und Jhrer uneingeschränckten Menschen-Liebe. Doch ich soll den Lehr-Stuhl verlassen, und von dem etwas melden, was in unserm Hause vorgefallen ist.
Jch schloß mich den gantzen Tag ein: und was ich von Speise kostete, das mußte auf meine Stube gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter mir durch Kitty sagen, ich sollte zum Abend-essen hinunter kommen, oder sie würde es für einen unge- horsam ansehen. Jch ging hinunter, und suchte alle meine Ehre darin, daß ich mürrisch war. Jch redete schon viel, wenn mir Ja und Nein en[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]fiel.
Sie sagte: mit einer solchen Aufführung würde ich wenig bey ihr ausrichten.
Jch: und sie wenig bey mir mit Schläger.
Sie sagte: meine dreiste Widersetzung häte sie so verdrossen, daß sie mich auf die Hand geschagen hätte. Es thäte ihr leid, daß ich sie dazu ge- zwungen hätte. Sie drang von neuen darauf, ich sollte entweder gar nicht an Sie schreiben, oder ich sollte ihr alle Briefe zeigen.
Keins von beyden! (antwortete ich.) Eswür- de wider meine Ehre und Neigung seyn, auf An- stiften niederträchtiger Leute meiner besten Freundin in ihrem Unglück die Freundschaft aufzukündigen.
Was eine Mutter von Gehorsam, Pflicht, Kindern, Müttern, predigen kann, das kam alles zum Vorschein.
Jch antwortete: wenn ich Sie unglücklich nen- nen sollen, so sey die eintzige Ursache Jhres Unglücks, daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedäh- net hätte. Wenn ich so fern erwachsen wäre, daß
sie
und Jhrer uneingeſchraͤnckten Menſchen-Liebe. Doch ich ſoll den Lehr-Stuhl verlaſſen, und von dem etwas melden, was in unſerm Hauſe vorgefallen iſt.
Jch ſchloß mich den gantzen Tag ein: und was ich von Speiſe koſtete, das mußte auf meine Stube gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter mir durch Kitty ſagen, ich ſollte zum Abend-eſſen hinunter kommen, oder ſie wuͤrde es fuͤr einen unge- horſam anſehen. Jch ging hinunter, und ſuchte alle meine Ehre darin, daß ich muͤrriſch war. Jch redete ſchon viel, wenn mir Ja und Nein en[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]fiel.
Sie ſagte: mit einer ſolchen Auffuͤhrung wuͤrde ich wenig bey ihr ausrichten.
Jch: und ſie wenig bey mir mit Schlaͤger.
Sie ſagte: meine dreiſte Widerſetzung haͤte ſie ſo verdroſſen, daß ſie mich auf die Hand geſchagen haͤtte. Es thaͤte ihr leid, daß ich ſie dazu ge- zwungen haͤtte. Sie drang von neuen darauf, ich ſollte entweder gar nicht an Sie ſchreiben, oder ich ſollte ihr alle Briefe zeigen.
Keins von beyden! (antwortete ich.) Eſwuͤr- de wider meine Ehre und Neigung ſeyn, auf An- ſtiften niedertraͤchtiger Leute meiner beſten Freundin in ihrem Ungluͤck die Freundſchaft aufzukuͤndigen.
Was eine Mutter von Gehorſam, Pflicht, Kindern, Muͤttern, predigen kann, das kam alles zum Vorſchein.
Jch antwortete: wenn ich Sie ungluͤcklich nen- nen ſollen, ſo ſey die eintzige Urſache Jhres Ungluͤcks, daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedaͤh- net haͤtte. Wenn ich ſo fern erwachſen waͤre, daß
ſie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0324"n="310"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
und Jhrer uneingeſchraͤnckten Menſchen-Liebe.<lb/>
Doch ich ſoll den Lehr-Stuhl verlaſſen, und von dem<lb/>
etwas melden, was in unſerm Hauſe vorgefallen iſt.</p><lb/><p>Jch ſchloß mich den gantzen Tag ein: und was<lb/>
ich von Speiſe koſtete, das mußte auf meine Stube<lb/>
gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter<lb/>
mir durch <hirendition="#fr">Kitty</hi>ſagen, ich ſollte zum Abend-eſſen<lb/>
hinunter kommen, oder ſie wuͤrde es fuͤr einen unge-<lb/>
horſam anſehen. Jch ging hinunter, und ſuchte<lb/>
alle meine Ehre darin, daß ich muͤrriſch war. Jch<lb/>
redete ſchon viel, wenn mir <hirendition="#fr">Ja</hi> und <hirendition="#fr">Nein</hi> en<gapreason="illegible"unit="chars"quantity="1"/>fiel.</p><lb/><p>Sie ſagte: mit einer ſolchen Auffuͤhrung wuͤrde<lb/>
ich wenig bey ihr ausrichten.</p><lb/><p>Jch: und ſie wenig bey mir mit Schlaͤger.</p><lb/><p>Sie ſagte: meine dreiſte Widerſetzung haͤte ſie<lb/>ſo verdroſſen, daß ſie mich auf die Hand geſchagen<lb/>
haͤtte. Es thaͤte ihr leid, daß ich ſie dazu ge-<lb/>
zwungen haͤtte. Sie drang von neuen darauf, ich<lb/>ſollte entweder gar nicht an Sie ſchreiben, oder ich<lb/>ſollte ihr alle Briefe zeigen.</p><lb/><p>Keins von beyden! (antwortete ich.) Eſwuͤr-<lb/>
de wider meine Ehre und Neigung ſeyn, auf An-<lb/>ſtiften niedertraͤchtiger Leute meiner beſten Freundin<lb/>
in ihrem Ungluͤck die Freundſchaft aufzukuͤndigen.</p><lb/><p>Was eine Mutter von Gehorſam, Pflicht,<lb/>
Kindern, Muͤttern, predigen kann, das kam alles<lb/>
zum Vorſchein.</p><lb/><p>Jch antwortete: wenn ich Sie ungluͤcklich nen-<lb/>
nen ſollen, ſo ſey die eintzige Urſache Jhres Ungluͤcks,<lb/>
daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedaͤh-<lb/>
net haͤtte. Wenn ich ſo fern erwachſen waͤre, daß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſie</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[310/0324]
und Jhrer uneingeſchraͤnckten Menſchen-Liebe.
Doch ich ſoll den Lehr-Stuhl verlaſſen, und von dem
etwas melden, was in unſerm Hauſe vorgefallen iſt.
Jch ſchloß mich den gantzen Tag ein: und was
ich von Speiſe koſtete, das mußte auf meine Stube
gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter
mir durch Kitty ſagen, ich ſollte zum Abend-eſſen
hinunter kommen, oder ſie wuͤrde es fuͤr einen unge-
horſam anſehen. Jch ging hinunter, und ſuchte
alle meine Ehre darin, daß ich muͤrriſch war. Jch
redete ſchon viel, wenn mir Ja und Nein en_fiel.
Sie ſagte: mit einer ſolchen Auffuͤhrung wuͤrde
ich wenig bey ihr ausrichten.
Jch: und ſie wenig bey mir mit Schlaͤger.
Sie ſagte: meine dreiſte Widerſetzung haͤte ſie
ſo verdroſſen, daß ſie mich auf die Hand geſchagen
haͤtte. Es thaͤte ihr leid, daß ich ſie dazu ge-
zwungen haͤtte. Sie drang von neuen darauf, ich
ſollte entweder gar nicht an Sie ſchreiben, oder ich
ſollte ihr alle Briefe zeigen.
Keins von beyden! (antwortete ich.) Eſwuͤr-
de wider meine Ehre und Neigung ſeyn, auf An-
ſtiften niedertraͤchtiger Leute meiner beſten Freundin
in ihrem Ungluͤck die Freundſchaft aufzukuͤndigen.
Was eine Mutter von Gehorſam, Pflicht,
Kindern, Muͤttern, predigen kann, das kam alles
zum Vorſchein.
Jch antwortete: wenn ich Sie ungluͤcklich nen-
nen ſollen, ſo ſey die eintzige Urſache Jhres Ungluͤcks,
daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedaͤh-
net haͤtte. Wenn ich ſo fern erwachſen waͤre, daß
ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/324>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.