Warum, ach warum bemühet sich das aller- liebste Kind, sich gegen mich eiskalt zu stellen? Warum will es meinen Hochmuth durch seinen Hochmuth reitzen? Hast du nicht in meiner Erzäh- lung angemerckt, wie verächtlich es mir begegnet? Wie viel habe ich um ihret Willen ja von ihr selbst verschmertzet? Jst es auszustehen, daß sie mir sa- get, ich wäre ihr verächtlich, wenn ich mich dem Abscheu vom Menschen dem Solmes vorziehe.
Alle Triebe meiner zärtlichsten Zuneigung er- sticket sie in der ersten Blüte. Wenn ich ihr Treue schwöre, so macht sie die verdammte Auslegung darüber, ich müßte selbst glauben, daß sie Ursache habe, an meiner Treue zu zweifeln. Eben das hat sie schon ehemahls gethan. Sie ist in mei- ner Gewalt nicht anders geworden, als sie ausser meiner Gewalt gewesen ist. Meine armseeligen Gelübde müssen bey den Umständen wieder zum Halse hinunter, ehe sie die Lippen erreicht haben. Was soll ein Liebhaber mit seiner Geliebten reden, wenn er weder lügen noch schwören darf.
Ein kleines Kunst-Stück habe ich gebraucht. Als sie gar zu sehr in mich drang, daß ich mich von ihr entfernen sollte, so bat ich sie mir eine Be- dingung zu bewilligen, zu der sie ohnmöglich Nein sagen konnte; und als sie mir meine Bitte einge- stand, so gab ich so viel Danckbarkeit vor, als wenn es eine Sache von der größesten Wichtigkeit wäre.
Und was war es denn? sagst du. Sie sollte mir versprechen, was sie mir längstens verspro-
chen
Warum, ach warum bemuͤhet ſich das aller- liebſte Kind, ſich gegen mich eiskalt zu ſtellen? Warum will es meinen Hochmuth durch ſeinen Hochmuth reitzen? Haſt du nicht in meiner Erzaͤh- lung angemerckt, wie veraͤchtlich es mir begegnet? Wie viel habe ich um ihret Willen ja von ihr ſelbſt verſchmertzet? Jſt es auszuſtehen, daß ſie mir ſa- get, ich waͤre ihr veraͤchtlich, wenn ich mich dem Abſcheu vom Menſchen dem Solmes vorziehe.
Alle Triebe meiner zaͤrtlichſten Zuneigung er- ſticket ſie in der erſten Bluͤte. Wenn ich ihr Treue ſchwoͤre, ſo macht ſie die verdammte Auslegung daruͤber, ich muͤßte ſelbſt glauben, daß ſie Urſache habe, an meiner Treue zu zweifeln. Eben das hat ſie ſchon ehemahls gethan. Sie iſt in mei- ner Gewalt nicht anders geworden, als ſie auſſer meiner Gewalt geweſen iſt. Meine armſeeligen Geluͤbde muͤſſen bey den Umſtaͤnden wieder zum Halſe hinunter, ehe ſie die Lippen erreicht haben. Was ſoll ein Liebhaber mit ſeiner Geliebten reden, wenn er weder luͤgen noch ſchwoͤren darf.
Ein kleines Kunſt-Stuͤck habe ich gebraucht. Als ſie gar zu ſehr in mich drang, daß ich mich von ihr entfernen ſollte, ſo bat ich ſie mir eine Be- dingung zu bewilligen, zu der ſie ohnmoͤglich Nein ſagen konnte; und als ſie mir meine Bitte einge- ſtand, ſo gab ich ſo viel Danckbarkeit vor, als wenn es eine Sache von der groͤßeſten Wichtigkeit waͤre.
Und was war es denn? ſagſt du. Sie ſollte mir verſprechen, was ſie mir laͤngſtens verſpro-
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Warum, ach warum bemuͤhet ſich das aller-
liebſte Kind, ſich gegen mich eiskalt zu ſtellen?
Warum will es meinen Hochmuth durch ſeinen
Hochmuth reitzen? Haſt du nicht in meiner Erzaͤh-
lung angemerckt, wie veraͤchtlich es mir begegnet?
Wie viel habe ich um ihret Willen ja von ihr ſelbſt
verſchmertzet? Jſt es auszuſtehen, daß ſie mir ſa-
get, ich waͤre ihr veraͤchtlich, wenn ich mich dem
Abſcheu vom Menſchen dem Solmes vorziehe.
Alle Triebe meiner zaͤrtlichſten Zuneigung er-
ſticket ſie in der erſten Bluͤte. Wenn ich ihr Treue
ſchwoͤre, ſo macht ſie die verdammte Auslegung
daruͤber, ich muͤßte ſelbſt glauben, daß ſie Urſache
habe, an meiner Treue zu zweifeln. Eben das
hat ſie ſchon ehemahls gethan. Sie iſt in mei-
ner Gewalt nicht anders geworden, als ſie auſſer
meiner Gewalt geweſen iſt. Meine armſeeligen
Geluͤbde muͤſſen bey den Umſtaͤnden wieder zum
Halſe hinunter, ehe ſie die Lippen erreicht haben.
Was ſoll ein Liebhaber mit ſeiner Geliebten reden,
wenn er weder luͤgen noch ſchwoͤren darf.
Ein kleines Kunſt-Stuͤck habe ich gebraucht.
Als ſie gar zu ſehr in mich drang, daß ich mich
von ihr entfernen ſollte, ſo bat ich ſie mir eine Be-
dingung zu bewilligen, zu der ſie ohnmoͤglich Nein
ſagen konnte; und als ſie mir meine Bitte einge-
ſtand, ſo gab ich ſo viel Danckbarkeit vor, als
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/140>, abgerufen am 28.11.2024.
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