Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Jch bat sie um ihr Ja-Wort. Es ist wahr,
ich that es so unverhofft, daß sie sich nicht besin-
nen konnte. Jch war in meiner Bitte mehr hitzig
als zärtlich, da ich ihr die vorige Kaltsinnigkeit vor-
rückte, und sie an ihren ehemahligen Befehlen er-
innerte. Denn nicht die Liebe zu mir, sondern
das Schelm-Stück ihres Bruders machte sie ei-
nigermaßen geneigt, diese Befehle wieder aufzu-
heben.

Niemahls habe ich eine so liebenswürdige Ver-
wirrung gesehen. Der Mahler würde Ehre einle-
gen, der sie ausdrücken könnte, und die Ungeduld,
die jeden Gesichts-Zug auf die angenehmste Weise
veränderte, zu schildern wüßte. Bald seuftzte bald
hustete sie: ihr Gesicht sahe so einfältig und so re-
dend aus. Endlich ward meine schöne Plagerin da-
durch, daß ich einer Antwort mit Stilleschweigen
erwartete, so unruhig gemacht, daß sie in Thrä-
nen ausbrach, und von mir eylen wollte, wenn ich
sie nicht umfasset und mir beyden Armen, (die nie
in meinem Leben glücklicher gewesen sind als da-
mahls) gehalten hätte. Jch sagte: liebste, allerlieb-
ste Fräulein legen sie doch ja diese Bitte, die Jhren
ehemahligen Befehl übertrit, nicht so aus, als
wenn ich mir die Noth zu nutze machen wollte, dar-
ein ihres Bruders Vorhaben und die Härte ihrer
Anverwanten sie setzet. Wenn ich sie beleydiget ha-
be, da ich nur einen so demüthigen und zärtlichen
Winck gegeben habe: so will ich mich künftig mit
der größesten Sorgfalt - - - - Hier hielt ich ein.

Sie


Jch bat ſie um ihr Ja-Wort. Es iſt wahr,
ich that es ſo unverhofft, daß ſie ſich nicht beſin-
nen konnte. Jch war in meiner Bitte mehr hitzig
als zaͤrtlich, da ich ihr die vorige Kaltſinnigkeit vor-
ruͤckte, und ſie an ihren ehemahligen Befehlen er-
innerte. Denn nicht die Liebe zu mir, ſondern
das Schelm-Stuͤck ihres Bruders machte ſie ei-
nigermaßen geneigt, dieſe Befehle wieder aufzu-
heben.

Niemahls habe ich eine ſo liebenswuͤrdige Ver-
wirrung geſehen. Der Mahler wuͤrde Ehre einle-
gen, der ſie ausdruͤcken koͤnnte, und die Ungeduld,
die jeden Geſichts-Zug auf die angenehmſte Weiſe
veraͤnderte, zu ſchildern wuͤßte. Bald ſeuftzte bald
huſtete ſie: ihr Geſicht ſahe ſo einfaͤltig und ſo re-
dend aus. Endlich ward meine ſchoͤne Plagerin da-
durch, daß ich einer Antwort mit Stilleſchweigen
erwartete, ſo unruhig gemacht, daß ſie in Thraͤ-
nen ausbrach, und von mir eylen wollte, wenn ich
ſie nicht umfaſſet und mir beyden Armen, (die nie
in meinem Leben gluͤcklicher geweſen ſind als da-
mahls) gehalten haͤtte. Jch ſagte: liebſte, allerlieb-
ſte Fraͤulein legen ſie doch ja dieſe Bitte, die Jhren
ehemahligen Befehl uͤbertrit, nicht ſo aus, als
wenn ich mir die Noth zu nutze machen wollte, dar-
ein ihres Bruders Vorhaben und die Haͤrte ihrer
Anverwanten ſie ſetzet. Wenn ich ſie beleydiget ha-
be, da ich nur einen ſo demuͤthigen und zaͤrtlichen
Winck gegeben habe: ſo will ich mich kuͤnftig mit
der groͤßeſten Sorgfalt ‒ ‒ ‒ ‒ Hier hielt ich ein.

Sie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0365" n="351"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jch bat &#x017F;ie um ihr Ja-Wort. Es i&#x017F;t wahr,<lb/>
ich that es &#x017F;o unverhofft, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht be&#x017F;in-<lb/>
nen konnte. Jch war in meiner Bitte mehr hitzig<lb/>
als za&#x0364;rtlich, da ich ihr die vorige Kalt&#x017F;innigkeit vor-<lb/>
ru&#x0364;ckte, und &#x017F;ie an ihren ehemahligen Befehlen er-<lb/>
innerte. Denn nicht die Liebe zu mir, &#x017F;ondern<lb/>
das Schelm-Stu&#x0364;ck ihres Bruders machte &#x017F;ie ei-<lb/>
nigermaßen geneigt, die&#x017F;e Befehle wieder aufzu-<lb/>
heben.</p><lb/>
          <p>Niemahls habe ich eine &#x017F;o liebenswu&#x0364;rdige Ver-<lb/>
wirrung ge&#x017F;ehen. Der Mahler wu&#x0364;rde Ehre einle-<lb/>
gen, der &#x017F;ie ausdru&#x0364;cken ko&#x0364;nnte, und die Ungeduld,<lb/>
die jeden Ge&#x017F;ichts-Zug auf die angenehm&#x017F;te Wei&#x017F;e<lb/>
vera&#x0364;nderte, zu &#x017F;childern wu&#x0364;ßte. Bald &#x017F;euftzte bald<lb/>
hu&#x017F;tete &#x017F;ie: ihr Ge&#x017F;icht &#x017F;ahe &#x017F;o einfa&#x0364;ltig und &#x017F;o re-<lb/>
dend aus. Endlich ward meine &#x017F;cho&#x0364;ne Plagerin da-<lb/>
durch, daß ich einer Antwort mit Stille&#x017F;chweigen<lb/>
erwartete, &#x017F;o unruhig gemacht, daß &#x017F;ie in Thra&#x0364;-<lb/>
nen ausbrach, und von mir eylen wollte, wenn ich<lb/>
&#x017F;ie nicht umfa&#x017F;&#x017F;et und mir beyden Armen, (die nie<lb/>
in meinem Leben glu&#x0364;cklicher gewe&#x017F;en &#x017F;ind als da-<lb/>
mahls) gehalten ha&#x0364;tte. Jch &#x017F;agte: lieb&#x017F;te, allerlieb-<lb/>
&#x017F;te Fra&#x0364;ulein legen &#x017F;ie doch ja die&#x017F;e Bitte, die Jhren<lb/>
ehemahligen Befehl u&#x0364;bertrit, nicht &#x017F;o aus, als<lb/>
wenn ich mir die Noth zu nutze machen wollte, dar-<lb/>
ein ihres Bruders Vorhaben und die Ha&#x0364;rte ihrer<lb/>
Anverwanten &#x017F;ie &#x017F;etzet. Wenn ich &#x017F;ie beleydiget ha-<lb/>
be, da ich nur einen &#x017F;o demu&#x0364;thigen und za&#x0364;rtlichen<lb/>
Winck gegeben habe: &#x017F;o will ich mich ku&#x0364;nftig mit<lb/>
der gro&#x0364;ße&#x017F;ten Sorgfalt &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; Hier hielt ich ein.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0365] Jch bat ſie um ihr Ja-Wort. Es iſt wahr, ich that es ſo unverhofft, daß ſie ſich nicht beſin- nen konnte. Jch war in meiner Bitte mehr hitzig als zaͤrtlich, da ich ihr die vorige Kaltſinnigkeit vor- ruͤckte, und ſie an ihren ehemahligen Befehlen er- innerte. Denn nicht die Liebe zu mir, ſondern das Schelm-Stuͤck ihres Bruders machte ſie ei- nigermaßen geneigt, dieſe Befehle wieder aufzu- heben. Niemahls habe ich eine ſo liebenswuͤrdige Ver- wirrung geſehen. Der Mahler wuͤrde Ehre einle- gen, der ſie ausdruͤcken koͤnnte, und die Ungeduld, die jeden Geſichts-Zug auf die angenehmſte Weiſe veraͤnderte, zu ſchildern wuͤßte. Bald ſeuftzte bald huſtete ſie: ihr Geſicht ſahe ſo einfaͤltig und ſo re- dend aus. Endlich ward meine ſchoͤne Plagerin da- durch, daß ich einer Antwort mit Stilleſchweigen erwartete, ſo unruhig gemacht, daß ſie in Thraͤ- nen ausbrach, und von mir eylen wollte, wenn ich ſie nicht umfaſſet und mir beyden Armen, (die nie in meinem Leben gluͤcklicher geweſen ſind als da- mahls) gehalten haͤtte. Jch ſagte: liebſte, allerlieb- ſte Fraͤulein legen ſie doch ja dieſe Bitte, die Jhren ehemahligen Befehl uͤbertrit, nicht ſo aus, als wenn ich mir die Noth zu nutze machen wollte, dar- ein ihres Bruders Vorhaben und die Haͤrte ihrer Anverwanten ſie ſetzet. Wenn ich ſie beleydiget ha- be, da ich nur einen ſo demuͤthigen und zaͤrtlichen Winck gegeben habe: ſo will ich mich kuͤnftig mit der groͤßeſten Sorgfalt ‒ ‒ ‒ ‒ Hier hielt ich ein. Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/365
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/365>, abgerufen am 27.11.2024.