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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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den der Hahnrey entdecket ward. (*) Er dachte
also: "warum soll ich mich bemühen, etwas zu
"finden, das ich nicht gern finden wollte? Mei-
"ne Frau ist eine Frau! Sie ist ein schwaches
"Werckzeug! Jch kann doch ohnmöglich eine bessere
"Meinung von ihr bekommen, als ich schon jetzt ha-
"be: und es würde mein eigener Schade seyn, wenn
"ich meine gute Meinung fahren lassen müßte."
Allein Rinaldo würde gewiß aus dem Becher ge-
truncken haben, wenn sie ihm noch nicht angetrauet
gewesen wäre, weil ihm die Entdeckung hätte nütz-
lich seyn können.

Jch würde den Becher nicht haben vorübergehen
lassen, wenn ich gleich verheyrathet gewesen wäre.
Denn vielleicht wäre ich meiner guten Meinung
bestärcket worden; und zum wenigsten hätte ich er-
fahren, ob ich eine Schlange oder eine Taube in
meinem Busen hegete.

Wieder auf die Sache zu kommen! Jst das ei-
ne wahre Tugend, die keine Probe ausstehen
kann? Was muß das für ein Frauenzimmer seyn,
das keine Probe seiner Jungferschaft oder Keusch-
heit ausstehen will?

Der Satz stehet vest: die Ehre meines Kindes
erfodert, daß es eine Probe ausstehe.

Wer soll es aber auf die Probe setzen? Soll es
nicht eben der thun, von dem die Fräulein vor-



giebt,
(*) Ein jeder Hahnrey, der aus diesem Becher
tranck, mußte sich begiessen. Siehe des Arlosto
drey und viertzigstes Buch in dem Orlando
Furioso.
Dritter Theil. M



den der Hahnrey entdecket ward. (*) Er dachte
alſo: „warum ſoll ich mich bemuͤhen, etwas zu
„finden, das ich nicht gern finden wollte? Mei-
„ne Frau iſt eine Frau! Sie iſt ein ſchwaches
„Werckzeug! Jch kann doch ohnmoͤglich eine beſſere
„Meinung von ihr bekommen, als ich ſchon jetzt ha-
„be: und es wuͤrde mein eigener Schade ſeyn, wenn
„ich meine gute Meinung fahren laſſen muͤßte.„
Allein Rinaldo wuͤrde gewiß aus dem Becher ge-
truncken haben, wenn ſie ihm noch nicht angetrauet
geweſen waͤre, weil ihm die Entdeckung haͤtte nuͤtz-
lich ſeyn koͤnnen.

Jch wuͤrde den Becher nicht haben voruͤbergehen
laſſen, wenn ich gleich verheyrathet geweſen waͤre.
Denn vielleicht waͤre ich meiner guten Meinung
beſtaͤrcket worden; und zum wenigſten haͤtte ich er-
fahren, ob ich eine Schlange oder eine Taube in
meinem Buſen hegete.

Wieder auf die Sache zu kommen! Jſt das ei-
ne wahre Tugend, die keine Probe ausſtehen
kann? Was muß das fuͤr ein Frauenzimmer ſeyn,
das keine Probe ſeiner Jungferſchaft oder Keuſch-
heit ausſtehen will?

Der Satz ſtehet veſt: die Ehre meines Kindes
erfodert, daß es eine Probe ausſtehe.

Wer ſoll es aber auf die Probe ſetzen? Soll es
nicht eben der thun, von dem die Fraͤulein vor-



giebt,
(*) Ein jeder Hahnrey, der aus dieſem Becher
tranck, mußte ſich begieſſen. Siehe des Arloſto
drey und viertzigſtes Buch in dem Orlando
Furioſo.
Dritter Theil. M
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[177/0191] den der Hahnrey entdecket ward. (*) Er dachte alſo: „warum ſoll ich mich bemuͤhen, etwas zu „finden, das ich nicht gern finden wollte? Mei- „ne Frau iſt eine Frau! Sie iſt ein ſchwaches „Werckzeug! Jch kann doch ohnmoͤglich eine beſſere „Meinung von ihr bekommen, als ich ſchon jetzt ha- „be: und es wuͤrde mein eigener Schade ſeyn, wenn „ich meine gute Meinung fahren laſſen muͤßte.„ Allein Rinaldo wuͤrde gewiß aus dem Becher ge- truncken haben, wenn ſie ihm noch nicht angetrauet geweſen waͤre, weil ihm die Entdeckung haͤtte nuͤtz- lich ſeyn koͤnnen. Jch wuͤrde den Becher nicht haben voruͤbergehen laſſen, wenn ich gleich verheyrathet geweſen waͤre. Denn vielleicht waͤre ich meiner guten Meinung beſtaͤrcket worden; und zum wenigſten haͤtte ich er- fahren, ob ich eine Schlange oder eine Taube in meinem Buſen hegete. Wieder auf die Sache zu kommen! Jſt das ei- ne wahre Tugend, die keine Probe ausſtehen kann? Was muß das fuͤr ein Frauenzimmer ſeyn, das keine Probe ſeiner Jungferſchaft oder Keuſch- heit ausſtehen will? Der Satz ſtehet veſt: die Ehre meines Kindes erfodert, daß es eine Probe ausſtehe. Wer ſoll es aber auf die Probe ſetzen? Soll es nicht eben der thun, von dem die Fraͤulein vor- giebt, (*) Ein jeder Hahnrey, der aus dieſem Becher tranck, mußte ſich begieſſen. Siehe des Arloſto drey und viertzigſtes Buch in dem Orlando Furioſo. Dritter Theil. M

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/191>, abgerufen am 24.11.2024.