rung misbillige, da ihr edles Hertz sie zu einer sol- chen Vergehung verleitet hat, die sie vielleicht des- wegen nicht für eine Vergehung erkennet, weil es eine so edle Vergehung ist. Niemand hat mehr Grund als ich, diese Uebereilung zu bereuen, weil ich die unglückliche Ursache davon bin.
Sie schreiben: Sie wüßten zum voraus, daß mich diese Nachricht beunruhigen würde. Sie wollen mich deswegen der Mühe überheben, Jh- nen Nachricht von meiner Unruhe zu geben.
Sonst waren Sie nicht gewohnt, mit dergleichen Verbote zum voraus zu geben, sondern sagten viel- mehr: Sie liebeten mich destomehr, weil ich Jhnen Jhre Hitze zuweilen verwiese, von der Sie selbst ein- sahen, daß Sie Ursache hätten sich davor als vor einem gefährlichen Feinde zu hüten. Wenn ich aber gleich auf eine so unglückliche Weise gefallen bin, so glaube ich dennoch, daß meine Urtheile, (wenn sie anders jemahls gesund gewesen sind) noch eben so gesund sind als ehemahls, weil sie gegen mich nicht gelinder sind als gegen andere. Da meine Sünde gleichsam ansteckend ist, und auch Sie zu einem verbotenen Brief-Wechsel verleitet, und da alle üble Folgen Jhres Ungehorsams meine Sünde nur schwerer machen würden: so bin ich ja schuldig, Jh- nen mein Misfallen zu erkennen zu geben.
Ein solches Gemüth, als das Jhrige ist, das sich einer so unveränderlichen Freundschaft rühmen kann, einer Freundschaft, die durch Zufälle und Unglück nicht ab, sondern zunimmt, kann die wohl- gemeinten Erinnerungen der allerbesten Freundin
ohnmög-
rung misbillige, da ihr edles Hertz ſie zu einer ſol- chen Vergehung verleitet hat, die ſie vielleicht des- wegen nicht fuͤr eine Vergehung erkennet, weil es eine ſo edle Vergehung iſt. Niemand hat mehr Grund als ich, dieſe Uebereilung zu bereuen, weil ich die ungluͤckliche Urſache davon bin.
Sie ſchreiben: Sie wuͤßten zum voraus, daß mich dieſe Nachricht beunruhigen wuͤrde. Sie wollen mich deswegen der Muͤhe uͤberheben, Jh- nen Nachricht von meiner Unruhe zu geben.
Sonſt waren Sie nicht gewohnt, mit dergleichen Verbote zum voraus zu geben, ſondern ſagten viel- mehr: Sie liebeten mich deſtomehr, weil ich Jhnen Jhre Hitze zuweilen verwieſe, von der Sie ſelbſt ein- ſahen, daß Sie Urſache haͤtten ſich davor als vor einem gefaͤhrlichen Feinde zu huͤten. Wenn ich aber gleich auf eine ſo ungluͤckliche Weiſe gefallen bin, ſo glaube ich dennoch, daß meine Urtheile, (wenn ſie anders jemahls geſund geweſen ſind) noch eben ſo geſund ſind als ehemahls, weil ſie gegen mich nicht gelinder ſind als gegen andere. Da meine Suͤnde gleichſam anſteckend iſt, und auch Sie zu einem verbotenen Brief-Wechſel verleitet, und da alle uͤble Folgen Jhres Ungehorſams meine Suͤnde nur ſchwerer machen wuͤrden: ſo bin ich ja ſchuldig, Jh- nen mein Misfallen zu erkennen zu geben.
Ein ſolches Gemuͤth, als das Jhrige iſt, das ſich einer ſo unveraͤnderlichen Freundſchaft ruͤhmen kann, einer Freundſchaft, die durch Zufaͤlle und Ungluͤck nicht ab, ſondern zunimmt, kann die wohl- gemeinten Erinnerungen der allerbeſten Freundin
ohnmoͤg-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0329"n="315"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
rung misbillige, da ihr edles Hertz ſie zu einer ſol-<lb/>
chen Vergehung verleitet hat, die ſie vielleicht des-<lb/>
wegen nicht fuͤr eine Vergehung erkennet, weil es<lb/>
eine ſo edle Vergehung iſt. Niemand hat mehr<lb/>
Grund als ich, dieſe Uebereilung zu bereuen, weil<lb/>
ich die ungluͤckliche Urſache davon bin.</p><lb/><p>Sie ſchreiben: Sie wuͤßten zum voraus, daß<lb/>
mich dieſe Nachricht beunruhigen wuͤrde. Sie<lb/>
wollen mich deswegen der Muͤhe uͤberheben, Jh-<lb/>
nen Nachricht von meiner Unruhe zu geben.</p><lb/><p>Sonſt waren Sie nicht gewohnt, mit dergleichen<lb/>
Verbote zum voraus zu geben, ſondern ſagten viel-<lb/>
mehr: Sie liebeten mich deſtomehr, weil ich Jhnen<lb/>
Jhre Hitze zuweilen verwieſe, von der Sie ſelbſt ein-<lb/>ſahen, daß Sie Urſache haͤtten ſich davor als vor<lb/>
einem gefaͤhrlichen Feinde zu huͤten. Wenn ich<lb/>
aber gleich auf eine ſo ungluͤckliche Weiſe gefallen<lb/>
bin, ſo glaube ich dennoch, daß meine Urtheile, (wenn<lb/>ſie anders jemahls geſund geweſen ſind) noch eben ſo<lb/>
geſund ſind als ehemahls, weil ſie gegen mich nicht<lb/>
gelinder ſind als gegen andere. Da meine Suͤnde<lb/>
gleichſam anſteckend iſt, und auch Sie zu einem<lb/>
verbotenen Brief-Wechſel verleitet, und da alle uͤble<lb/>
Folgen Jhres Ungehorſams meine Suͤnde nur<lb/>ſchwerer machen wuͤrden: ſo bin ich ja ſchuldig, Jh-<lb/>
nen mein Misfallen zu erkennen zu geben.</p><lb/><p>Ein ſolches Gemuͤth, als das Jhrige iſt, das<lb/>ſich einer ſo unveraͤnderlichen Freundſchaft ruͤhmen<lb/>
kann, einer Freundſchaft, die durch Zufaͤlle und<lb/>
Ungluͤck nicht ab, ſondern zunimmt, kann die wohl-<lb/>
gemeinten Erinnerungen der allerbeſten Freundin<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ohnmoͤg-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[315/0329]
rung misbillige, da ihr edles Hertz ſie zu einer ſol-
chen Vergehung verleitet hat, die ſie vielleicht des-
wegen nicht fuͤr eine Vergehung erkennet, weil es
eine ſo edle Vergehung iſt. Niemand hat mehr
Grund als ich, dieſe Uebereilung zu bereuen, weil
ich die ungluͤckliche Urſache davon bin.
Sie ſchreiben: Sie wuͤßten zum voraus, daß
mich dieſe Nachricht beunruhigen wuͤrde. Sie
wollen mich deswegen der Muͤhe uͤberheben, Jh-
nen Nachricht von meiner Unruhe zu geben.
Sonſt waren Sie nicht gewohnt, mit dergleichen
Verbote zum voraus zu geben, ſondern ſagten viel-
mehr: Sie liebeten mich deſtomehr, weil ich Jhnen
Jhre Hitze zuweilen verwieſe, von der Sie ſelbſt ein-
ſahen, daß Sie Urſache haͤtten ſich davor als vor
einem gefaͤhrlichen Feinde zu huͤten. Wenn ich
aber gleich auf eine ſo ungluͤckliche Weiſe gefallen
bin, ſo glaube ich dennoch, daß meine Urtheile, (wenn
ſie anders jemahls geſund geweſen ſind) noch eben ſo
geſund ſind als ehemahls, weil ſie gegen mich nicht
gelinder ſind als gegen andere. Da meine Suͤnde
gleichſam anſteckend iſt, und auch Sie zu einem
verbotenen Brief-Wechſel verleitet, und da alle uͤble
Folgen Jhres Ungehorſams meine Suͤnde nur
ſchwerer machen wuͤrden: ſo bin ich ja ſchuldig, Jh-
nen mein Misfallen zu erkennen zu geben.
Ein ſolches Gemuͤth, als das Jhrige iſt, das
ſich einer ſo unveraͤnderlichen Freundſchaft ruͤhmen
kann, einer Freundſchaft, die durch Zufaͤlle und
Ungluͤck nicht ab, ſondern zunimmt, kann die wohl-
gemeinten Erinnerungen der allerbeſten Freundin
ohnmoͤg-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/329>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.