Jch hoffe, daß sie bald die öffentlichen Lustbar- keiten geniessen soll. Sie ist gantz fremde in der Stadt, und weiß weniger von den hiesigen Lustbar- keiten, als irgend ein Frauenzimmer von ihrem Stande und Geschmack. Sie hat zwar schon von Natur mehr guten Geschmack und Lebens-Art, als andere durch Mühe erlangen können. Jch habe noch keine gesehen, die so viel Geschicklichkeit besaß, aus einer ihr bekannten Sache sich von hundert un- bekannten ähnlichen Dingen eine Vorstellung zu machen. Sie wandte ihre Zeit auf eine so auserle- sene Weise in ihrer Eltern Hause an, ehe sie daraus vertrieben ward, daß sie weder Zeit noch Lust haben konnte, die Lustbarkeiten von London kennen zu lernen.
Dieses ihr neue Vergnügen wird sie einnehmen. Meine Schöne müßte gantz des Teufels seyn, wenn sie hiedurch nicht noch bequemer gegen mich wird, nachdem sie mir einmahl erlaubet hat, von Liebe zu reden, insonderheit wenn ich mit ihr unter einem Dache wohne. Jch will zufrieden seyn, wenn auch ihre Gefälligkeit gegen mich zu Anfange nur wie ein frühes Blümchen ist, das bey kaltem Wetter her- vorgesprossen ist, und von jedem frischen Winde ge- tödtet werden kann.
Jn einem meiner vorigen Briefe meldete ich dir, daß ich schon dafür gesorget habe, daß meine Fräu- lein auch in ihrem Closet einen Zeit-Vertreib findet. Sally und Marichen lesen jetzt starck. Jhre Bücher hatten sonst ihren Platz in dem Closet mei- nes lieben Kindes, in welchem sich auch einige er-
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Jch hoffe, daß ſie bald die oͤffentlichen Luſtbar- keiten genieſſen ſoll. Sie iſt gantz fremde in der Stadt, und weiß weniger von den hieſigen Luſtbar- keiten, als irgend ein Frauenzimmer von ihrem Stande und Geſchmack. Sie hat zwar ſchon von Natur mehr guten Geſchmack und Lebens-Art, als andere durch Muͤhe erlangen koͤnnen. Jch habe noch keine geſehen, die ſo viel Geſchicklichkeit beſaß, aus einer ihr bekannten Sache ſich von hundert un- bekannten aͤhnlichen Dingen eine Vorſtellung zu machen. Sie wandte ihre Zeit auf eine ſo auserle- ſene Weiſe in ihrer Eltern Hauſe an, ehe ſie daraus vertrieben ward, daß ſie weder Zeit noch Luſt haben konnte, die Luſtbarkeiten von London kennen zu lernen.
Dieſes ihr neue Vergnuͤgen wird ſie einnehmen. Meine Schoͤne muͤßte gantz des Teufels ſeyn, wenn ſie hiedurch nicht noch bequemer gegen mich wird, nachdem ſie mir einmahl erlaubet hat, von Liebe zu reden, inſonderheit wenn ich mit ihr unter einem Dache wohne. Jch will zufrieden ſeyn, wenn auch ihre Gefaͤlligkeit gegen mich zu Anfange nur wie ein fruͤhes Bluͤmchen iſt, das bey kaltem Wetter her- vorgeſproſſen iſt, und von jedem friſchen Winde ge- toͤdtet werden kann.
Jn einem meiner vorigen Briefe meldete ich dir, daß ich ſchon dafuͤr geſorget habe, daß meine Fraͤu- lein auch in ihrem Cloſet einen Zeit-Vertreib findet. Sally und Marichen leſen jetzt ſtarck. Jhre Buͤcher hatten ſonſt ihren Platz in dem Cloſet mei- nes lieben Kindes, in welchem ſich auch einige er-
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Jch hoffe, daß ſie bald die oͤffentlichen Luſtbar-
keiten genieſſen ſoll. Sie iſt gantz fremde in der
Stadt, und weiß weniger von den hieſigen Luſtbar-
keiten, als irgend ein Frauenzimmer von ihrem
Stande und Geſchmack. Sie hat zwar ſchon von
Natur mehr guten Geſchmack und Lebens-Art, als
andere durch Muͤhe erlangen koͤnnen. Jch habe
noch keine geſehen, die ſo viel Geſchicklichkeit beſaß,
aus einer ihr bekannten Sache ſich von hundert un-
bekannten aͤhnlichen Dingen eine Vorſtellung zu
machen. Sie wandte ihre Zeit auf eine ſo auserle-
ſene Weiſe in ihrer Eltern Hauſe an, ehe ſie daraus
vertrieben ward, daß ſie weder Zeit noch Luſt haben
konnte, die Luſtbarkeiten von London kennen zu
lernen.
Dieſes ihr neue Vergnuͤgen wird ſie einnehmen.
Meine Schoͤne muͤßte gantz des Teufels ſeyn, wenn
ſie hiedurch nicht noch bequemer gegen mich wird,
nachdem ſie mir einmahl erlaubet hat, von Liebe zu
reden, inſonderheit wenn ich mit ihr unter einem
Dache wohne. Jch will zufrieden ſeyn, wenn auch
ihre Gefaͤlligkeit gegen mich zu Anfange nur wie ein
fruͤhes Bluͤmchen iſt, das bey kaltem Wetter her-
vorgeſproſſen iſt, und von jedem friſchen Winde ge-
toͤdtet werden kann.
Jn einem meiner vorigen Briefe meldete ich dir,
daß ich ſchon dafuͤr geſorget habe, daß meine Fraͤu-
lein auch in ihrem Cloſet einen Zeit-Vertreib findet.
Sally und Marichen leſen jetzt ſtarck. Jhre
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/455>, abgerufen am 21.11.2024.
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