wüßte, ob sie mit sich oder mit mir böser seyn sol- te. Sie sahe weg, wie es schien, eine Thräne zu verbergen, die ihr in die Augen trat; und ich konn- te kaum hören, daß ihr ein Seufzer aufstieg, den sie zu unterdrucken suchte. Sie ging hiemit weg, und überließ mir das Feld.
Sage mir nichts von Höflichkeit! nichts von Grosmuth! nichts von Mitleiden! Jst sie mir nicht selbst gewachsen? Noch mehr als gewachsen! Hat sie nicht den Vortheil über mich, so oft wir rechtmäßige Waffen gebrauchen? Hat sie mich nicht gezwungen, an ihrer Liebe zu zweiffeln? Hat sie sich nicht recht bemühet, mir die Erklärung zu thun, daß sie dem Solmes nicht aus Zuneigung zu mir abgeneigt gewesen ist? und daß es sie gereue, daß sie sich vor ihm in Sicherheit gesetzt habe, d. i. daß sie mir Wort gehalten habe?
Was würde es dem Harlowischen Hochmuth für eine Nahrung seyn, wenn ich sie jetzt heyrathe- te? Die Familie ist meiner in Absicht auf den Rang ungleich: keiner in der gantzen Familie, nur die Fräulein ausgenommen, ist einer solchen Ver- bindung werth! Meine eigene Güter sind nicht zu verachten. Jch behelffe mich mit meinen Ein- künften, um denen nicht Danck sagen zu dürfen, die besser sind als alle Harlowes, und bin keinem Menschen in der Welt verpflichtet. Jch habe noch mehr zu erwarten. Meine Person, meine Gemüths-Gaben, meine Geschicklichkeit sind zum wenigsten nicht zu verachten. Dennoch haben sie mich höhnisch abgewiesen. Jch bin gezwungen
wor-
wuͤßte, ob ſie mit ſich oder mit mir boͤſer ſeyn ſol- te. Sie ſahe weg, wie es ſchien, eine Thraͤne zu verbergen, die ihr in die Augen trat; und ich konn- te kaum hoͤren, daß ihr ein Seufzer aufſtieg, den ſie zu unterdrucken ſuchte. Sie ging hiemit weg, und uͤberließ mir das Feld.
Sage mir nichts von Hoͤflichkeit! nichts von Grosmuth! nichts von Mitleiden! Jſt ſie mir nicht ſelbſt gewachſen? Noch mehr als gewachſen! Hat ſie nicht den Vortheil uͤber mich, ſo oft wir rechtmaͤßige Waffen gebrauchen? Hat ſie mich nicht gezwungen, an ihrer Liebe zu zweiffeln? Hat ſie ſich nicht recht bemuͤhet, mir die Erklaͤrung zu thun, daß ſie dem Solmes nicht aus Zuneigung zu mir abgeneigt geweſen iſt? und daß es ſie gereue, daß ſie ſich vor ihm in Sicherheit geſetzt habe, d. i. daß ſie mir Wort gehalten habe?
Was wuͤrde es dem Harlowiſchen Hochmuth fuͤr eine Nahrung ſeyn, wenn ich ſie jetzt heyrathe- te? Die Familie iſt meiner in Abſicht auf den Rang ungleich: keiner in der gantzen Familie, nur die Fraͤulein ausgenommen, iſt einer ſolchen Ver- bindung werth! Meine eigene Guͤter ſind nicht zu verachten. Jch behelffe mich mit meinen Ein- kuͤnften, um denen nicht Danck ſagen zu duͤrfen, die beſſer ſind als alle Harlowes, und bin keinem Menſchen in der Welt verpflichtet. Jch habe noch mehr zu erwarten. Meine Perſon, meine Gemuͤths-Gaben, meine Geſchicklichkeit ſind zum wenigſten nicht zu verachten. Dennoch haben ſie mich hoͤhniſch abgewieſen. Jch bin gezwungen
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wuͤßte, ob ſie mit ſich oder mit mir boͤſer ſeyn ſol-
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verbergen, die ihr in die Augen trat; und ich konn-
te kaum hoͤren, daß ihr ein Seufzer aufſtieg, den
ſie zu unterdrucken ſuchte. Sie ging hiemit weg,
und uͤberließ mir das Feld.
Sage mir nichts von Hoͤflichkeit! nichts von
Grosmuth! nichts von Mitleiden! Jſt ſie mir
nicht ſelbſt gewachſen? Noch mehr als gewachſen!
Hat ſie nicht den Vortheil uͤber mich, ſo oft wir
rechtmaͤßige Waffen gebrauchen? Hat ſie mich
nicht gezwungen, an ihrer Liebe zu zweiffeln? Hat
ſie ſich nicht recht bemuͤhet, mir die Erklaͤrung zu
thun, daß ſie dem Solmes nicht aus Zuneigung
zu mir abgeneigt geweſen iſt? und daß es ſie gereue,
daß ſie ſich vor ihm in Sicherheit geſetzt habe, d. i.
daß ſie mir Wort gehalten habe?
Was wuͤrde es dem Harlowiſchen Hochmuth
fuͤr eine Nahrung ſeyn, wenn ich ſie jetzt heyrathe-
te? Die Familie iſt meiner in Abſicht auf den
Rang ungleich: keiner in der gantzen Familie, nur
die Fraͤulein ausgenommen, iſt einer ſolchen Ver-
bindung werth! Meine eigene Guͤter ſind nicht
zu verachten. Jch behelffe mich mit meinen Ein-
kuͤnften, um denen nicht Danck ſagen zu duͤrfen, die
beſſer ſind als alle Harlowes, und bin keinem
Menſchen in der Welt verpflichtet. Jch habe
noch mehr zu erwarten. Meine Perſon, meine
Gemuͤths-Gaben, meine Geſchicklichkeit ſind zum
wenigſten nicht zu verachten. Dennoch haben ſie
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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