wäre, Sie wieder in seinem Hause zu sehen, und man gewiß erfahren hätte, daß Lovelace seine Hoffnung verlohren gebe.
Da dieses der Endzweck war, und Jhr Vater sich eine so gewisse Hoffnung gemacht hatte, daß seine gehorsame Clarisse nachgeben würde, wenn er so glimpflich mit ihr verführe: so ist es nicht zu verwundern, daß er gantz ausser sich kam, und bey- nahe alle Gedancken verlohr, als er die erste Nach- richt von Jhrer Flucht erhielt, von einer Flucht, die Sie so sorgfältig veranstaltet hatten, und die zu verbergen Sie in der Laube gespeiset und mir so man- chen blauen Dunst vorgemacht hatten. Unartiges, unartiges Kind!
Weder ich noch mein Mann wollten es zu An- fang glauben: sondern wir erwarteten, oder wir fürchteten, daß Sie sich durch ein viel schreckhafte- res Mittel zu retten gesucht hätten. Sie verstehen mich wohl: es ist nur Ein schreckhafteres Mittel möglich. Jch verlangte, man sollte sich nicht bey der Hinter-Thür des Gartens sondern bey der Cas- cade nach Jhnen umsehen. Jhre Mutter wußte nicht, welches von beyden sie befürchten sollte, und fiel in dieser zwiefachen Furcht in Ohnmacht. Jhr Vater, (der arme Vater!) wußte beynahe eine gan- tze Stunde nicht, was er that oder redete. Jhr Nahme ist ihm bis auf diese Stunde unerträglich, und dennoch kann er an niemand als an Sie geden- cken. Jhre Tugenden machen Jhre Sünde schwe- rer: und beynahe alle Stunden kommen Nachrich-
ten,
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waͤre, Sie wieder in ſeinem Hauſe zu ſehen, und man gewiß erfahren haͤtte, daß Lovelace ſeine Hoffnung verlohren gebe.
Da dieſes der Endzweck war, und Jhr Vater ſich eine ſo gewiſſe Hoffnung gemacht hatte, daß ſeine gehorſame Clariſſe nachgeben wuͤrde, wenn er ſo glimpflich mit ihr verfuͤhre: ſo iſt es nicht zu verwundern, daß er gantz auſſer ſich kam, und bey- nahe alle Gedancken verlohr, als er die erſte Nach- richt von Jhrer Flucht erhielt, von einer Flucht, die Sie ſo ſorgfaͤltig veranſtaltet hatten, und die zu verbergen Sie in der Laube geſpeiſet und mir ſo man- chen blauen Dunſt vorgemacht hatten. Unartiges, unartiges Kind!
Weder ich noch mein Mann wollten es zu An- fang glauben: ſondern wir erwarteten, oder wir fuͤrchteten, daß Sie ſich durch ein viel ſchreckhafte- res Mittel zu retten geſucht haͤtten. Sie verſtehen mich wohl: es iſt nur Ein ſchreckhafteres Mittel moͤglich. Jch verlangte, man ſollte ſich nicht bey der Hinter-Thuͤr des Gartens ſondern bey der Caſ- cade nach Jhnen umſehen. Jhre Mutter wußte nicht, welches von beyden ſie befuͤrchten ſollte, und fiel in dieſer zwiefachen Furcht in Ohnmacht. Jhr Vater, (der arme Vater!) wußte beynahe eine gan- tze Stunde nicht, was er that oder redete. Jhr Nahme iſt ihm bis auf dieſe Stunde unertraͤglich, und dennoch kann er an niemand als an Sie geden- cken. Jhre Tugenden machen Jhre Suͤnde ſchwe- rer: und beynahe alle Stunden kommen Nachrich-
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waͤre, Sie wieder in ſeinem Hauſe zu ſehen, und
man gewiß erfahren haͤtte, daß Lovelace ſeine
Hoffnung verlohren gebe.
Da dieſes der Endzweck war, und Jhr Vater
ſich eine ſo gewiſſe Hoffnung gemacht hatte, daß
ſeine gehorſame Clariſſe nachgeben wuͤrde, wenn
er ſo glimpflich mit ihr verfuͤhre: ſo iſt es nicht zu
verwundern, daß er gantz auſſer ſich kam, und bey-
nahe alle Gedancken verlohr, als er die erſte Nach-
richt von Jhrer Flucht erhielt, von einer Flucht,
die Sie ſo ſorgfaͤltig veranſtaltet hatten, und die zu
verbergen Sie in der Laube geſpeiſet und mir ſo man-
chen blauen Dunſt vorgemacht hatten. Unartiges,
unartiges Kind!
Weder ich noch mein Mann wollten es zu An-
fang glauben: ſondern wir erwarteten, oder wir
fuͤrchteten, daß Sie ſich durch ein viel ſchreckhafte-
res Mittel zu retten geſucht haͤtten. Sie verſtehen
mich wohl: es iſt nur Ein ſchreckhafteres Mittel
moͤglich. Jch verlangte, man ſollte ſich nicht bey
der Hinter-Thuͤr des Gartens ſondern bey der Caſ-
cade nach Jhnen umſehen. Jhre Mutter wußte
nicht, welches von beyden ſie befuͤrchten ſollte, und
fiel in dieſer zwiefachen Furcht in Ohnmacht. Jhr
Vater, (der arme Vater!) wußte beynahe eine gan-
tze Stunde nicht, was er that oder redete. Jhr
Nahme iſt ihm bis auf dieſe Stunde unertraͤglich,
und dennoch kann er an niemand als an Sie geden-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/401>, abgerufen am 25.11.2024.
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