Weil er mir London einige mahl vorgeschlagen hatte, so erwartete ich, daß er diesen Vorschlag alsobald ergreiffen würde. Er stellete sich aber gantz kaltsinnig: ob gleich sein Auge zu verrathen schien, daß mein Vorschlag ihm gefiele. Wir ge- ben einander beyde sehr genau auf die Augen Acht; und scheinet fast, daß wir uns vor einander fürchten.
Er that mir hierauf den angenehmen Vorschlag, die Frau Norton zu ersuchen, daß sie mir Ge- sellschafft leisten möchte. Er setzte dazu, nun sähe er doch endlich an meinen Augen, daß er etwas ge- troffen hätte, das mir und ihm angenehm sey. War- um ich doch vorhin nicht von freyen Stücken dar- auf gefallen wäre? Er ergriff meine Hand! soll ich schreiben? soll ich jemand hinschicken? soll ich selbst hinreisen und die Frau hohlen?
Nachdem ich mich ein wenig bedacht hatte, ant- wortete ich ihm: der Vorschlag sey mir zwar an- genehm. Allein ich befürchtete, die gute Frau möchte dadurch in verdrießliche Umstände gerathen. Denn es würde sich für eine Witwe der man so viele Ueberlegung zutrauet, nicht schicken, sich mit einer entlauffenen Tochter gleichsam gegen ihre Eltern zu vereinigen. Ueber dieses würde sie hie- durch gäntzlich mit meiner Mutter zerfallen, ohne daß ich in dem Stande wäre, ihr den Schaden, den sie dabey litte, gut zu thun.
Seine Antwort war artig und edelmüthig genug: o mein Hertzens-Kind, das letzte muß keine Hin- derniß seyn. Jch will alles für die Frau thun, was sie wünschen können. Erlauben sie mir, daß ich sie hohle.
Jch
Weil er mir London einige mahl vorgeſchlagen hatte, ſo erwartete ich, daß er dieſen Vorſchlag alſobald ergreiffen wuͤrde. Er ſtellete ſich aber gantz kaltſinnig: ob gleich ſein Auge zu verrathen ſchien, daß mein Vorſchlag ihm gefiele. Wir ge- ben einander beyde ſehr genau auf die Augen Acht; und ſcheinet faſt, daß wir uns vor einander fuͤrchten.
Er that mir hierauf den angenehmen Vorſchlag, die Frau Norton zu erſuchen, daß ſie mir Ge- ſellſchafft leiſten moͤchte. Er ſetzte dazu, nun ſaͤhe er doch endlich an meinen Augen, daß er etwas ge- troffen haͤtte, das mir und ihm angenehm ſey. War- um ich doch vorhin nicht von freyen Stuͤcken dar- auf gefallen waͤre? Er ergriff meine Hand! ſoll ich ſchreiben? ſoll ich jemand hinſchicken? ſoll ich ſelbſt hinreiſen und die Frau hohlen?
Nachdem ich mich ein wenig bedacht hatte, ant- wortete ich ihm: der Vorſchlag ſey mir zwar an- genehm. Allein ich befuͤrchtete, die gute Frau moͤchte dadurch in verdrießliche Umſtaͤnde gerathen. Denn es wuͤrde ſich fuͤr eine Witwe der man ſo viele Ueberlegung zutrauet, nicht ſchicken, ſich mit einer entlauffenen Tochter gleichſam gegen ihre Eltern zu vereinigen. Ueber dieſes wuͤrde ſie hie- durch gaͤntzlich mit meiner Mutter zerfallen, ohne daß ich in dem Stande waͤre, ihr den Schaden, den ſie dabey litte, gut zu thun.
Seine Antwort war artig und edelmuͤthig genug: o mein Hertzens-Kind, das letzte muß keine Hin- derniß ſeyn. Jch will alles fuͤr die Frau thun, was ſie wuͤnſchen koͤnnen. Erlauben ſie mir, daß ich ſie hohle.
Jch
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Weil er mir London einige mahl vorgeſchlagen
hatte, ſo erwartete ich, daß er dieſen Vorſchlag
alſobald ergreiffen wuͤrde. Er ſtellete ſich aber
gantz kaltſinnig: ob gleich ſein Auge zu verrathen
ſchien, daß mein Vorſchlag ihm gefiele. Wir ge-
ben einander beyde ſehr genau auf die Augen Acht;
und ſcheinet faſt, daß wir uns vor einander fuͤrchten.
Er that mir hierauf den angenehmen Vorſchlag,
die Frau Norton zu erſuchen, daß ſie mir Ge-
ſellſchafft leiſten moͤchte. Er ſetzte dazu, nun ſaͤhe
er doch endlich an meinen Augen, daß er etwas ge-
troffen haͤtte, das mir und ihm angenehm ſey. War-
um ich doch vorhin nicht von freyen Stuͤcken dar-
auf gefallen waͤre? Er ergriff meine Hand! ſoll ich
ſchreiben? ſoll ich jemand hinſchicken? ſoll ich ſelbſt
hinreiſen und die Frau hohlen?
Nachdem ich mich ein wenig bedacht hatte, ant-
wortete ich ihm: der Vorſchlag ſey mir zwar an-
genehm. Allein ich befuͤrchtete, die gute Frau
moͤchte dadurch in verdrießliche Umſtaͤnde gerathen.
Denn es wuͤrde ſich fuͤr eine Witwe der man ſo viele
Ueberlegung zutrauet, nicht ſchicken, ſich mit
einer entlauffenen Tochter gleichſam gegen ihre
Eltern zu vereinigen. Ueber dieſes wuͤrde ſie hie-
durch gaͤntzlich mit meiner Mutter zerfallen, ohne
daß ich in dem Stande waͤre, ihr den Schaden, den
ſie dabey litte, gut zu thun.
Seine Antwort war artig und edelmuͤthig genug:
o mein Hertzens-Kind, das letzte muß keine Hin-
derniß ſeyn. Jch will alles fuͤr die Frau thun, was
ſie wuͤnſchen koͤnnen. Erlauben ſie mir, daß ich ſie
hohle.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/278>, abgerufen am 22.12.2024.
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