Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



Hand, die ich ihr bot, bey nahe mit einem Stoß
fahren, und eilete so geschwind als sie konnte in
das Haus. *** - -

Ovidius verstand die Lehre von den Verwan-
delungen nicht so gut, als dein Freund. Jch ver-
wandelte sie bey der Wirthin sogleich in eine
Schwester, die ich unvermuthet von ihren Anver-
wanten, bey denen sie den Winter über gewesen
wäre, abgehohlt hätte, damit sie sich nicht mit ei-
nem liederlichen Menschen einlassen möchte, vor
dem ihr Vater, Mutter, ältere Schwester, alle
ihre lieben Onckels, Basen und Angehörigen einen
Abscheu gehabt hätten. (Jch bleibe stets so nahe
bey der Wahrheit, als ich kann.) Aus dieser Er-
zählung ließ sich die Verdrießlichkeit meines losen
Kindes erklären; seine Abgeneigtheit mit mir in
Gesellschaft zu seyn, wenn sie auch von längerer
Dauer seyn sollte; die Kleidung, die sich zu der
Reise nicht schickte; kurtz alles Wahre kam mit die-
ser Unwahrheit überein. Zugleich gab diese Erzäh-
lung meiner Schönen zu rechter Zeit einen Beweiß,
daß ich keine Absichten hätte, die mit ihrer Ehre
nicht bestehen könnten.

Von dem Streit, der sich zwischen ihr
und ihm erhoben hatte, und insonderheit
von dem Vorwurf, den sie ihm machet,
daß er ein junges Kind verleitet habe, wi-
der seine Pflicht und Gewissen zu han-
deln, schreibt er:

Alles dieses, und noch viel empfindlichere Din-
ge brachte sie vor. Jch hörte ihr stille zu. Als aber

die



Hand, die ich ihr bot, bey nahe mit einem Stoß
fahren, und eilete ſo geſchwind als ſie konnte in
das Haus. *** ‒ ‒

Ovidius verſtand die Lehre von den Verwan-
delungen nicht ſo gut, als dein Freund. Jch ver-
wandelte ſie bey der Wirthin ſogleich in eine
Schweſter, die ich unvermuthet von ihren Anver-
wanten, bey denen ſie den Winter uͤber geweſen
waͤre, abgehohlt haͤtte, damit ſie ſich nicht mit ei-
nem liederlichen Menſchen einlaſſen moͤchte, vor
dem ihr Vater, Mutter, aͤltere Schweſter, alle
ihre lieben Onckels, Baſen und Angehoͤrigen einen
Abſcheu gehabt haͤtten. (Jch bleibe ſtets ſo nahe
bey der Wahrheit, als ich kann.) Aus dieſer Er-
zaͤhlung ließ ſich die Verdrießlichkeit meines loſen
Kindes erklaͤren; ſeine Abgeneigtheit mit mir in
Geſellſchaft zu ſeyn, wenn ſie auch von laͤngerer
Dauer ſeyn ſollte; die Kleidung, die ſich zu der
Reiſe nicht ſchickte; kurtz alles Wahre kam mit die-
ſer Unwahrheit uͤberein. Zugleich gab dieſe Erzaͤh-
lung meiner Schoͤnen zu rechter Zeit einen Beweiß,
daß ich keine Abſichten haͤtte, die mit ihrer Ehre
nicht beſtehen koͤnnten.

Von dem Streit, der ſich zwiſchen ihr
und ihm erhoben hatte, und inſonderheit
von dem Vorwurf, den ſie ihm machet,
daß er ein junges Kind verleitet habe, wi-
der ſeine Pflicht und Gewiſſen zu han-
deln, ſchreibt er:

Alles dieſes, und noch viel empfindlichere Din-
ge brachte ſie vor. Jch hoͤrte ihr ſtille zu. Als aber

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0136" n="122"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Hand, die ich ihr bot, bey nahe mit einem Stoß<lb/>
fahren, und eilete &#x017F;o ge&#x017F;chwind als &#x017F;ie konnte in<lb/>
das Haus. *** &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Ovidius ver&#x017F;tand die Lehre von den Verwan-<lb/>
delungen nicht &#x017F;o gut, als dein Freund. Jch ver-<lb/>
wandelte &#x017F;ie bey der Wirthin &#x017F;ogleich in eine<lb/>
Schwe&#x017F;ter, die ich unvermuthet von ihren Anver-<lb/>
wanten, bey denen &#x017F;ie den Winter u&#x0364;ber gewe&#x017F;en<lb/>
wa&#x0364;re, abgehohlt ha&#x0364;tte, damit &#x017F;ie &#x017F;ich nicht mit ei-<lb/>
nem liederlichen Men&#x017F;chen einla&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;chte, vor<lb/>
dem ihr Vater, Mutter, a&#x0364;ltere Schwe&#x017F;ter, alle<lb/>
ihre lieben Onckels, Ba&#x017F;en und Angeho&#x0364;rigen einen<lb/>
Ab&#x017F;cheu gehabt ha&#x0364;tten. (Jch bleibe &#x017F;tets &#x017F;o nahe<lb/>
bey der Wahrheit, als ich kann.) Aus die&#x017F;er Er-<lb/>
za&#x0364;hlung ließ &#x017F;ich die Verdrießlichkeit meines lo&#x017F;en<lb/>
Kindes erkla&#x0364;ren; &#x017F;eine Abgeneigtheit mit mir in<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu &#x017F;eyn, wenn &#x017F;ie auch von la&#x0364;ngerer<lb/>
Dauer &#x017F;eyn &#x017F;ollte; die Kleidung, die &#x017F;ich zu der<lb/>
Rei&#x017F;e nicht &#x017F;chickte; kurtz alles Wahre kam mit die-<lb/>
&#x017F;er Unwahrheit u&#x0364;berein. Zugleich gab die&#x017F;e Erza&#x0364;h-<lb/>
lung meiner Scho&#x0364;nen zu rechter Zeit einen Beweiß,<lb/>
daß ich keine Ab&#x017F;ichten ha&#x0364;tte, die mit ihrer Ehre<lb/>
nicht be&#x017F;tehen ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr">Von dem Streit, der &#x017F;ich zwi&#x017F;chen ihr<lb/>
und ihm erhoben hatte, und in&#x017F;onderheit<lb/>
von dem Vorwurf, den &#x017F;ie ihm machet,<lb/>
daß er ein junges Kind verleitet habe, wi-<lb/>
der &#x017F;eine Pflicht und Gewi&#x017F;&#x017F;en zu han-<lb/>
deln, &#x017F;chreibt er:</hi> </hi> </p><lb/>
          <p>Alles die&#x017F;es, und noch viel empfindlichere Din-<lb/>
ge brachte &#x017F;ie vor. Jch ho&#x0364;rte ihr &#x017F;tille zu. Als aber<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0136] Hand, die ich ihr bot, bey nahe mit einem Stoß fahren, und eilete ſo geſchwind als ſie konnte in das Haus. *** ‒ ‒ Ovidius verſtand die Lehre von den Verwan- delungen nicht ſo gut, als dein Freund. Jch ver- wandelte ſie bey der Wirthin ſogleich in eine Schweſter, die ich unvermuthet von ihren Anver- wanten, bey denen ſie den Winter uͤber geweſen waͤre, abgehohlt haͤtte, damit ſie ſich nicht mit ei- nem liederlichen Menſchen einlaſſen moͤchte, vor dem ihr Vater, Mutter, aͤltere Schweſter, alle ihre lieben Onckels, Baſen und Angehoͤrigen einen Abſcheu gehabt haͤtten. (Jch bleibe ſtets ſo nahe bey der Wahrheit, als ich kann.) Aus dieſer Er- zaͤhlung ließ ſich die Verdrießlichkeit meines loſen Kindes erklaͤren; ſeine Abgeneigtheit mit mir in Geſellſchaft zu ſeyn, wenn ſie auch von laͤngerer Dauer ſeyn ſollte; die Kleidung, die ſich zu der Reiſe nicht ſchickte; kurtz alles Wahre kam mit die- ſer Unwahrheit uͤberein. Zugleich gab dieſe Erzaͤh- lung meiner Schoͤnen zu rechter Zeit einen Beweiß, daß ich keine Abſichten haͤtte, die mit ihrer Ehre nicht beſtehen koͤnnten. Von dem Streit, der ſich zwiſchen ihr und ihm erhoben hatte, und inſonderheit von dem Vorwurf, den ſie ihm machet, daß er ein junges Kind verleitet habe, wi- der ſeine Pflicht und Gewiſſen zu han- deln, ſchreibt er: Alles dieſes, und noch viel empfindlichere Din- ge brachte ſie vor. Jch hoͤrte ihr ſtille zu. Als aber die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/136
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/136>, abgerufen am 24.11.2024.