Der fünf und dreißigste Brief. von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Mittewochens den 19. April.
Jch freue mich, daß Sie mit meiner Reise nach London zufrieden sind.
Ueber das Misvergnügen, welches zwischen Jh- nen und ihrer Frau Mutter obwaltet, bin ich sehr bekümmert. Jch hoffe, daß Sie beyde nicht völ- lig so unglücklich sind, als ich es mir vorstelle. Allein lassen Sie mich doch etwas mehr von dem Streit mit Jhrer Mutter erfahren: ich kenne Jhre Ausdrücke, und Sie nennen es, einen ziemlich artigen Streit. Jhre Frau Mutter mag noch so hart gegen mich gewesen seyn, so wird es mir dennoch zur Erleichterung gereichen, wenn ich alle Umstände weiß. Wer gefehlet hat, der muß seine Fehler bereuen, und nicht über das Misfallen, das andere darüber bezeugen, ungehalten seyn.
Wenn ich jemanden in England Geld schuldig seyn will, so will ich es Jhnen schuldig seyn. Sie schreiben, Jhre Frau Mutter braucht nichts da- von zu wissen. Sie muß es aber wissen. Wie, wenn Jhre Frau Mutter Sie fraget, ob Sie mir Geld geliehen haben? Wollen Sie sie betriegen oder ihr eine Unwahrheit sagen? Jch wünschte, daß sich Jhre Frau Mutter in dem Stück beruhigen könnte. Vergeben Sie mir, ich weiß ---- Ehemahls hatte sie eine bessere Meinung von mir. O meine Ueber-
eilung!
Der fuͤnf und dreißigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Mittewochens den 19. April.
Jch freue mich, daß Sie mit meiner Reiſe nach London zufrieden ſind.
Ueber das Misvergnuͤgen, welches zwiſchen Jh- nen und ihrer Frau Mutter obwaltet, bin ich ſehr bekuͤmmert. Jch hoffe, daß Sie beyde nicht voͤl- lig ſo ungluͤcklich ſind, als ich es mir vorſtelle. Allein laſſen Sie mich doch etwas mehr von dem Streit mit Jhrer Mutter erfahren: ich kenne Jhre Ausdruͤcke, und Sie nennen es, einen ziemlich artigen Streit. Jhre Frau Mutter mag noch ſo hart gegen mich geweſen ſeyn, ſo wird es mir dennoch zur Erleichterung gereichen, wenn ich alle Umſtaͤnde weiß. Wer gefehlet hat, der muß ſeine Fehler bereuen, und nicht uͤber das Misfallen, das andere daruͤber bezeugen, ungehalten ſeyn.
Wenn ich jemanden in England Geld ſchuldig ſeyn will, ſo will ich es Jhnen ſchuldig ſeyn. Sie ſchreiben, Jhre Frau Mutter braucht nichts da- von zu wiſſen. Sie muß es aber wiſſen. Wie, wenn Jhre Frau Mutter Sie fraget, ob Sie mir Geld geliehen haben? Wollen Sie ſie betriegen oder ihr eine Unwahrheit ſagen? Jch wuͤnſchte, daß ſich Jhre Frau Mutter in dem Stuͤck beruhigen koͤnnte. Vergeben Sie mir, ich weiß ‒‒‒‒ Ehemahls hatte ſie eine beſſere Meinung von mir. O meine Ueber-
eilung!
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Der fuͤnf und dreißigſte Brief.
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Mittewochens den 19. April.
Jch freue mich, daß Sie mit meiner Reiſe nach
London zufrieden ſind.
Ueber das Misvergnuͤgen, welches zwiſchen Jh-
nen und ihrer Frau Mutter obwaltet, bin ich ſehr
bekuͤmmert. Jch hoffe, daß Sie beyde nicht voͤl-
lig ſo ungluͤcklich ſind, als ich es mir vorſtelle.
Allein laſſen Sie mich doch etwas mehr von dem
Streit mit Jhrer Mutter erfahren: ich kenne Jhre
Ausdruͤcke, und Sie nennen es, einen ziemlich
artigen Streit. Jhre Frau Mutter mag noch
ſo hart gegen mich geweſen ſeyn, ſo wird es mir
dennoch zur Erleichterung gereichen, wenn ich alle
Umſtaͤnde weiß. Wer gefehlet hat, der muß ſeine
Fehler bereuen, und nicht uͤber das Misfallen, das
andere daruͤber bezeugen, ungehalten ſeyn.
Wenn ich jemanden in England Geld ſchuldig
ſeyn will, ſo will ich es Jhnen ſchuldig ſeyn. Sie
ſchreiben, Jhre Frau Mutter braucht nichts da-
von zu wiſſen. Sie muß es aber wiſſen. Wie,
wenn Jhre Frau Mutter Sie fraget, ob Sie mir
Geld geliehen haben? Wollen Sie ſie betriegen oder
ihr eine Unwahrheit ſagen? Jch wuͤnſchte, daß ſich
Jhre Frau Mutter in dem Stuͤck beruhigen koͤnnte.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/300>, abgerufen am 21.11.2024.
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