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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Sie sagen: es wären ausser der Pflicht gegen die
Eltern noch andere Pflichten. Allein dieses ist doch
die vornehmste Pflicht, die so zu reden älter ist,
als wir selbst und als unsere Geburt. Welche
Pflicht wird dieser nicht weichen müssen, wenn ein
Widerspruch der Pflichten entstehet?

Sie glauben, daß beyde Pflichten wohl mit ein-
ander bestehen können. Allein ihre Frau Mutter
glaubt das nicht. Was wird hieraus für ein Schluß
folgen.

Wie wichtige Ursachen hat Jhre Frau Mutter,
über Sie zu wachen, da sie siehet, wie sehr mein gu-
ter Nahme durch eine unbesonnene Handlung leidet,
die sie und andere nie von mir erwartet hätten. Ein
Uebel pflegt das andere nach sich zu ziehen: und
weder sie, noch sonst jemand kann wissen, wo das
Unglück aufhören wird.

Muß man nicht entweder den Willen oder die
Beurtheilungs-Krafft einer Person verdächtig hal-
ten, die offenbahre Fehler rechtfertigen oder entschul-
digen will? und so muß Jhre Frau Mutter Sie
nothwendig ansehen. Muß sie nicht befürchten,
daß ein jeder, der Lust zu tadeln hat, sagen wird:
wer den Fehler entschuldiget, der würde ihn in glei-
chen Umständen und bey eben den Reitzungen
auch begangen haben? Jch bediene mich einiger
Ausdrücke, die selbst in Jhren ehemahligen Brief-
fen befindlich sind.

Kann ein stärckerer Erweiß von der Wahrheit,
daß die Eltern hohe Ursache haben über ihre Kin-
der sehr sorgfältig zu wachen, wenn gleich jedermann

die


Sie ſagen: es waͤren auſſer der Pflicht gegen die
Eltern noch andere Pflichten. Allein dieſes iſt doch
die vornehmſte Pflicht, die ſo zu reden aͤlter iſt,
als wir ſelbſt und als unſere Geburt. Welche
Pflicht wird dieſer nicht weichen muͤſſen, wenn ein
Widerſpruch der Pflichten entſtehet?

Sie glauben, daß beyde Pflichten wohl mit ein-
ander beſtehen koͤnnen. Allein ihre Frau Mutter
glaubt das nicht. Was wird hieraus fuͤr ein Schluß
folgen.

Wie wichtige Urſachen hat Jhre Frau Mutter,
uͤber Sie zu wachen, da ſie ſiehet, wie ſehr mein gu-
ter Nahme durch eine unbeſonnene Handlung leidet,
die ſie und andere nie von mir erwartet haͤtten. Ein
Uebel pflegt das andere nach ſich zu ziehen: und
weder ſie, noch ſonſt jemand kann wiſſen, wo das
Ungluͤck aufhoͤren wird.

Muß man nicht entweder den Willen oder die
Beurtheilungs-Krafft einer Perſon verdaͤchtig hal-
ten, die offenbahre Fehler rechtfertigen oder entſchul-
digen will? und ſo muß Jhre Frau Mutter Sie
nothwendig anſehen. Muß ſie nicht befuͤrchten,
daß ein jeder, der Luſt zu tadeln hat, ſagen wird:
wer den Fehler entſchuldiget, der wuͤrde ihn in glei-
chen Umſtaͤnden und bey eben den Reitzungen
auch begangen haben? Jch bediene mich einiger
Ausdruͤcke, die ſelbſt in Jhren ehemahligen Brief-
fen befindlich ſind.

Kann ein ſtaͤrckerer Erweiß von der Wahrheit,
daß die Eltern hohe Urſache haben uͤber ihre Kin-
der ſehr ſorgfaͤltig zu wachen, wenn gleich jedermann

die
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[317/0331] Sie ſagen: es waͤren auſſer der Pflicht gegen die Eltern noch andere Pflichten. Allein dieſes iſt doch die vornehmſte Pflicht, die ſo zu reden aͤlter iſt, als wir ſelbſt und als unſere Geburt. Welche Pflicht wird dieſer nicht weichen muͤſſen, wenn ein Widerſpruch der Pflichten entſtehet? Sie glauben, daß beyde Pflichten wohl mit ein- ander beſtehen koͤnnen. Allein ihre Frau Mutter glaubt das nicht. Was wird hieraus fuͤr ein Schluß folgen. Wie wichtige Urſachen hat Jhre Frau Mutter, uͤber Sie zu wachen, da ſie ſiehet, wie ſehr mein gu- ter Nahme durch eine unbeſonnene Handlung leidet, die ſie und andere nie von mir erwartet haͤtten. Ein Uebel pflegt das andere nach ſich zu ziehen: und weder ſie, noch ſonſt jemand kann wiſſen, wo das Ungluͤck aufhoͤren wird. Muß man nicht entweder den Willen oder die Beurtheilungs-Krafft einer Perſon verdaͤchtig hal- ten, die offenbahre Fehler rechtfertigen oder entſchul- digen will? und ſo muß Jhre Frau Mutter Sie nothwendig anſehen. Muß ſie nicht befuͤrchten, daß ein jeder, der Luſt zu tadeln hat, ſagen wird: wer den Fehler entſchuldiget, der wuͤrde ihn in glei- chen Umſtaͤnden und bey eben den Reitzungen auch begangen haben? Jch bediene mich einiger Ausdruͤcke, die ſelbſt in Jhren ehemahligen Brief- fen befindlich ſind. Kann ein ſtaͤrckerer Erweiß von der Wahrheit, daß die Eltern hohe Urſache haben uͤber ihre Kin- der ſehr ſorgfaͤltig zu wachen, wenn gleich jedermann die

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/331>, abgerufen am 25.11.2024.