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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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ihm geantwortet, wir hätten in London mehr Zeit,
eine so wichtige Sache zu überlegen. Nachdem ich
durch Jhren angenehmen Brief aufgerichtet und
getröstet bin, so möchte ich fast wünschen, daß es mir
möglich gewesen ware, seinen ernstlichen Bitten Ge-
hör zu geben. Allein der fürchterliche Brief hatte
mich gantz aus meiner Hoffnung gebracht: zudem
kann ich nicht alles vorbey lassen, was der äußere
Anstand erfodert. Nicht die geringsten Zuberei-
tungen sind gemacht: kein Ehe-Contract, kein Trau-
Schein ist da. Meine Betrübniß ist so groß: ich
hoffe, ja ich wünsche mir nicht einmahl einige Freu-
de. Wie konnte ich bey solchen Umständen eine so
wichtige Veränderung vornehmen! Wie konnte ich
ohne alle Vorbereitung auf einmahl bereit seyn!

Wenn meine Gleichgültigkeit gegen alles irrdi-
sche Vergnügen, und gegen das Leben selbst eine ed-
lere Quelle, als meinen Stoltz und mein Un-
glück hat: so wollte ich mich rühmen, daß ich mehr
Neigung zu den Grabe, als zu irgend einen Men-
schen auf der Welt empfinde. Jch weiß sonst gar
nichts das mich vergnüget, als Jhre Freundschaft.
Jch bitte Sie, mir diese beständig zu gönnen. Wenn
ich künftig so dreiste werde, noch grössere Wünsche
zu thun, so müssen Sie auf diesen Wunsch gebauet
seyn.

Jch soll mich in den Wagen setzen, und von neu-
en entfällt mir aller Muth. Vergeben Sie mir
meine betrübten und schwartzen Grillen, die mir
nicht einmahl erlauben auf bessere Zeiten zu hoffen.
Diese zweymahl vier und zwantzig Stunden sind

die



ihm geantwortet, wir haͤtten in London mehr Zeit,
eine ſo wichtige Sache zu uͤberlegen. Nachdem ich
durch Jhren angenehmen Brief aufgerichtet und
getroͤſtet bin, ſo moͤchte ich faſt wuͤnſchen, daß es mir
moͤglich geweſen ware, ſeinen ernſtlichen Bitten Ge-
hoͤr zu geben. Allein der fuͤrchterliche Brief hatte
mich gantz aus meiner Hoffnung gebracht: zudem
kann ich nicht alles vorbey laſſen, was der aͤußere
Anſtand erfodert. Nicht die geringſten Zuberei-
tungen ſind gemacht: kein Ehe-Contract, kein Trau-
Schein iſt da. Meine Betruͤbniß iſt ſo groß: ich
hoffe, ja ich wuͤnſche mir nicht einmahl einige Freu-
de. Wie konnte ich bey ſolchen Umſtaͤnden eine ſo
wichtige Veraͤnderung vornehmen! Wie konnte ich
ohne alle Vorbereitung auf einmahl bereit ſeyn!

Wenn meine Gleichguͤltigkeit gegen alles irrdi-
ſche Vergnuͤgen, und gegen das Leben ſelbſt eine ed-
lere Quelle, als meinen Stoltz und mein Un-
gluͤck hat: ſo wollte ich mich ruͤhmen, daß ich mehr
Neigung zu den Grabe, als zu irgend einen Men-
ſchen auf der Welt empfinde. Jch weiß ſonſt gar
nichts das mich vergnuͤget, als Jhre Freundſchaft.
Jch bitte Sie, mir dieſe beſtaͤndig zu goͤnnen. Wenn
ich kuͤnftig ſo dreiſte werde, noch groͤſſere Wuͤnſche
zu thun, ſo muͤſſen Sie auf dieſen Wunſch gebauet
ſeyn.

Jch ſoll mich in den Wagen ſetzen, und von neu-
en entfaͤllt mir aller Muth. Vergeben Sie mir
meine betruͤbten und ſchwartzen Grillen, die mir
nicht einmahl erlauben auf beſſere Zeiten zu hoffen.
Dieſe zweymahl vier und zwantzig Stunden ſind

die
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[414/0428] ihm geantwortet, wir haͤtten in London mehr Zeit, eine ſo wichtige Sache zu uͤberlegen. Nachdem ich durch Jhren angenehmen Brief aufgerichtet und getroͤſtet bin, ſo moͤchte ich faſt wuͤnſchen, daß es mir moͤglich geweſen ware, ſeinen ernſtlichen Bitten Ge- hoͤr zu geben. Allein der fuͤrchterliche Brief hatte mich gantz aus meiner Hoffnung gebracht: zudem kann ich nicht alles vorbey laſſen, was der aͤußere Anſtand erfodert. Nicht die geringſten Zuberei- tungen ſind gemacht: kein Ehe-Contract, kein Trau- Schein iſt da. Meine Betruͤbniß iſt ſo groß: ich hoffe, ja ich wuͤnſche mir nicht einmahl einige Freu- de. Wie konnte ich bey ſolchen Umſtaͤnden eine ſo wichtige Veraͤnderung vornehmen! Wie konnte ich ohne alle Vorbereitung auf einmahl bereit ſeyn! Wenn meine Gleichguͤltigkeit gegen alles irrdi- ſche Vergnuͤgen, und gegen das Leben ſelbſt eine ed- lere Quelle, als meinen Stoltz und mein Un- gluͤck hat: ſo wollte ich mich ruͤhmen, daß ich mehr Neigung zu den Grabe, als zu irgend einen Men- ſchen auf der Welt empfinde. Jch weiß ſonſt gar nichts das mich vergnuͤget, als Jhre Freundſchaft. Jch bitte Sie, mir dieſe beſtaͤndig zu goͤnnen. Wenn ich kuͤnftig ſo dreiſte werde, noch groͤſſere Wuͤnſche zu thun, ſo muͤſſen Sie auf dieſen Wunſch gebauet ſeyn. Jch ſoll mich in den Wagen ſetzen, und von neu- en entfaͤllt mir aller Muth. Vergeben Sie mir meine betruͤbten und ſchwartzen Grillen, die mir nicht einmahl erlauben auf beſſere Zeiten zu hoffen. Dieſe zweymahl vier und zwantzig Stunden ſind die

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/428>, abgerufen am 22.12.2024.