Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



ferner an sie zu schreiben, und mir alle Hoffnung
zur Versöhnung zu benehmen sucht; so kann ich nicht
unterlassen, Sie durch meine unruhigen Grillen
zu beunruhigen. Mit was vor einem Bösewicht
habe ich mich um die gesetzte Zeit unterredet? und
mir dadurch ohnmöglich gemacht, vor der Ver-
sammlung meiner Anverwanten zu erscheinen? Es
würde nun alles schon vorüber seyn, wenn sich aber
meine jetzige Noth endigen werde, das mag GOtt
wissen. Vielleicht wäre ich beyder Freyer los, und
befände mich bey der Frau Hervey oder bey mei-
nem Onckle Anton, und erwartete den Obristen
Morden mit Schmertzen, der den Frieden der Fa-
milie völlig wider herstellen könnte.

Jch hatte in der That den Vorsatz alles abzuwar-
ten, was die Meinigen beschließen möchten. Wäre
dieses geschehen, so weiß ich freylich nicht, was ich
jetzt für einen Nahmen unter diesen Brief schreiben
müßte. Denn wie hätte ich können meinen Vater
vor mir auf den Knieen liegen sehen, wenn er sich
nicht hätte vom Zorn übernehmen lassen?

Meine Base schreibt: er würde nachgegeben ha-
ben, wenn ich unbeweglich gewesen wäre. Viel-
leicht hätte er sich durch meine demüthigen Bitten
erweichen lassen, ehe er sich noch auf eine so wi-
dersinnische Art vor mir gedemüthiget hätte. Die
Gelassenheit, mit der er sich vorgenommen hatte
mir zu begegnen, und der Vorsatz, dennoch endlich
nachzugeben, waren günstige Umstände für mich,
die ich nützlich hätte gebrauchen können: sie dienen
jetzt zur Entschuldigung der Meinigen, und zu ei-

ner



ferner an ſie zu ſchreiben, und mir alle Hoffnung
zur Verſoͤhnung zu benehmen ſucht; ſo kann ich nicht
unterlaſſen, Sie durch meine unruhigen Grillen
zu beunruhigen. Mit was vor einem Boͤſewicht
habe ich mich um die geſetzte Zeit unterredet? und
mir dadurch ohnmoͤglich gemacht, vor der Ver-
ſammlung meiner Anverwanten zu erſcheinen? Es
wuͤrde nun alles ſchon voruͤber ſeyn, wenn ſich aber
meine jetzige Noth endigen werde, das mag GOtt
wiſſen. Vielleicht waͤre ich beyder Freyer los, und
befaͤnde mich bey der Frau Hervey oder bey mei-
nem Onckle Anton, und erwartete den Obriſten
Morden mit Schmertzen, der den Frieden der Fa-
milie voͤllig wider herſtellen koͤnnte.

Jch hatte in der That den Vorſatz alles abzuwar-
ten, was die Meinigen beſchließen moͤchten. Waͤre
dieſes geſchehen, ſo weiß ich freylich nicht, was ich
jetzt fuͤr einen Nahmen unter dieſen Brief ſchreiben
muͤßte. Denn wie haͤtte ich koͤnnen meinen Vater
vor mir auf den Knieen liegen ſehen, wenn er ſich
nicht haͤtte vom Zorn uͤbernehmen laſſen?

Meine Baſe ſchreibt: er wuͤrde nachgegeben ha-
ben, wenn ich unbeweglich geweſen waͤre. Viel-
leicht haͤtte er ſich durch meine demuͤthigen Bitten
erweichen laſſen, ehe er ſich noch auf eine ſo wi-
derſinniſche Art vor mir gedemuͤthiget haͤtte. Die
Gelaſſenheit, mit der er ſich vorgenommen hatte
mir zu begegnen, und der Vorſatz, dennoch endlich
nachzugeben, waren guͤnſtige Umſtaͤnde fuͤr mich,
die ich nuͤtzlich haͤtte gebrauchen koͤnnen: ſie dienen
jetzt zur Entſchuldigung der Meinigen, und zu ei-

ner
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <p><pb facs="#f0410" n="396"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ferner an &#x017F;ie zu &#x017F;chreiben, und mir alle Hoffnung<lb/>
zur Ver&#x017F;o&#x0364;hnung zu benehmen &#x017F;ucht; &#x017F;o kann ich nicht<lb/>
unterla&#x017F;&#x017F;en, Sie durch meine unruhigen Grillen<lb/>
zu beunruhigen. Mit was vor einem Bo&#x0364;&#x017F;ewicht<lb/>
habe ich mich um die ge&#x017F;etzte Zeit unterredet? und<lb/>
mir dadurch ohnmo&#x0364;glich gemacht, vor der Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung meiner Anverwanten zu er&#x017F;cheinen? Es<lb/>
wu&#x0364;rde nun alles &#x017F;chon voru&#x0364;ber &#x017F;eyn, wenn &#x017F;ich aber<lb/>
meine jetzige Noth endigen werde, das mag GOtt<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en. Vielleicht wa&#x0364;re ich beyder Freyer los, und<lb/>
befa&#x0364;nde mich bey der Frau <hi rendition="#fr">Hervey</hi> oder bey mei-<lb/>
nem Onckle <hi rendition="#fr">Anton,</hi> und erwartete den Obri&#x017F;ten<lb/><hi rendition="#fr">Morden</hi> mit Schmertzen, der den Frieden der Fa-<lb/>
milie vo&#x0364;llig wider her&#x017F;tellen ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
              <p>Jch hatte in der That den Vor&#x017F;atz alles abzuwar-<lb/>
ten, was die Meinigen be&#x017F;chließen mo&#x0364;chten. Wa&#x0364;re<lb/>
die&#x017F;es ge&#x017F;chehen, &#x017F;o weiß ich freylich nicht, was ich<lb/>
jetzt fu&#x0364;r einen Nahmen unter die&#x017F;en Brief &#x017F;chreiben<lb/>
mu&#x0364;ßte. Denn wie ha&#x0364;tte ich ko&#x0364;nnen meinen Vater<lb/>
vor mir auf den Knieen liegen &#x017F;ehen, wenn er &#x017F;ich<lb/>
nicht ha&#x0364;tte vom Zorn u&#x0364;bernehmen la&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
              <p>Meine Ba&#x017F;e &#x017F;chreibt: er wu&#x0364;rde nachgegeben ha-<lb/>
ben, wenn ich unbeweglich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Viel-<lb/>
leicht ha&#x0364;tte er &#x017F;ich durch meine demu&#x0364;thigen Bitten<lb/>
erweichen la&#x017F;&#x017F;en, ehe er &#x017F;ich noch auf eine &#x017F;o wi-<lb/>
der&#x017F;inni&#x017F;che Art vor mir gedemu&#x0364;thiget ha&#x0364;tte. Die<lb/>
Gela&#x017F;&#x017F;enheit, mit der er &#x017F;ich vorgenommen hatte<lb/>
mir zu begegnen, und der Vor&#x017F;atz, dennoch endlich<lb/>
nachzugeben, waren gu&#x0364;n&#x017F;tige Um&#x017F;ta&#x0364;nde fu&#x0364;r mich,<lb/>
die ich nu&#x0364;tzlich ha&#x0364;tte gebrauchen ko&#x0364;nnen: &#x017F;ie dienen<lb/>
jetzt zur Ent&#x017F;chuldigung der Meinigen, und zu ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ner</fw><lb/></p>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0410] ferner an ſie zu ſchreiben, und mir alle Hoffnung zur Verſoͤhnung zu benehmen ſucht; ſo kann ich nicht unterlaſſen, Sie durch meine unruhigen Grillen zu beunruhigen. Mit was vor einem Boͤſewicht habe ich mich um die geſetzte Zeit unterredet? und mir dadurch ohnmoͤglich gemacht, vor der Ver- ſammlung meiner Anverwanten zu erſcheinen? Es wuͤrde nun alles ſchon voruͤber ſeyn, wenn ſich aber meine jetzige Noth endigen werde, das mag GOtt wiſſen. Vielleicht waͤre ich beyder Freyer los, und befaͤnde mich bey der Frau Hervey oder bey mei- nem Onckle Anton, und erwartete den Obriſten Morden mit Schmertzen, der den Frieden der Fa- milie voͤllig wider herſtellen koͤnnte. Jch hatte in der That den Vorſatz alles abzuwar- ten, was die Meinigen beſchließen moͤchten. Waͤre dieſes geſchehen, ſo weiß ich freylich nicht, was ich jetzt fuͤr einen Nahmen unter dieſen Brief ſchreiben muͤßte. Denn wie haͤtte ich koͤnnen meinen Vater vor mir auf den Knieen liegen ſehen, wenn er ſich nicht haͤtte vom Zorn uͤbernehmen laſſen? Meine Baſe ſchreibt: er wuͤrde nachgegeben ha- ben, wenn ich unbeweglich geweſen waͤre. Viel- leicht haͤtte er ſich durch meine demuͤthigen Bitten erweichen laſſen, ehe er ſich noch auf eine ſo wi- derſinniſche Art vor mir gedemuͤthiget haͤtte. Die Gelaſſenheit, mit der er ſich vorgenommen hatte mir zu begegnen, und der Vorſatz, dennoch endlich nachzugeben, waren guͤnſtige Umſtaͤnde fuͤr mich, die ich nuͤtzlich haͤtte gebrauchen koͤnnen: ſie dienen jetzt zur Entſchuldigung der Meinigen, und zu ei- ner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/410
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/410>, abgerufen am 24.11.2024.