Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Jch bin es schon wohnt geworden, von sol-
chen vorgezogen zu werden, die dir am Stande
gleich sind, ob sie dir gleich an eigenen Vorzügen
nicht gleich gekommen sind. Wo ist aber ein
Erauenzimmer, das hierin von dir nicht übertroffen
wird? Soll ich nun eine solche Schöne heyrathen,
von der ich nicht versichert bin, ob ihr Hertz mir ei-
nen Vorzug vor allen andern Freyern giebet?

Nein, schönes Kind! Jch bin deinen Befehlen
viel zu gehorsahm, als daß ich sollte zugeben, daß
sie selbst von dir gebrochen würden. Jch will mir
deine Meinung nicht blos durch ein schüchternes
Stillschweigen sagen lassen. Jch will nicht im
Zweifel bleiben, ob du dich aus Liebe oder aus
Noth so weit heruntergelassen hast, auf meinen An-
trag nicht allzu viele Ungnade zu werfen.

Nach diesen Regeln handelte ich; und legte ihr
Stilleschweigen als eine Folge ihrer Verachtung
und ihres Misvergnügens aus. Jch bat sie um
Vergebung, daß ich einen Antrag gethan hätte,
von dem ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zum
voraus sehen konnte, daß er ihr unangenehm seyn
würde. Jch würde künftig allen ihren ehemaligen
Befehlen die genaueste Folge leisten, und sie sollte
in meiner gantzen Aufführung die Wahrheit des
Satzes spüren: daß die wahre Liebe sehr furchtsahm
ist, die Geliebte zu beleidigen.

Mich dünckt, du fragest: was konnte die Fräu-
lein hierzu sagen?

Sagen? - - Sie sahe misvergnügt, ver-
stört, verwirret aus, und als wenn sie nicht recht

wüßte,
L 2


Jch bin es ſchon wohnt geworden, von ſol-
chen vorgezogen zu werden, die dir am Stande
gleich ſind, ob ſie dir gleich an eigenen Vorzuͤgen
nicht gleich gekommen ſind. Wo iſt aber ein
Erauenzimmer, das hierin von dir nicht uͤbertroffen
wird? Soll ich nun eine ſolche Schoͤne heyrathen,
von der ich nicht verſichert bin, ob ihr Hertz mir ei-
nen Vorzug vor allen andern Freyern giebet?

Nein, ſchoͤnes Kind! Jch bin deinen Befehlen
viel zu gehorſahm, als daß ich ſollte zugeben, daß
ſie ſelbſt von dir gebrochen wuͤrden. Jch will mir
deine Meinung nicht blos durch ein ſchuͤchternes
Stillſchweigen ſagen laſſen. Jch will nicht im
Zweifel bleiben, ob du dich aus Liebe oder aus
Noth ſo weit heruntergelaſſen haſt, auf meinen An-
trag nicht allzu viele Ungnade zu werfen.

Nach dieſen Regeln handelte ich; und legte ihr
Stilleſchweigen als eine Folge ihrer Verachtung
und ihres Misvergnuͤgens aus. Jch bat ſie um
Vergebung, daß ich einen Antrag gethan haͤtte,
von dem ich mit ziemlicher Wahrſcheinlichkeit zum
voraus ſehen konnte, daß er ihr unangenehm ſeyn
wuͤrde. Jch wuͤrde kuͤnftig allen ihren ehemaligen
Befehlen die genaueſte Folge leiſten, und ſie ſollte
in meiner gantzen Auffuͤhrung die Wahrheit des
Satzes ſpuͤren: daß die wahre Liebe ſehr furchtſahm
iſt, die Geliebte zu beleidigen.

Mich duͤnckt, du frageſt: was konnte die Fraͤu-
lein hierzu ſagen?

Sagen? ‒ ‒ Sie ſahe misvergnuͤgt, ver-
ſtoͤrt, verwirret aus, und als wenn ſie nicht recht

wuͤßte,
L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0177" n="163"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jch bin es &#x017F;chon wohnt geworden, von &#x017F;ol-<lb/>
chen vorgezogen zu werden, die dir am Stande<lb/>
gleich &#x017F;ind, ob &#x017F;ie dir gleich an eigenen Vorzu&#x0364;gen<lb/>
nicht gleich gekommen &#x017F;ind. Wo i&#x017F;t aber ein<lb/>
Erauenzimmer, das hierin von dir nicht u&#x0364;bertroffen<lb/>
wird? Soll ich nun eine &#x017F;olche Scho&#x0364;ne heyrathen,<lb/>
von der ich nicht ver&#x017F;ichert bin, ob ihr Hertz mir ei-<lb/>
nen Vorzug vor allen andern Freyern giebet?</p><lb/>
          <p>Nein, &#x017F;cho&#x0364;nes Kind! Jch bin deinen Befehlen<lb/>
viel zu gehor&#x017F;ahm, als daß ich &#x017F;ollte zugeben, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t von dir gebrochen wu&#x0364;rden. Jch will mir<lb/>
deine Meinung nicht blos durch ein &#x017F;chu&#x0364;chternes<lb/>
Still&#x017F;chweigen &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en. Jch will nicht im<lb/>
Zweifel bleiben, ob du dich aus Liebe oder aus<lb/>
Noth &#x017F;o weit heruntergela&#x017F;&#x017F;en ha&#x017F;t, auf meinen An-<lb/>
trag nicht allzu viele Ungnade zu werfen.</p><lb/>
          <p>Nach die&#x017F;en Regeln handelte ich; und legte ihr<lb/>
Stille&#x017F;chweigen als eine Folge ihrer Verachtung<lb/>
und ihres Misvergnu&#x0364;gens aus. Jch bat &#x017F;ie um<lb/>
Vergebung, daß ich einen Antrag gethan ha&#x0364;tte,<lb/>
von dem ich mit ziemlicher Wahr&#x017F;cheinlichkeit zum<lb/>
voraus &#x017F;ehen konnte, daß er ihr unangenehm &#x017F;eyn<lb/>
wu&#x0364;rde. Jch wu&#x0364;rde ku&#x0364;nftig allen ihren ehemaligen<lb/>
Befehlen die genaue&#x017F;te Folge lei&#x017F;ten, und &#x017F;ie &#x017F;ollte<lb/>
in meiner gantzen Auffu&#x0364;hrung die Wahrheit des<lb/>
Satzes &#x017F;pu&#x0364;ren: daß die wahre Liebe &#x017F;ehr furcht&#x017F;ahm<lb/>
i&#x017F;t, die Geliebte zu beleidigen.</p><lb/>
          <p>Mich du&#x0364;nckt, du frage&#x017F;t: was konnte die Fra&#x0364;u-<lb/>
lein hierzu &#x017F;agen?</p><lb/>
          <p>Sagen? &#x2012; &#x2012; Sie &#x017F;ahe misvergnu&#x0364;gt, ver-<lb/>
&#x017F;to&#x0364;rt, verwirret aus, und als wenn &#x017F;ie nicht recht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">wu&#x0364;ßte,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0177] Jch bin es ſchon wohnt geworden, von ſol- chen vorgezogen zu werden, die dir am Stande gleich ſind, ob ſie dir gleich an eigenen Vorzuͤgen nicht gleich gekommen ſind. Wo iſt aber ein Erauenzimmer, das hierin von dir nicht uͤbertroffen wird? Soll ich nun eine ſolche Schoͤne heyrathen, von der ich nicht verſichert bin, ob ihr Hertz mir ei- nen Vorzug vor allen andern Freyern giebet? Nein, ſchoͤnes Kind! Jch bin deinen Befehlen viel zu gehorſahm, als daß ich ſollte zugeben, daß ſie ſelbſt von dir gebrochen wuͤrden. Jch will mir deine Meinung nicht blos durch ein ſchuͤchternes Stillſchweigen ſagen laſſen. Jch will nicht im Zweifel bleiben, ob du dich aus Liebe oder aus Noth ſo weit heruntergelaſſen haſt, auf meinen An- trag nicht allzu viele Ungnade zu werfen. Nach dieſen Regeln handelte ich; und legte ihr Stilleſchweigen als eine Folge ihrer Verachtung und ihres Misvergnuͤgens aus. Jch bat ſie um Vergebung, daß ich einen Antrag gethan haͤtte, von dem ich mit ziemlicher Wahrſcheinlichkeit zum voraus ſehen konnte, daß er ihr unangenehm ſeyn wuͤrde. Jch wuͤrde kuͤnftig allen ihren ehemaligen Befehlen die genaueſte Folge leiſten, und ſie ſollte in meiner gantzen Auffuͤhrung die Wahrheit des Satzes ſpuͤren: daß die wahre Liebe ſehr furchtſahm iſt, die Geliebte zu beleidigen. Mich duͤnckt, du frageſt: was konnte die Fraͤu- lein hierzu ſagen? Sagen? ‒ ‒ Sie ſahe misvergnuͤgt, ver- ſtoͤrt, verwirret aus, und als wenn ſie nicht recht wuͤßte, L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/177
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/177>, abgerufen am 24.11.2024.