Eben wollte ich aufschließen, so sprang er mit einem fürchterlichen Gesicht und Stimme von den Knien auf, und wisperte gantz laut: sie sind in- wendig vor der Thür, mein Hertz! Er nahm mir den Schlüssel, lief nach der Thür zu, und handthierte damit, als wenn er ihn in das Schlüs- sel Loch stecken wollte, damit niemand von innen aufschließen könnte. Den Augenblick ließ sich in- wendig eine Stimme hören, und es stieß jemand gegen die Thür, als wenn er sie aufsprengen woll- te und rief mit einigen harten Stößen: seyd ihr da? den Augenblick her! Geschwind! da sind sie bey einander! Pistole! Flinte her! darauf geschahen noch einige Stöße. Er zog den Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff meine beyden zitternden Hände, und zog mich ge- schwind nach sich mit den Worten: fliehen sie, Kind. Dieß ist der letzte Augenblick, den sie ha- ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol- mes! Sie werden die Thür den Augenblick spren- gen. Fliehen sie, wenn sie nicht härter als vor- hin gemißhandelt werden wollen. Wenn sie nicht zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen ansehen wollen, so müssen sie fliehen.
Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre arme Thörin voller Bestürtzung rief, ohne von sich selbst etwas zu wissen.
Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor und hinter mich, auf diese und auf jene Seite: und erwartete einen unsinnigen Bruder, gewaffnete Knechte, eine Schwester die Zetter und Weh aus
vol-
B 5
Eben wollte ich aufſchließen, ſo ſprang er mit einem fuͤrchterlichen Geſicht und Stimme von den Knien auf, und wiſperte gantz laut: ſie ſind in- wendig vor der Thuͤr, mein Hertz! Er nahm mir den Schluͤſſel, lief nach der Thuͤr zu, und handthierte damit, als wenn er ihn in das Schluͤſ- ſel Loch ſtecken wollte, damit niemand von innen aufſchließen koͤnnte. Den Augenblick ließ ſich in- wendig eine Stimme hoͤren, und es ſtieß jemand gegen die Thuͤr, als wenn er ſie aufſprengen woll- te und rief mit einigen harten Stoͤßen: ſeyd ihr da? den Augenblick her! Geſchwind! da ſind ſie bey einander! Piſtole! Flinte her! darauf geſchahen noch einige Stoͤße. Er zog den Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff meine beyden zitternden Haͤnde, und zog mich ge- ſchwind nach ſich mit den Worten: fliehen ſie, Kind. Dieß iſt der letzte Augenblick, den ſie ha- ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol- mes! Sie werden die Thuͤr den Augenblick ſpren- gen. Fliehen ſie, wenn ſie nicht haͤrter als vor- hin gemißhandelt werden wollen. Wenn ſie nicht zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen anſehen wollen, ſo muͤſſen ſie fliehen.
Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre arme Thoͤrin voller Beſtuͤrtzung rief, ohne von ſich ſelbſt etwas zu wiſſen.
Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor und hinter mich, auf dieſe und auf jene Seite: und erwartete einen unſinnigen Bruder, gewaffnete Knechte, eine Schweſter die Zetter und Weh aus
vol-
B 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0039"n="25"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Eben wollte ich aufſchließen, ſo ſprang er mit<lb/>
einem fuͤrchterlichen Geſicht und Stimme von den<lb/>
Knien auf, und wiſperte gantz laut: <hirendition="#fr">ſie ſind in-<lb/>
wendig vor der Thuͤr, mein Hertz!</hi> Er nahm<lb/>
mir den Schluͤſſel, lief nach der Thuͤr zu, und<lb/>
handthierte damit, als wenn er ihn in das Schluͤſ-<lb/>ſel Loch ſtecken wollte, damit niemand von innen<lb/>
aufſchließen koͤnnte. Den Augenblick ließ ſich in-<lb/>
wendig eine Stimme hoͤren, und es ſtieß jemand<lb/>
gegen die Thuͤr, als wenn er ſie aufſprengen woll-<lb/>
te und rief mit einigen harten Stoͤßen: <hirendition="#fr">ſeyd ihr<lb/>
da? den Augenblick her! Geſchwind! da<lb/>ſind ſie bey einander! Piſtole! Flinte her!</hi><lb/>
darauf geſchahen noch einige Stoͤße. Er zog den<lb/>
Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff<lb/>
meine beyden zitternden Haͤnde, und zog mich ge-<lb/>ſchwind nach ſich mit den Worten: fliehen ſie,<lb/>
Kind. Dieß iſt der letzte Augenblick, den ſie ha-<lb/>
ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der <hirendition="#fr">Sol-<lb/>
mes!</hi> Sie werden die Thuͤr den Augenblick ſpren-<lb/>
gen. Fliehen ſie, wenn ſie nicht haͤrter als vor-<lb/>
hin gemißhandelt werden wollen. Wenn ſie nicht<lb/>
zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen<lb/>
anſehen wollen, ſo muͤſſen ſie fliehen.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Ach GOtt hilf!</hi> das war es alles, was Jhre<lb/>
arme Thoͤrin voller Beſtuͤrtzung rief, ohne von ſich<lb/>ſelbſt etwas zu wiſſen.</p><lb/><p>Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor<lb/>
und hinter mich, auf dieſe und auf jene Seite:<lb/>
und erwartete einen unſinnigen Bruder, gewaffnete<lb/>
Knechte, eine Schweſter die Zetter und Weh aus<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">vol-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[25/0039]
Eben wollte ich aufſchließen, ſo ſprang er mit
einem fuͤrchterlichen Geſicht und Stimme von den
Knien auf, und wiſperte gantz laut: ſie ſind in-
wendig vor der Thuͤr, mein Hertz! Er nahm
mir den Schluͤſſel, lief nach der Thuͤr zu, und
handthierte damit, als wenn er ihn in das Schluͤſ-
ſel Loch ſtecken wollte, damit niemand von innen
aufſchließen koͤnnte. Den Augenblick ließ ſich in-
wendig eine Stimme hoͤren, und es ſtieß jemand
gegen die Thuͤr, als wenn er ſie aufſprengen woll-
te und rief mit einigen harten Stoͤßen: ſeyd ihr
da? den Augenblick her! Geſchwind! da
ſind ſie bey einander! Piſtole! Flinte her!
darauf geſchahen noch einige Stoͤße. Er zog den
Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff
meine beyden zitternden Haͤnde, und zog mich ge-
ſchwind nach ſich mit den Worten: fliehen ſie,
Kind. Dieß iſt der letzte Augenblick, den ſie ha-
ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol-
mes! Sie werden die Thuͤr den Augenblick ſpren-
gen. Fliehen ſie, wenn ſie nicht haͤrter als vor-
hin gemißhandelt werden wollen. Wenn ſie nicht
zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen
anſehen wollen, ſo muͤſſen ſie fliehen.
Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre
arme Thoͤrin voller Beſtuͤrtzung rief, ohne von ſich
ſelbſt etwas zu wiſſen.
Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor
und hinter mich, auf dieſe und auf jene Seite:
und erwartete einen unſinnigen Bruder, gewaffnete
Knechte, eine Schweſter die Zetter und Weh aus
vol-
B 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/39>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.