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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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(meines Onckles Sprüch-Wort zu borgen) das
Kalb in der Kuh auf:
denn das hiesse, von des
Pächters Gnaden Herr über seine Güter seyn. Kei-
ne niederträchtigere Lehnbarkeit kann erdacht wer-
den. Soll mir der Pächter etwan das Jagen verbie-
ten dürfen, damit ich keinen Zaun auf meinen Gü-
tern verderbe? Soll er darauf sinnen, wie er ohne
Noth von Bau und Besserung schwatzen könne?
Soll der Erdschwamm die Arme in einander schla-
gen, und mit dem Tölpel auf seinem Grütz-Behält-
niß mit mir reden? den Fuß fest hinpflantzen, als
wenn es sein Grund und Boden wäre? ich seine un-
gestüm-dummen Reden hören, und seine Schelm-
Blicke vertragen? Soll er thun, als wollte er mir
zu verstehen geben, er habe mir eine Wohlthat er-
zeiget, und könne sie mir künftig wieder erzeigen,
wenn ich höflich wäre? Wer vor mir vorüber ge-
het, und siehet mich nicht an wie ich will, dem darf
ich meiner Meinung nach den Hals brechen: und
ich soll das von dem Koth-Gewächse leyden? Eben
so wenig konnte ich das thun, als bey einem groben
Onckle und bey Tanten, die sich um meine Geheim-
nisse bekümmern, borgen; die sich berechtiget gehal-
ten hätten, das Leben und den Wandel ihres Vet-
ters und Schuldners die Musterung paßiren zu
lassen.

Meine unvergleichliche Schöne ist eben so ehrbe-
gierig als ich. Allein sie unterscheidet die Perso-
nen nicht, und das liebe unschuldige Kind merckt
nicht, daß nichts edlers, nichts angenehmers ist, als
wenn Verliebte Gefälligkeit für Gefälligkeit erzei-

gen.



(meines Onckles Spruͤch-Wort zu borgen) das
Kalb in der Kuh auf:
denn das hieſſe, von des
Paͤchters Gnaden Herr uͤber ſeine Guͤter ſeyn. Kei-
ne niedertraͤchtigere Lehnbarkeit kann erdacht wer-
den. Soll mir der Paͤchter etwan das Jagen verbie-
ten duͤrfen, damit ich keinen Zaun auf meinen Guͤ-
tern verderbe? Soll er darauf ſinnen, wie er ohne
Noth von Bau und Beſſerung ſchwatzen koͤnne?
Soll der Erdſchwamm die Arme in einander ſchla-
gen, und mit dem Toͤlpel auf ſeinem Gruͤtz-Behaͤlt-
niß mit mir reden? den Fuß feſt hinpflantzen, als
wenn es ſein Grund und Boden waͤre? ich ſeine un-
geſtuͤm-dummen Reden hoͤren, und ſeine Schelm-
Blicke vertragen? Soll er thun, als wollte er mir
zu verſtehen geben, er habe mir eine Wohlthat er-
zeiget, und koͤnne ſie mir kuͤnftig wieder erzeigen,
wenn ich hoͤflich waͤre? Wer vor mir voruͤber ge-
het, und ſiehet mich nicht an wie ich will, dem darf
ich meiner Meinung nach den Hals brechen: und
ich ſoll das von dem Koth-Gewaͤchſe leyden? Eben
ſo wenig konnte ich das thun, als bey einem groben
Onckle und bey Tanten, die ſich um meine Geheim-
niſſe bekuͤmmern, borgen; die ſich berechtiget gehal-
ten haͤtten, das Leben und den Wandel ihres Vet-
ters und Schuldners die Muſterung paßiren zu
laſſen.

Meine unvergleichliche Schoͤne iſt eben ſo ehrbe-
gierig als ich. Allein ſie unterſcheidet die Perſo-
nen nicht, und das liebe unſchuldige Kind merckt
nicht, daß nichts edlers, nichts angenehmers iſt, als
wenn Verliebte Gefaͤlligkeit fuͤr Gefaͤlligkeit erzei-

gen.
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[232/0246] (meines Onckles Spruͤch-Wort zu borgen) das Kalb in der Kuh auf: denn das hieſſe, von des Paͤchters Gnaden Herr uͤber ſeine Guͤter ſeyn. Kei- ne niedertraͤchtigere Lehnbarkeit kann erdacht wer- den. Soll mir der Paͤchter etwan das Jagen verbie- ten duͤrfen, damit ich keinen Zaun auf meinen Guͤ- tern verderbe? Soll er darauf ſinnen, wie er ohne Noth von Bau und Beſſerung ſchwatzen koͤnne? Soll der Erdſchwamm die Arme in einander ſchla- gen, und mit dem Toͤlpel auf ſeinem Gruͤtz-Behaͤlt- niß mit mir reden? den Fuß feſt hinpflantzen, als wenn es ſein Grund und Boden waͤre? ich ſeine un- geſtuͤm-dummen Reden hoͤren, und ſeine Schelm- Blicke vertragen? Soll er thun, als wollte er mir zu verſtehen geben, er habe mir eine Wohlthat er- zeiget, und koͤnne ſie mir kuͤnftig wieder erzeigen, wenn ich hoͤflich waͤre? Wer vor mir voruͤber ge- het, und ſiehet mich nicht an wie ich will, dem darf ich meiner Meinung nach den Hals brechen: und ich ſoll das von dem Koth-Gewaͤchſe leyden? Eben ſo wenig konnte ich das thun, als bey einem groben Onckle und bey Tanten, die ſich um meine Geheim- niſſe bekuͤmmern, borgen; die ſich berechtiget gehal- ten haͤtten, das Leben und den Wandel ihres Vet- ters und Schuldners die Muſterung paßiren zu laſſen. Meine unvergleichliche Schoͤne iſt eben ſo ehrbe- gierig als ich. Allein ſie unterſcheidet die Perſo- nen nicht, und das liebe unſchuldige Kind merckt nicht, daß nichts edlers, nichts angenehmers iſt, als wenn Verliebte Gefaͤlligkeit fuͤr Gefaͤlligkeit erzei- gen.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/246>, abgerufen am 24.11.2024.