Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



sich hat? keine Ohnmachten werden sie retten: viel-
leicht ist es den ihrigen nicht ungelegen, wenn ihre
Grausamkeit gegen sie eine solche Wirckung hat.
Was werden alle Vorstellungen helfen, wenn die
Trauung einmahl geschehen ist? Muß nicht alles,
alles das fürchterliche darauf folgen, daran mein
Hertz nicht ohne Entsetzen dencken kann? Wenn
sie sich an niemand wenden können, werden denn
nicht alle ihre Vorstellungen viel zu schwach seyn,
die Folge einer Ceremonie abzuhalten, bey der die,
welche sie dazu zwungen, und noch dazu ihre näch-
sten Anverwanten, Zeugen sind?

Jch sagte: ich wäre zum wenigsten versichert,
daß ich einige Zeit gewinnen wolte. Für uns bey-
de könnte nichts schlimmer seyn, als wenn ich hier
mit ihm entdeckt werden solte. Meine Furcht
wäre deswegen so groß, daß ich sie nicht länger
ertragen könnte: und ich würde eine sehr üble
Meinung von ihm bekommen, wenn er mich noch
länger aufzuhalten suchte. Wenn er sich aber
mein Weggehen gefallen ließe, so würde ich danck-
bar dafür seyn.

Als ich mich hierauf nach dem Schlüssel bückte,
so stutzte er auf einmahl, und that, als wenn er
gehört hätte, daß jemand in dem Garten mit der
Hand auf den Degen geschlagen hätte. Jch entsetzte
mich hierüber so, daß ich den Augenblick nieder-
sincken wollte. Allein er machte mir gleich einen
bessern Muth, und sagte: es wäre nur ein Stoß
gegen die Thür gewesen. Doch nein! das könnte
auch nicht seyn, sonst müßte der Schall stärcker

gewesen



ſich hat? keine Ohnmachten werden ſie retten: viel-
leicht iſt es den ihrigen nicht ungelegen, wenn ihre
Grauſamkeit gegen ſie eine ſolche Wirckung hat.
Was werden alle Vorſtellungen helfen, wenn die
Trauung einmahl geſchehen iſt? Muß nicht alles,
alles das fuͤrchterliche darauf folgen, daran mein
Hertz nicht ohne Entſetzen dencken kann? Wenn
ſie ſich an niemand wenden koͤnnen, werden denn
nicht alle ihre Vorſtellungen viel zu ſchwach ſeyn,
die Folge einer Ceremonie abzuhalten, bey der die,
welche ſie dazu zwungen, und noch dazu ihre naͤch-
ſten Anverwanten, Zeugen ſind?

Jch ſagte: ich waͤre zum wenigſten verſichert,
daß ich einige Zeit gewinnen wolte. Fuͤr uns bey-
de koͤnnte nichts ſchlimmer ſeyn, als wenn ich hier
mit ihm entdeckt werden ſolte. Meine Furcht
waͤre deswegen ſo groß, daß ich ſie nicht laͤnger
ertragen koͤnnte: und ich wuͤrde eine ſehr uͤble
Meinung von ihm bekommen, wenn er mich noch
laͤnger aufzuhalten ſuchte. Wenn er ſich aber
mein Weggehen gefallen ließe, ſo wuͤrde ich danck-
bar dafuͤr ſeyn.

Als ich mich hierauf nach dem Schluͤſſel buͤckte,
ſo ſtutzte er auf einmahl, und that, als wenn er
gehoͤrt haͤtte, daß jemand in dem Garten mit der
Hand auf den Degen geſchlagen haͤtte. Jch entſetzte
mich hieruͤber ſo, daß ich den Augenblick nieder-
ſincken wollte. Allein er machte mir gleich einen
beſſern Muth, und ſagte: es waͤre nur ein Stoß
gegen die Thuͤr geweſen. Doch nein! das koͤnnte
auch nicht ſeyn, ſonſt muͤßte der Schall ſtaͤrcker

geweſen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0036" n="22"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ich hat? keine Ohnmachten werden &#x017F;ie retten: viel-<lb/>
leicht i&#x017F;t es den ihrigen nicht ungelegen, wenn ihre<lb/>
Grau&#x017F;amkeit gegen &#x017F;ie eine &#x017F;olche Wirckung hat.<lb/>
Was werden alle Vor&#x017F;tellungen helfen, wenn die<lb/>
Trauung einmahl ge&#x017F;chehen i&#x017F;t? Muß nicht alles,<lb/>
alles das fu&#x0364;rchterliche darauf folgen, daran mein<lb/>
Hertz nicht ohne Ent&#x017F;etzen dencken kann? Wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich an niemand wenden ko&#x0364;nnen, werden denn<lb/>
nicht alle ihre Vor&#x017F;tellungen viel zu &#x017F;chwach &#x017F;eyn,<lb/>
die Folge einer Ceremonie abzuhalten, bey der die,<lb/>
welche &#x017F;ie dazu zwungen, und noch dazu ihre na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Anverwanten, Zeugen &#x017F;ind?</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;agte: ich wa&#x0364;re zum wenig&#x017F;ten ver&#x017F;ichert,<lb/>
daß ich einige Zeit gewinnen wolte. Fu&#x0364;r uns bey-<lb/>
de ko&#x0364;nnte nichts &#x017F;chlimmer &#x017F;eyn, als wenn ich hier<lb/>
mit ihm entdeckt werden &#x017F;olte. Meine Furcht<lb/>
wa&#x0364;re deswegen &#x017F;o groß, daß ich &#x017F;ie nicht la&#x0364;nger<lb/>
ertragen ko&#x0364;nnte: und ich wu&#x0364;rde eine &#x017F;ehr u&#x0364;ble<lb/>
Meinung von ihm bekommen, wenn er mich noch<lb/>
la&#x0364;nger aufzuhalten &#x017F;uchte. Wenn er &#x017F;ich aber<lb/>
mein Weggehen gefallen ließe, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich danck-<lb/>
bar dafu&#x0364;r &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Als ich mich hierauf nach dem Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el bu&#x0364;ckte,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tutzte er auf einmahl, und that, als wenn er<lb/>
geho&#x0364;rt ha&#x0364;tte, daß jemand in dem Garten mit der<lb/>
Hand auf den Degen ge&#x017F;chlagen ha&#x0364;tte. Jch ent&#x017F;etzte<lb/>
mich hieru&#x0364;ber &#x017F;o, daß ich den Augenblick nieder-<lb/>
&#x017F;incken wollte. Allein er machte mir gleich einen<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern Muth, und &#x017F;agte: es wa&#x0364;re nur ein Stoß<lb/>
gegen die Thu&#x0364;r gewe&#x017F;en. Doch nein! das ko&#x0364;nnte<lb/>
auch nicht &#x017F;eyn, &#x017F;on&#x017F;t mu&#x0364;ßte der Schall &#x017F;ta&#x0364;rcker<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gewe&#x017F;en</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0036] ſich hat? keine Ohnmachten werden ſie retten: viel- leicht iſt es den ihrigen nicht ungelegen, wenn ihre Grauſamkeit gegen ſie eine ſolche Wirckung hat. Was werden alle Vorſtellungen helfen, wenn die Trauung einmahl geſchehen iſt? Muß nicht alles, alles das fuͤrchterliche darauf folgen, daran mein Hertz nicht ohne Entſetzen dencken kann? Wenn ſie ſich an niemand wenden koͤnnen, werden denn nicht alle ihre Vorſtellungen viel zu ſchwach ſeyn, die Folge einer Ceremonie abzuhalten, bey der die, welche ſie dazu zwungen, und noch dazu ihre naͤch- ſten Anverwanten, Zeugen ſind? Jch ſagte: ich waͤre zum wenigſten verſichert, daß ich einige Zeit gewinnen wolte. Fuͤr uns bey- de koͤnnte nichts ſchlimmer ſeyn, als wenn ich hier mit ihm entdeckt werden ſolte. Meine Furcht waͤre deswegen ſo groß, daß ich ſie nicht laͤnger ertragen koͤnnte: und ich wuͤrde eine ſehr uͤble Meinung von ihm bekommen, wenn er mich noch laͤnger aufzuhalten ſuchte. Wenn er ſich aber mein Weggehen gefallen ließe, ſo wuͤrde ich danck- bar dafuͤr ſeyn. Als ich mich hierauf nach dem Schluͤſſel buͤckte, ſo ſtutzte er auf einmahl, und that, als wenn er gehoͤrt haͤtte, daß jemand in dem Garten mit der Hand auf den Degen geſchlagen haͤtte. Jch entſetzte mich hieruͤber ſo, daß ich den Augenblick nieder- ſincken wollte. Allein er machte mir gleich einen beſſern Muth, und ſagte: es waͤre nur ein Stoß gegen die Thuͤr geweſen. Doch nein! das koͤnnte auch nicht ſeyn, ſonſt muͤßte der Schall ſtaͤrcker geweſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/36
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/36>, abgerufen am 18.12.2024.