gnä - - gnädige Frau! Er sahe etliche mahl aus, als wüste er nicht, ob er stehen oder davon lauffen, und mich meine Sachen allein ausmachen lassen sollte.
Es würde einfältig und armseelig gewesen seyn, wenn ich eine Lüge hätte erdencken wollen. Meine Mutter ging weg, und ich ging zu der andern Thür hinaus, den Brief zu lesen, da Herr Hickmann Zeit hatte, unterdessen seine weissen Zähne an seinen Nä- geln zu üben. So bald ich den Brief gelesen hat- te, suchte ich meine Mutter auf, und sagte ihr den recht grosmüthigen Jnhalt desselben, und daß Sie mich ermahneten, ihrem Verbot Gehorsam zu lei- sten. Jch brachte die von Jhnen gemeldete Be- dingung als aus eigenem Triebe in Vorschlag: al- lein meine Bitte ward abgewiesen.
Sie antwortete: sie wäre zwischen zwey Mäd- chens gerathen, die mehr Witz als Verstand hätten. Anstatt Jhrer edlen Bitte Gehör zu geben, und sich durch Jhre grosmüthigen Erklärungen bewegen zu lassen, bestärckte sie sich eben dadurch in ihrer Mei- nung, und erneuerte ihr Verbot, mit dem Zusatz: ich sollte weiter kein Wort an Sie schreiben, als daß sie den Briefwechsel von neuen verboten hätte. Dieses Verbot sollte so lange dauren, bis Sie mit den Jhrigen ausgesöhnt wären. Sie gab mir zu verstehen: sie hätte dieses Jhren Anverwanten ver- sprochen, und hoffete, daß ich gehorsam seyn würde.
Jch dachte eben an Jhren Verweiß, und war bey meinem Misvergnügen sanftmüthig. Jch muß Jhnen aber dieses melden: so lange ich versichert
bin,
gnaͤ ‒ ‒ gnaͤdige Frau! Er ſahe etliche mahl aus, als wuͤſte er nicht, ob er ſtehen oder davon lauffen, und mich meine Sachen allein ausmachen laſſen ſollte.
Es wuͤrde einfaͤltig und armſeelig geweſen ſeyn, wenn ich eine Luͤge haͤtte erdencken wollen. Meine Mutter ging weg, und ich ging zu der andern Thuͤr hinaus, den Brief zu leſen, da Herr Hickmann Zeit hatte, unterdeſſen ſeine weiſſen Zaͤhne an ſeinen Naͤ- geln zu uͤben. So bald ich den Brief geleſen hat- te, ſuchte ich meine Mutter auf, und ſagte ihr den recht grosmuͤthigen Jnhalt deſſelben, und daß Sie mich ermahneten, ihrem Verbot Gehorſam zu lei- ſten. Jch brachte die von Jhnen gemeldete Be- dingung als aus eigenem Triebe in Vorſchlag: al- lein meine Bitte ward abgewieſen.
Sie antwortete: ſie waͤre zwiſchen zwey Maͤd- chens gerathen, die mehr Witz als Verſtand haͤtten. Anſtatt Jhrer edlen Bitte Gehoͤr zu geben, und ſich durch Jhre grosmuͤthigen Erklaͤrungen bewegen zu laſſen, beſtaͤrckte ſie ſich eben dadurch in ihrer Mei- nung, und erneuerte ihr Verbot, mit dem Zuſatz: ich ſollte weiter kein Wort an Sie ſchreiben, als daß ſie den Briefwechſel von neuen verboten haͤtte. Dieſes Verbot ſollte ſo lange dauren, bis Sie mit den Jhrigen ausgeſoͤhnt waͤren. Sie gab mir zu verſtehen: ſie haͤtte dieſes Jhren Anverwanten ver- ſprochen, und hoffete, daß ich gehorſam ſeyn wuͤrde.
Jch dachte eben an Jhren Verweiß, und war bey meinem Misvergnuͤgen ſanftmuͤthig. Jch muß Jhnen aber dieſes melden: ſo lange ich verſichert
bin,
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gnaͤ ‒ ‒ gnaͤdige Frau! Er ſahe etliche mahl aus,
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und mich meine Sachen allein ausmachen laſſen
ſollte.
Es wuͤrde einfaͤltig und armſeelig geweſen ſeyn,
wenn ich eine Luͤge haͤtte erdencken wollen. Meine
Mutter ging weg, und ich ging zu der andern Thuͤr
hinaus, den Brief zu leſen, da Herr Hickmann Zeit
hatte, unterdeſſen ſeine weiſſen Zaͤhne an ſeinen Naͤ-
geln zu uͤben. So bald ich den Brief geleſen hat-
te, ſuchte ich meine Mutter auf, und ſagte ihr den
recht grosmuͤthigen Jnhalt deſſelben, und daß Sie
mich ermahneten, ihrem Verbot Gehorſam zu lei-
ſten. Jch brachte die von Jhnen gemeldete Be-
dingung als aus eigenem Triebe in Vorſchlag: al-
lein meine Bitte ward abgewieſen.
Sie antwortete: ſie waͤre zwiſchen zwey Maͤd-
chens gerathen, die mehr Witz als Verſtand haͤtten.
Anſtatt Jhrer edlen Bitte Gehoͤr zu geben, und ſich
durch Jhre grosmuͤthigen Erklaͤrungen bewegen zu
laſſen, beſtaͤrckte ſie ſich eben dadurch in ihrer Mei-
nung, und erneuerte ihr Verbot, mit dem Zuſatz:
ich ſollte weiter kein Wort an Sie ſchreiben, als
daß ſie den Briefwechſel von neuen verboten haͤtte.
Dieſes Verbot ſollte ſo lange dauren, bis Sie mit
den Jhrigen ausgeſoͤhnt waͤren. Sie gab mir zu
verſtehen: ſie haͤtte dieſes Jhren Anverwanten ver-
ſprochen, und hoffete, daß ich gehorſam ſeyn wuͤrde.
Jch dachte eben an Jhren Verweiß, und war
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/349>, abgerufen am 22.12.2024.
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