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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Sie machen mir wenigen Muth zu dem Menschen,
in dessen Händen ich mich befinde: und vielleicht
sind blos meine unglücklichen Umstände Ursache dar-
an, daß ich geneigt bin, das beste von ihm zu den-
cken. Was muß er für Absichten haben, wenn
seine guten Vorsätze ein bloßer Vorwand sind? Jst
es möglich, daß ein Mensch ein so abscheuliches Hertz
haben sollte? kann er den allmächtigen GOtt be-
triegen? kann er sich dieses nur vornehmen? Habe
ich nicht einige Ursache selbst wegen meiner Umstän-
de eine bessere Hoffnung von ihm zu fassen? Jch
bin ja dermaßen in seiner Gewalt, daß er nicht nö-
thig hätte, gegen mich ein so gräulicher Heuchler zu
seyn, er müßte denn eben das allerabscheulichste
Bubenstück, daß ich ihm nicht zutraue, vorhaben.
Er muß es zum wenigsten um die Zeit, wenn er
mir gute Hoffnung macht, im Ernst meinen. Die-
ses ist wol ohnstreitig, und Sie selbst scheinen es zu
glauben, sonst würden Sie mir nicht wünschen un-
ter ein so hartes Joch zu gerathen.

Dem ohngeachtet wäre es mir ungemein viel lie-
ber, wenn ich von ihm und von den Seinigen gantz
frey seyn könnte, ob ich gleich von seinen Anver-
wanten eine sehr hohe Meinung habe: ich wünschte
mir diese Unabhängigkeit zum wenigsten so lange,
bis ich sehe, wozu sich meine Anverwanten entschlies-
sen. Wenn diese Hoffnung völlig ohnmöglich wird,
so scheint mir das beste zu seyn, daß ich meine Zu-
flucht zu der Lady Elisabeth nehme: alsdenn wür-
de alles unanständige wegfallen, und ich würde viel-
leicht manchen Verdruß weniger haben; nur wür-

de
Dritter Theil. Q



Sie machen mir wenigen Muth zu dem Menſchen,
in deſſen Haͤnden ich mich befinde: und vielleicht
ſind blos meine ungluͤcklichen Umſtaͤnde Urſache dar-
an, daß ich geneigt bin, das beſte von ihm zu den-
cken. Was muß er fuͤr Abſichten haben, wenn
ſeine guten Vorſaͤtze ein bloßer Vorwand ſind? Jſt
es moͤglich, daß ein Menſch ein ſo abſcheuliches Hertz
haben ſollte? kann er den allmaͤchtigen GOtt be-
triegen? kann er ſich dieſes nur vornehmen? Habe
ich nicht einige Urſache ſelbſt wegen meiner Umſtaͤn-
de eine beſſere Hoffnung von ihm zu faſſen? Jch
bin ja dermaßen in ſeiner Gewalt, daß er nicht noͤ-
thig haͤtte, gegen mich ein ſo graͤulicher Heuchler zu
ſeyn, er muͤßte denn eben das allerabſcheulichſte
Bubenſtuͤck, daß ich ihm nicht zutraue, vorhaben.
Er muß es zum wenigſten um die Zeit, wenn er
mir gute Hoffnung macht, im Ernſt meinen. Die-
ſes iſt wol ohnſtreitig, und Sie ſelbſt ſcheinen es zu
glauben, ſonſt wuͤrden Sie mir nicht wuͤnſchen un-
ter ein ſo hartes Joch zu gerathen.

Dem ohngeachtet waͤre es mir ungemein viel lie-
ber, wenn ich von ihm und von den Seinigen gantz
frey ſeyn koͤnnte, ob ich gleich von ſeinen Anver-
wanten eine ſehr hohe Meinung habe: ich wuͤnſchte
mir dieſe Unabhaͤngigkeit zum wenigſten ſo lange,
bis ich ſehe, wozu ſich meine Anverwanten entſchlieſ-
ſen. Wenn dieſe Hoffnung voͤllig ohnmoͤglich wird,
ſo ſcheint mir das beſte zu ſeyn, daß ich meine Zu-
flucht zu der Lady Eliſabeth nehme: alsdenn wuͤr-
de alles unanſtaͤndige wegfallen, und ich wuͤrde viel-
leicht manchen Verdruß weniger haben; nur wuͤr-

de
Dritter Theil. Q
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[241/0255] Sie machen mir wenigen Muth zu dem Menſchen, in deſſen Haͤnden ich mich befinde: und vielleicht ſind blos meine ungluͤcklichen Umſtaͤnde Urſache dar- an, daß ich geneigt bin, das beſte von ihm zu den- cken. Was muß er fuͤr Abſichten haben, wenn ſeine guten Vorſaͤtze ein bloßer Vorwand ſind? Jſt es moͤglich, daß ein Menſch ein ſo abſcheuliches Hertz haben ſollte? kann er den allmaͤchtigen GOtt be- triegen? kann er ſich dieſes nur vornehmen? Habe ich nicht einige Urſache ſelbſt wegen meiner Umſtaͤn- de eine beſſere Hoffnung von ihm zu faſſen? Jch bin ja dermaßen in ſeiner Gewalt, daß er nicht noͤ- thig haͤtte, gegen mich ein ſo graͤulicher Heuchler zu ſeyn, er muͤßte denn eben das allerabſcheulichſte Bubenſtuͤck, daß ich ihm nicht zutraue, vorhaben. Er muß es zum wenigſten um die Zeit, wenn er mir gute Hoffnung macht, im Ernſt meinen. Die- ſes iſt wol ohnſtreitig, und Sie ſelbſt ſcheinen es zu glauben, ſonſt wuͤrden Sie mir nicht wuͤnſchen un- ter ein ſo hartes Joch zu gerathen. Dem ohngeachtet waͤre es mir ungemein viel lie- ber, wenn ich von ihm und von den Seinigen gantz frey ſeyn koͤnnte, ob ich gleich von ſeinen Anver- wanten eine ſehr hohe Meinung habe: ich wuͤnſchte mir dieſe Unabhaͤngigkeit zum wenigſten ſo lange, bis ich ſehe, wozu ſich meine Anverwanten entſchlieſ- ſen. Wenn dieſe Hoffnung voͤllig ohnmoͤglich wird, ſo ſcheint mir das beſte zu ſeyn, daß ich meine Zu- flucht zu der Lady Eliſabeth nehme: alsdenn wuͤr- de alles unanſtaͤndige wegfallen, und ich wuͤrde viel- leicht manchen Verdruß weniger haben; nur wuͤr- de Dritter Theil. Q

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/255>, abgerufen am 24.11.2024.