Der achte Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Donnerstag Nachmittags den 13 April.
Es schmertzet mich ungemein, meine beständig werthe und beständig gütige Freundin, daß ich das Unglück habe, die Ursache eines Misver- ständnisses zwischen Jhrer Frau Mutter und Jh- nen zu seyn. Wie viele Leute habe ich betrübet!
Jch würde die allerunglücklichste Person seyn, wenn ich mich nicht damit trösten könnte, daß bey meiner Uebereilung keine Bosheit gewesen ist. Jch bin dadurch genug gestrafft, daß ich meinen guten Nahmen eingebüßt habe, der mir lieber als das Leben war, und daß ich auf eine quälende Weise zwischen Furcht und Hoffnung schwebe, die eine um die andere stärcker werden, und mein Hertz abwechselnd nagen.
Jch bin der Meinung, daß Sie Jhrer Frau Mutter gehorchen, und sich des Briefwechsels mit einer unglücklichen Person entschlagen müssen. Neh- men Sie sich in Acht, daß Sie nicht in meine Sün- de fallen: der Anfang dazu war ein verbotener Briefwechsel, von dem ich glaubte, daß ich ihn nach eigenem Belieben würde abbrechen können. Das Schmieren ist meine Natur: und ich war desto leichter zu verführen, weil ich ein Vergnügen an
dem
Der achte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Donnerstag Nachmittags den 13 April.
Es ſchmertzet mich ungemein, meine beſtaͤndig werthe und beſtaͤndig guͤtige Freundin, daß ich das Ungluͤck habe, die Urſache eines Misver- ſtaͤndniſſes zwiſchen Jhrer Frau Mutter und Jh- nen zu ſeyn. Wie viele Leute habe ich betruͤbet!
Jch wuͤrde die allerungluͤcklichſte Perſon ſeyn, wenn ich mich nicht damit troͤſten koͤnnte, daß bey meiner Uebereilung keine Bosheit geweſen iſt. Jch bin dadurch genug geſtrafft, daß ich meinen guten Nahmen eingebuͤßt habe, der mir lieber als das Leben war, und daß ich auf eine quaͤlende Weiſe zwiſchen Furcht und Hoffnung ſchwebe, die eine um die andere ſtaͤrcker werden, und mein Hertz abwechſelnd nagen.
Jch bin der Meinung, daß Sie Jhrer Frau Mutter gehorchen, und ſich des Briefwechſels mit einer ungluͤcklichen Perſon entſchlagen muͤſſen. Neh- men Sie ſich in Acht, daß Sie nicht in meine Suͤn- de fallen: der Anfang dazu war ein verbotener Briefwechſel, von dem ich glaubte, daß ich ihn nach eigenem Belieben wuͤrde abbrechen koͤnnen. Das Schmieren iſt meine Natur: und ich war deſto leichter zu verfuͤhren, weil ich ein Vergnuͤgen an
dem
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0126"n="112"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#fr">Der achte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hirendition="#fr">Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein<lb/>
Howe.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Donnerstag Nachmittags den<lb/>
13 April.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>s ſchmertzet mich ungemein, meine beſtaͤndig<lb/>
werthe und beſtaͤndig guͤtige Freundin, daß<lb/>
ich das Ungluͤck habe, die Urſache eines Misver-<lb/>ſtaͤndniſſes zwiſchen Jhrer Frau Mutter und Jh-<lb/>
nen zu ſeyn. Wie viele Leute habe ich betruͤbet!</p><lb/><p>Jch wuͤrde die allerungluͤcklichſte Perſon ſeyn,<lb/>
wenn ich mich nicht damit troͤſten koͤnnte, daß bey<lb/>
meiner Uebereilung keine Bosheit geweſen iſt. Jch<lb/>
bin dadurch genug geſtrafft, daß ich meinen guten<lb/>
Nahmen eingebuͤßt habe, der mir lieber als das<lb/>
Leben war, und daß ich auf eine quaͤlende Weiſe<lb/>
zwiſchen Furcht und Hoffnung ſchwebe, die eine<lb/>
um die andere ſtaͤrcker werden, und mein Hertz<lb/>
abwechſelnd nagen.</p><lb/><p>Jch bin der Meinung, daß Sie Jhrer Frau<lb/>
Mutter gehorchen, und ſich des Briefwechſels mit<lb/>
einer ungluͤcklichen Perſon entſchlagen muͤſſen. Neh-<lb/>
men Sie ſich in Acht, daß Sie nicht in meine Suͤn-<lb/>
de fallen: der Anfang dazu war ein verbotener<lb/>
Briefwechſel, von dem ich glaubte, daß ich ihn<lb/>
nach eigenem Belieben wuͤrde abbrechen koͤnnen.<lb/>
Das Schmieren iſt meine Natur: und ich war deſto<lb/>
leichter zu verfuͤhren, weil ich ein Vergnuͤgen an<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dem</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[112/0126]
Der achte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Donnerstag Nachmittags den
13 April.
Es ſchmertzet mich ungemein, meine beſtaͤndig
werthe und beſtaͤndig guͤtige Freundin, daß
ich das Ungluͤck habe, die Urſache eines Misver-
ſtaͤndniſſes zwiſchen Jhrer Frau Mutter und Jh-
nen zu ſeyn. Wie viele Leute habe ich betruͤbet!
Jch wuͤrde die allerungluͤcklichſte Perſon ſeyn,
wenn ich mich nicht damit troͤſten koͤnnte, daß bey
meiner Uebereilung keine Bosheit geweſen iſt. Jch
bin dadurch genug geſtrafft, daß ich meinen guten
Nahmen eingebuͤßt habe, der mir lieber als das
Leben war, und daß ich auf eine quaͤlende Weiſe
zwiſchen Furcht und Hoffnung ſchwebe, die eine
um die andere ſtaͤrcker werden, und mein Hertz
abwechſelnd nagen.
Jch bin der Meinung, daß Sie Jhrer Frau
Mutter gehorchen, und ſich des Briefwechſels mit
einer ungluͤcklichen Perſon entſchlagen muͤſſen. Neh-
men Sie ſich in Acht, daß Sie nicht in meine Suͤn-
de fallen: der Anfang dazu war ein verbotener
Briefwechſel, von dem ich glaubte, daß ich ihn
nach eigenem Belieben wuͤrde abbrechen koͤnnen.
Das Schmieren iſt meine Natur: und ich war deſto
leichter zu verfuͤhren, weil ich ein Vergnuͤgen an
dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/126>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.