terredungen; daß ich ihm alle meine Gedancken und mein gantzes Hertz entdecken sollte. Wenn ich auch den besten Mann hätte, der in dem gantzen Reiche zu finden ist: so würde ich ihm doch die Ehre nicht erzeigen, daß ich ihm meinen Briefwechsel vor- legte.
Es ist gewiß Ehre genug für ihn, daß er das Amt eines Briefträgers hat, und seinen Nahmen in Jhren Aufschriften lieset. So bescheiden er Jh- nen vorkömmt, so viel wird er sich doch darauf ein- bilden.
Sie werfen mir immer vor, daß ich ihm nicht edelmüthig begegne, und meine Gewalt über ihn misbrauche. Jch muß gestehen, daß ich nicht weiß, wie es mir möglich ist mich hierin zu bessern. Er- lauben Sie mir, daß ich mich biswellen brüsten und mir Furcht bey andern zu Wege bringen darf. Sie wissen, daß dieses meine Zeit ist: so bald wir vor dem Altar gestanden haben, würde eine solche Aufführung weder ihm noch mir zur Ehre gereichen. Er empfindet ein Vergnügen darüber, wenn ich mit ihm zufrieden bin, davon er nichts wissen wür- de, wenn er nicht zuweilen über meine sauren Ge- sichter in Nöthen wäre.
Wenn ich ihm nicht mannichsmahl Ursache zur Furcht gäbe, so würde die erste Folge seyn, daß er sich mir würde fürchterlich machen wollen. Alle lebendige Geschöpfe haben eine Art der Feindschaft gegen einander. Der Wolf, der dem Löwen ent- lauffen ist, wird das nächste Lamm fressen, das ihm in den Weg kommt. Jch erinnere mich, daß ich
einmahl
terredungen; daß ich ihm alle meine Gedancken und mein gantzes Hertz entdecken ſollte. Wenn ich auch den beſten Mann haͤtte, der in dem gantzen Reiche zu finden iſt: ſo wuͤrde ich ihm doch die Ehre nicht erzeigen, daß ich ihm meinen Briefwechſel vor- legte.
Es iſt gewiß Ehre genug fuͤr ihn, daß er das Amt eines Brieftraͤgers hat, und ſeinen Nahmen in Jhren Aufſchriften lieſet. So beſcheiden er Jh- nen vorkoͤmmt, ſo viel wird er ſich doch darauf ein- bilden.
Sie werfen mir immer vor, daß ich ihm nicht edelmuͤthig begegne, und meine Gewalt uͤber ihn misbrauche. Jch muß geſtehen, daß ich nicht weiß, wie es mir moͤglich iſt mich hierin zu beſſern. Er- lauben Sie mir, daß ich mich biswellen bruͤſten und mir Furcht bey andern zu Wege bringen darf. Sie wiſſen, daß dieſes meine Zeit iſt: ſo bald wir vor dem Altar geſtanden haben, wuͤrde eine ſolche Auffuͤhrung weder ihm noch mir zur Ehre gereichen. Er empfindet ein Vergnuͤgen daruͤber, wenn ich mit ihm zufrieden bin, davon er nichts wiſſen wuͤr- de, wenn er nicht zuweilen uͤber meine ſauren Ge- ſichter in Noͤthen waͤre.
Wenn ich ihm nicht mannichsmahl Urſache zur Furcht gaͤbe, ſo wuͤrde die erſte Folge ſeyn, daß er ſich mir wuͤrde fuͤrchterlich machen wollen. Alle lebendige Geſchoͤpfe haben eine Art der Feindſchaft gegen einander. Der Wolf, der dem Loͤwen ent- lauffen iſt, wird das naͤchſte Lamm freſſen, das ihm in den Weg kommt. Jch erinnere mich, daß ich
einmahl
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terredungen; daß ich ihm alle meine Gedancken
und mein gantzes Hertz entdecken ſollte. Wenn
ich auch den beſten Mann haͤtte, der in dem gantzen
Reiche zu finden iſt: ſo wuͤrde ich ihm doch die Ehre
nicht erzeigen, daß ich ihm meinen Briefwechſel vor-
legte.
Es iſt gewiß Ehre genug fuͤr ihn, daß er das
Amt eines Brieftraͤgers hat, und ſeinen Nahmen
in Jhren Aufſchriften lieſet. So beſcheiden er Jh-
nen vorkoͤmmt, ſo viel wird er ſich doch darauf ein-
bilden.
Sie werfen mir immer vor, daß ich ihm nicht
edelmuͤthig begegne, und meine Gewalt uͤber ihn
misbrauche. Jch muß geſtehen, daß ich nicht weiß,
wie es mir moͤglich iſt mich hierin zu beſſern. Er-
lauben Sie mir, daß ich mich biswellen bruͤſten
und mir Furcht bey andern zu Wege bringen darf.
Sie wiſſen, daß dieſes meine Zeit iſt: ſo bald wir
vor dem Altar geſtanden haben, wuͤrde eine ſolche
Auffuͤhrung weder ihm noch mir zur Ehre gereichen.
Er empfindet ein Vergnuͤgen daruͤber, wenn ich
mit ihm zufrieden bin, davon er nichts wiſſen wuͤr-
de, wenn er nicht zuweilen uͤber meine ſauren Ge-
ſichter in Noͤthen waͤre.
Wenn ich ihm nicht mannichsmahl Urſache zur
Furcht gaͤbe, ſo wuͤrde die erſte Folge ſeyn, daß er
ſich mir wuͤrde fuͤrchterlich machen wollen. Alle
lebendige Geſchoͤpfe haben eine Art der Feindſchaft
gegen einander. Der Wolf, der dem Loͤwen ent-
lauffen iſt, wird das naͤchſte Lamm freſſen, das ihm
in den Weg kommt. Jch erinnere mich, daß ich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/352>, abgerufen am 22.12.2024.
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