befuͤrchten koͤnnte, ſo haͤtten die Meinigen alle
ungluͤcklichen Folgen davon auf ihrem Gewiſſen
gehabt: da ich jetzt keinen andern Troſt habe als
dieſen, der Jhnen ſchlecht genug vorkommen wird:
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/46>, abgerufen am 16.02.2025.
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