Jch habe Jhnen versprochen, mich selbst in meiner Erzählung nicht zu schonen; und ich erzäh- le eben dieses als Umstände, dadurch die Hand- lung, zu welcher ich mich unglücklicher Weise ha- be verführen lassen, viel schwärtzer wird. Allein das, was ich dazu setzen muß, macht mich noch weit schuldiger: ich war nehmlich zweiffelhaft, ob nicht dasjenige, was Dorthchen von Elisabeth und von meiner Schwester meldete, ihr eben deswegen erzählt wäre, damit ich es wieder erfahren und das äußerste zu wagen veranlasset werden möchte? ob man nicht suchte, mich zu dem Schritt zu zwin- gen, den ich jetzt wircklich gethan habe, weil man ihn vielleicht für das kräftigste Mittel ansehen möchte, mich auf ewig bey meinem Vater und seinen Brü- dern verhaßt zu machen.
Gott vergebe es mir, wenn ich von den Ab- sichten meiner leiblichen Geschwister allzu hart ur- theile. Wenn mein Urtheil richtig ist, so haben sie mir mit der größesten Arglistigkeit Schlingen ge- legt, und ich habe mich fangen lassen. Sie mö- gen nun doppelt frohlocken, wenn sie anders über das Unglück einer Schwester, die nie einen Vorsatz oder Wunsch zu ihrem-Nachtheil gehabt hat, froh- locken können.
Diese Betrachtungen, die ich anstellete, verur- sacheten, daß ich mich mehr vor der bevorstehen- den Unterredung, und weniger vor dem Mittewo- chen fürchtete. Jene hielt ich nicht allein für das näheste sondern auch für das grösseste Uebel. Wiewohl! vielleicht schien es mir nur des-
wegen
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Jch habe Jhnen verſprochen, mich ſelbſt in meiner Erzaͤhlung nicht zu ſchonen; und ich erzaͤh- le eben dieſes als Umſtaͤnde, dadurch die Hand- lung, zu welcher ich mich ungluͤcklicher Weiſe ha- be verfuͤhren laſſen, viel ſchwaͤrtzer wird. Allein das, was ich dazu ſetzen muß, macht mich noch weit ſchuldiger: ich war nehmlich zweiffelhaft, ob nicht dasjenige, was Dorthchen von Eliſabeth und von meiner Schweſter meldete, ihr eben deswegen erzaͤhlt waͤre, damit ich es wieder erfahren und das aͤußerſte zu wagen veranlaſſet werden moͤchte? ob man nicht ſuchte, mich zu dem Schritt zu zwin- gen, den ich jetzt wircklich gethan habe, weil man ihn vielleicht fuͤr das kraͤftigſte Mittel anſehen moͤchte, mich auf ewig bey meinem Vater und ſeinen Bruͤ- dern verhaßt zu machen.
Gott vergebe es mir, wenn ich von den Ab- ſichten meiner leiblichen Geſchwiſter allzu hart ur- theile. Wenn mein Urtheil richtig iſt, ſo haben ſie mir mit der groͤßeſten Argliſtigkeit Schlingen ge- legt, und ich habe mich fangen laſſen. Sie moͤ- gen nun doppelt frohlocken, wenn ſie anders uͤber das Ungluͤck einer Schweſter, die nie einen Vorſatz oder Wunſch zu ihrem-Nachtheil gehabt hat, froh- locken koͤnnen.
Dieſe Betrachtungen, die ich anſtellete, verur- ſacheten, daß ich mich mehr vor der bevorſtehen- den Unterredung, und weniger vor dem Mittewo- chen fuͤrchtete. Jene hielt ich nicht allein fuͤr das naͤheſte ſondern auch fuͤr das groͤſſeſte Uebel. Wiewohl! vielleicht ſchien es mir nur des-
wegen
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Jch habe Jhnen verſprochen, mich ſelbſt in
meiner Erzaͤhlung nicht zu ſchonen; und ich erzaͤh-
le eben dieſes als Umſtaͤnde, dadurch die Hand-
lung, zu welcher ich mich ungluͤcklicher Weiſe ha-
be verfuͤhren laſſen, viel ſchwaͤrtzer wird. Allein
das, was ich dazu ſetzen muß, macht mich noch
weit ſchuldiger: ich war nehmlich zweiffelhaft, ob
nicht dasjenige, was Dorthchen von Eliſabeth und
von meiner Schweſter meldete, ihr eben deswegen
erzaͤhlt waͤre, damit ich es wieder erfahren und
das aͤußerſte zu wagen veranlaſſet werden moͤchte?
ob man nicht ſuchte, mich zu dem Schritt zu zwin-
gen, den ich jetzt wircklich gethan habe, weil man ihn
vielleicht fuͤr das kraͤftigſte Mittel anſehen moͤchte,
mich auf ewig bey meinem Vater und ſeinen Bruͤ-
dern verhaßt zu machen.
Gott vergebe es mir, wenn ich von den Ab-
ſichten meiner leiblichen Geſchwiſter allzu hart ur-
theile. Wenn mein Urtheil richtig iſt, ſo haben ſie
mir mit der groͤßeſten Argliſtigkeit Schlingen ge-
legt, und ich habe mich fangen laſſen. Sie moͤ-
gen nun doppelt frohlocken, wenn ſie anders uͤber
das Ungluͤck einer Schweſter, die nie einen Vorſatz
oder Wunſch zu ihrem-Nachtheil gehabt hat, froh-
locken koͤnnen.
Dieſe Betrachtungen, die ich anſtellete, verur-
ſacheten, daß ich mich mehr vor der bevorſtehen-
den Unterredung, und weniger vor dem Mittewo-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/19>, abgerufen am 22.12.2024.
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