finden, daß mancher gute Gedancken unter dem Dencken verflieget, und daß mancher lobenswürdi- ge Vorsatz vergessen wird, wenn ein anderer Vorsatz von geringerem Werthe ihn aus unsern Gedächt- niß treibet. Wenn ich aber aufzeichne, was ich ge- than habe oder mir zu thun vornehme, so habe ich den Entschluß oder die Handlung immer vor mir, und muß entweder dabey beharren, oder meine Mei- nung ändern, und ehemahlige Fehler verbessern: ich habe alsdenn gleichsam einen Bund mit mir ge- macht, weil ich meine Vorsätze niedergeschrieben habe, und je länger ich lebe weiter vor mich gehen und nicht zurückgehen will.
Jch wollte daher gern an Sie schreiben, wenn ich dürfte, weil mir das mehr Anreitzung zum Schreiben giebt, wenn ich nicht ohne Zweck schreibe, und einer Freundin einen Gefallen erzeige, nicht aber allein meiner Schreib-Sucht nachhänge.
Wie aber? wenn Jhre Frau Mutter erlauben wollte, daß ich an Sie schriebe, und Sie ihr alle meine Briefe zeigeten? wenn sie nur die Gütigkeit haben wollte, eine eintzige Bedingung einzugehen? Was meinen Sie, würde sie sich nicht bewegen las- sen, zu versprechen, daß der Jnhalt meiner Briefe bey ihr bleiben sollte?
Wenn ich einige Hoffnung zur Aussöhnung mit meinen Freunden hätte, so wollte ich meinen Hoch- muth nicht so hätscheln und verziehen, daß ich es vor irgend jemand geheim hielte, wie thöricht ich ge- wesen bin, und wie sehr ich mich habe hinter das Licht führen lassen. Jch wollte in solchem Falle,
sobald
finden, daß mancher gute Gedancken unter dem Dencken verflieget, und daß mancher lobenswuͤrdi- ge Vorſatz vergeſſen wird, wenn ein anderer Vorſatz von geringerem Werthe ihn aus unſern Gedaͤcht- niß treibet. Wenn ich aber aufzeichne, was ich ge- than habe oder mir zu thun vornehme, ſo habe ich den Entſchluß oder die Handlung immer vor mir, und muß entweder dabey beharren, oder meine Mei- nung aͤndern, und ehemahlige Fehler verbeſſern: ich habe alsdenn gleichſam einen Bund mit mir ge- macht, weil ich meine Vorſaͤtze niedergeſchrieben habe, und je laͤnger ich lebe weiter vor mich gehen und nicht zuruͤckgehen will.
Jch wollte daher gern an Sie ſchreiben, wenn ich duͤrfte, weil mir das mehr Anreitzung zum Schreiben giebt, wenn ich nicht ohne Zweck ſchreibe, und einer Freundin einen Gefallen erzeige, nicht aber allein meiner Schreib-Sucht nachhaͤnge.
Wie aber? wenn Jhre Frau Mutter erlauben wollte, daß ich an Sie ſchriebe, und Sie ihr alle meine Briefe zeigeten? wenn ſie nur die Guͤtigkeit haben wollte, eine eintzige Bedingung einzugehen? Was meinen Sie, wuͤrde ſie ſich nicht bewegen laſ- ſen, zu verſprechen, daß der Jnhalt meiner Briefe bey ihr bleiben ſollte?
Wenn ich einige Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit meinen Freunden haͤtte, ſo wollte ich meinen Hoch- muth nicht ſo haͤtſcheln und verziehen, daß ich es vor irgend jemand geheim hielte, wie thoͤricht ich ge- weſen bin, und wie ſehr ich mich habe hinter das Licht fuͤhren laſſen. Jch wollte in ſolchem Falle,
ſobald
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0340"n="326"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
finden, daß mancher gute Gedancken unter dem<lb/>
Dencken verflieget, und daß mancher lobenswuͤrdi-<lb/>
ge Vorſatz vergeſſen wird, wenn ein anderer Vorſatz<lb/>
von geringerem Werthe ihn aus unſern Gedaͤcht-<lb/>
niß treibet. Wenn ich aber aufzeichne, was ich ge-<lb/>
than habe oder mir zu thun vornehme, ſo habe ich<lb/>
den Entſchluß oder die Handlung immer vor mir,<lb/>
und muß entweder dabey beharren, oder meine Mei-<lb/>
nung aͤndern, und ehemahlige Fehler verbeſſern:<lb/>
ich habe alsdenn gleichſam einen Bund mit mir ge-<lb/>
macht, weil ich meine Vorſaͤtze niedergeſchrieben<lb/>
habe, und je laͤnger ich lebe weiter vor mich gehen<lb/>
und nicht zuruͤckgehen will.</p><lb/><p>Jch wollte daher gern an Sie ſchreiben, wenn<lb/>
ich duͤrfte, weil mir das mehr Anreitzung zum<lb/>
Schreiben giebt, wenn ich nicht ohne Zweck ſchreibe,<lb/>
und einer Freundin einen Gefallen erzeige, nicht<lb/>
aber allein meiner Schreib-Sucht nachhaͤnge.</p><lb/><p>Wie aber? wenn Jhre Frau Mutter erlauben<lb/>
wollte, daß ich an Sie ſchriebe, und Sie ihr alle<lb/>
meine Briefe zeigeten? wenn ſie nur die Guͤtigkeit<lb/>
haben wollte, eine eintzige Bedingung einzugehen?<lb/>
Was meinen Sie, wuͤrde ſie ſich nicht bewegen laſ-<lb/>ſen, zu verſprechen, daß der Jnhalt meiner Briefe<lb/><hirendition="#fr">bey ihr bleiben ſollte?</hi></p><lb/><p>Wenn ich einige Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit<lb/>
meinen Freunden haͤtte, ſo wollte ich meinen Hoch-<lb/>
muth nicht ſo haͤtſcheln und verziehen, daß ich es<lb/>
vor irgend jemand geheim hielte, wie thoͤricht ich ge-<lb/>
weſen bin, und wie ſehr ich mich habe hinter das<lb/>
Licht fuͤhren laſſen. Jch wollte in ſolchem Falle,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſobald</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[326/0340]
finden, daß mancher gute Gedancken unter dem
Dencken verflieget, und daß mancher lobenswuͤrdi-
ge Vorſatz vergeſſen wird, wenn ein anderer Vorſatz
von geringerem Werthe ihn aus unſern Gedaͤcht-
niß treibet. Wenn ich aber aufzeichne, was ich ge-
than habe oder mir zu thun vornehme, ſo habe ich
den Entſchluß oder die Handlung immer vor mir,
und muß entweder dabey beharren, oder meine Mei-
nung aͤndern, und ehemahlige Fehler verbeſſern:
ich habe alsdenn gleichſam einen Bund mit mir ge-
macht, weil ich meine Vorſaͤtze niedergeſchrieben
habe, und je laͤnger ich lebe weiter vor mich gehen
und nicht zuruͤckgehen will.
Jch wollte daher gern an Sie ſchreiben, wenn
ich duͤrfte, weil mir das mehr Anreitzung zum
Schreiben giebt, wenn ich nicht ohne Zweck ſchreibe,
und einer Freundin einen Gefallen erzeige, nicht
aber allein meiner Schreib-Sucht nachhaͤnge.
Wie aber? wenn Jhre Frau Mutter erlauben
wollte, daß ich an Sie ſchriebe, und Sie ihr alle
meine Briefe zeigeten? wenn ſie nur die Guͤtigkeit
haben wollte, eine eintzige Bedingung einzugehen?
Was meinen Sie, wuͤrde ſie ſich nicht bewegen laſ-
ſen, zu verſprechen, daß der Jnhalt meiner Briefe
bey ihr bleiben ſollte?
Wenn ich einige Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit
meinen Freunden haͤtte, ſo wollte ich meinen Hoch-
muth nicht ſo haͤtſcheln und verziehen, daß ich es
vor irgend jemand geheim hielte, wie thoͤricht ich ge-
weſen bin, und wie ſehr ich mich habe hinter das
Licht fuͤhren laſſen. Jch wollte in ſolchem Falle,
ſobald
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/340>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.