Sie fing an, Sprache zu bekommen: ich bin - - - ich bin sehr unglücklich. Die Thränen lieffen ihr an den rothen Backen nieder: und ihr liebens- würdiges Gesicht sanck endlich auf meine Schulter, da ich sie noch mit Entzückung in den Armen hielt. Sie war so außer sich, daß sie mir diese Ehre ge- stattete, ohne es zu wissen.
Allein warum sind sie so unglücklich? (sagte ich.) Alle Danckbarkeit, die je in dem Hertzen des glück- lichsten Menschen - - - Hier hielt ich ein. Jch konnte gegen mich so ungerecht nicht seyn, weiter zu reden. Denn was für Danckbarkeit bin ich ihr vor ein Ver- gnügen schuldig, davon sie selbst nicht wußte.
Sie kam bald wieder zu sich selbst, und war eben so spröde, als sie sonst zu seyn pflegt. Sie suchte sich mit Gewalt von mir los zureissen: was nun neues? Herr Lovelace! sagte sie mit funckelnden Augen und mit einem glüenden Gesichte.
Jch ließ sie los, allein ihre unschuldige Ver- wirrung bezauberte mich so, daß ich ihre Hand er- griff da sie mich verlassen wollte, und ihr zu Füssen fiel. Mein Engel (sagte ich, ohne mich halten zu können, und bey nahe ohne zu wissen, was ich re- dete. Wäre ein Prediger da gewesen, so wären wir schon längst getrauet.) nehmen sie doch das zärtliche Gelübde ihres treuen Lovelaces an. Ma- chen sie ihn auf ewig zu dem Jhrigen, und werden sie die Seinige. Dis ist das beste Mittel zu allen ihren Endzwecken. Wer wird sich unterstehen, mir meine Frau zu entführen? Der bisherige Aufschub der Trauung ist die eintzige Ursache der thörichten
Hoff-
Sie fing an, Sprache zu bekommen: ich bin ‒ ‒ ‒ ich bin ſehr ungluͤcklich. Die Thraͤnen lieffen ihr an den rothen Backen nieder: und ihr liebens- wuͤrdiges Geſicht ſanck endlich auf meine Schulter, da ich ſie noch mit Entzuͤckung in den Armen hielt. Sie war ſo außer ſich, daß ſie mir dieſe Ehre ge- ſtattete, ohne es zu wiſſen.
Allein warum ſind ſie ſo ungluͤcklich? (ſagte ich.) Alle Danckbarkeit, die je in dem Hertzen des gluͤck- lichſten Menſchen ‒ ‒ ‒ Hier hielt ich ein. Jch konnte gegen mich ſo ungerecht nicht ſeyn, weiter zu reden. Denn was fuͤr Danckbarkeit bin ich ihr vor ein Ver- gnuͤgen ſchuldig, davon ſie ſelbſt nicht wußte.
Sie kam bald wieder zu ſich ſelbſt, und war eben ſo ſproͤde, als ſie ſonſt zu ſeyn pflegt. Sie ſuchte ſich mit Gewalt von mir los zureiſſen: was nun neues? Herr Lovelace! ſagte ſie mit funckelnden Augen und mit einem gluͤenden Geſichte.
Jch ließ ſie los, allein ihre unſchuldige Ver- wirrung bezauberte mich ſo, daß ich ihre Hand er- griff da ſie mich verlaſſen wollte, und ihr zu Fuͤſſen fiel. Mein Engel (ſagte ich, ohne mich halten zu koͤnnen, und bey nahe ohne zu wiſſen, was ich re- dete. Waͤre ein Prediger da geweſen, ſo waͤren wir ſchon laͤngſt getrauet.) nehmen ſie doch das zaͤrtliche Geluͤbde ihres treuen Lovelaces an. Ma- chen ſie ihn auf ewig zu dem Jhrigen, und werden ſie die Seinige. Dis iſt das beſte Mittel zu allen ihren Endzwecken. Wer wird ſich unterſtehen, mir meine Frau zu entfuͤhren? Der bisherige Aufſchub der Trauung iſt die eintzige Urſache der thoͤrichten
Hoff-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0366"n="352"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Sie fing an, Sprache zu bekommen: ich bin<lb/>‒‒‒ ich bin ſehr ungluͤcklich. Die Thraͤnen lieffen<lb/>
ihr an den rothen Backen nieder: und ihr liebens-<lb/>
wuͤrdiges Geſicht ſanck endlich auf meine Schulter,<lb/>
da ich ſie noch mit Entzuͤckung in den Armen hielt.<lb/>
Sie war ſo außer ſich, daß ſie mir dieſe Ehre ge-<lb/>ſtattete, ohne es zu wiſſen.</p><lb/><p>Allein warum ſind ſie ſo ungluͤcklich? (ſagte ich.)<lb/>
Alle Danckbarkeit, die je in dem Hertzen des gluͤck-<lb/>
lichſten Menſchen ‒‒‒ Hier hielt ich ein. Jch konnte<lb/>
gegen mich ſo ungerecht nicht ſeyn, weiter zu reden.<lb/>
Denn was fuͤr Danckbarkeit bin ich ihr vor ein Ver-<lb/>
gnuͤgen ſchuldig, davon ſie ſelbſt nicht wußte.</p><lb/><p>Sie kam bald wieder zu ſich ſelbſt, und war<lb/>
eben ſo ſproͤde, als ſie ſonſt zu ſeyn pflegt. Sie ſuchte<lb/>ſich mit Gewalt von mir los zureiſſen: <hirendition="#fr">was nun<lb/>
neues? Herr Lovelace!</hi>ſagte ſie mit funckelnden<lb/>
Augen und mit einem gluͤenden Geſichte.</p><lb/><p>Jch ließ ſie los, allein ihre unſchuldige Ver-<lb/>
wirrung bezauberte mich ſo, daß ich ihre Hand er-<lb/>
griff da ſie mich verlaſſen wollte, und ihr zu Fuͤſſen<lb/>
fiel. Mein Engel (ſagte ich, ohne mich halten zu<lb/>
koͤnnen, und bey nahe ohne zu wiſſen, was ich re-<lb/>
dete. Waͤre ein Prediger da geweſen, ſo waͤren<lb/>
wir ſchon laͤngſt getrauet.) nehmen ſie doch das<lb/>
zaͤrtliche Geluͤbde ihres treuen <hirendition="#fr">Lovelaces</hi> an. Ma-<lb/>
chen ſie ihn auf ewig zu dem Jhrigen, und werden<lb/>ſie die Seinige. Dis iſt das beſte Mittel zu allen<lb/>
ihren Endzwecken. Wer wird ſich unterſtehen, mir<lb/>
meine Frau zu entfuͤhren? Der bisherige Aufſchub<lb/>
der Trauung iſt die eintzige Urſache der thoͤrichten<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Hoff-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[352/0366]
Sie fing an, Sprache zu bekommen: ich bin
‒ ‒ ‒ ich bin ſehr ungluͤcklich. Die Thraͤnen lieffen
ihr an den rothen Backen nieder: und ihr liebens-
wuͤrdiges Geſicht ſanck endlich auf meine Schulter,
da ich ſie noch mit Entzuͤckung in den Armen hielt.
Sie war ſo außer ſich, daß ſie mir dieſe Ehre ge-
ſtattete, ohne es zu wiſſen.
Allein warum ſind ſie ſo ungluͤcklich? (ſagte ich.)
Alle Danckbarkeit, die je in dem Hertzen des gluͤck-
lichſten Menſchen ‒ ‒ ‒ Hier hielt ich ein. Jch konnte
gegen mich ſo ungerecht nicht ſeyn, weiter zu reden.
Denn was fuͤr Danckbarkeit bin ich ihr vor ein Ver-
gnuͤgen ſchuldig, davon ſie ſelbſt nicht wußte.
Sie kam bald wieder zu ſich ſelbſt, und war
eben ſo ſproͤde, als ſie ſonſt zu ſeyn pflegt. Sie ſuchte
ſich mit Gewalt von mir los zureiſſen: was nun
neues? Herr Lovelace! ſagte ſie mit funckelnden
Augen und mit einem gluͤenden Geſichte.
Jch ließ ſie los, allein ihre unſchuldige Ver-
wirrung bezauberte mich ſo, daß ich ihre Hand er-
griff da ſie mich verlaſſen wollte, und ihr zu Fuͤſſen
fiel. Mein Engel (ſagte ich, ohne mich halten zu
koͤnnen, und bey nahe ohne zu wiſſen, was ich re-
dete. Waͤre ein Prediger da geweſen, ſo waͤren
wir ſchon laͤngſt getrauet.) nehmen ſie doch das
zaͤrtliche Geluͤbde ihres treuen Lovelaces an. Ma-
chen ſie ihn auf ewig zu dem Jhrigen, und werden
ſie die Seinige. Dis iſt das beſte Mittel zu allen
ihren Endzwecken. Wer wird ſich unterſtehen, mir
meine Frau zu entfuͤhren? Der bisherige Aufſchub
der Trauung iſt die eintzige Urſache der thoͤrichten
Hoff-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/366>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.