Vergeben Sie es mir, mein Schatz. Jetzt ist eben Jhr höltzerner Onckle Anton hier: ein lehr- reicher, eingebildeter, weiser Ehren-Mann. Gestern kam er in einer fürchterlichen Kleidung an, und bließ, und schnob und stampfete in unserem Saal und Gast-Stube auf und nieder, unterdessen daß er gemeldet ward.
Meine Mutter kleidete sich eben an. Die Witwen sind in ihren Sitten eben so steif als die funfzigjährigen Junggesellen. Um aller Welt Wunder wollte sie sich nicht von ihm sehen lassen, ehe sie in ihrem Staat war. Was kann sie vor eine Absicht dabey haben?
Er kam, damit er meine Mutter gegen Sie einnehmen, und ihr sagen möchte, wie heftig und unerbittlich die Wut der Jhrigen wegen Jhrer Flucht sey. Der Ausgang zeigete es.
Der wunderbare Mann verlangte, sie allein zu sprechen. Jch bin sonst nicht gewohnt, solche Ausnahmen zu hören, wenn sich jemand bey mei- ner Mutter melden läßt.
So bald meine Mutter steiff und geputzt genug war, kam sie zu ihm herunter. Die Thür ward abgeschlossen. Sie steckten ihre beyden lehrreichen Häupter zusammen: ich glaube, sie hielten sie recht nahe an einander, denn ich horchete, und konnte kein Wort verstehen, so eifrig sie auch in ihrer Un- terredung zu seyn schienen.
Jch hatte es ein paar mahl im Sinne, daß ich sie nöthigen wollte, die Thür zu öfnen. Jch wür- de gewiß verlangt haben, zu ihnen hinein zu kom-
men,
Vergeben Sie es mir, mein Schatz. Jetzt iſt eben Jhr hoͤltzerner Onckle Anton hier: ein lehr- reicher, eingebildeter, weiſer Ehren-Mann. Geſtern kam er in einer fuͤrchterlichen Kleidung an, und bließ, und ſchnob und ſtampfete in unſerem Saal und Gaſt-Stube auf und nieder, unterdeſſen daß er gemeldet ward.
Meine Mutter kleidete ſich eben an. Die Witwen ſind in ihren Sitten eben ſo ſteif als die funfzigjaͤhrigen Junggeſellen. Um aller Welt Wunder wollte ſie ſich nicht von ihm ſehen laſſen, ehe ſie in ihrem Staat war. Was kann ſie vor eine Abſicht dabey haben?
Er kam, damit er meine Mutter gegen Sie einnehmen, und ihr ſagen moͤchte, wie heftig und unerbittlich die Wut der Jhrigen wegen Jhrer Flucht ſey. Der Ausgang zeigete es.
Der wunderbare Mann verlangte, ſie allein zu ſprechen. Jch bin ſonſt nicht gewohnt, ſolche Ausnahmen zu hoͤren, wenn ſich jemand bey mei- ner Mutter melden laͤßt.
So bald meine Mutter ſteiff und geputzt genug war, kam ſie zu ihm herunter. Die Thuͤr ward abgeſchloſſen. Sie ſteckten ihre beyden lehrreichen Haͤupter zuſammen: ich glaube, ſie hielten ſie recht nahe an einander, denn ich horchete, und konnte kein Wort verſtehen, ſo eifrig ſie auch in ihrer Un- terredung zu ſeyn ſchienen.
Jch hatte es ein paar mahl im Sinne, daß ich ſie noͤthigen wollte, die Thuͤr zu oͤfnen. Jch wuͤr- de gewiß verlangt haben, zu ihnen hinein zu kom-
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Vergeben Sie es mir, mein Schatz. Jetzt iſt
eben Jhr hoͤltzerner Onckle Anton hier: ein lehr-
reicher, eingebildeter, weiſer Ehren-Mann. Geſtern
kam er in einer fuͤrchterlichen Kleidung an, und bließ,
und ſchnob und ſtampfete in unſerem Saal und
Gaſt-Stube auf und nieder, unterdeſſen daß
er gemeldet ward.
Meine Mutter kleidete ſich eben an. Die
Witwen ſind in ihren Sitten eben ſo ſteif als die
funfzigjaͤhrigen Junggeſellen. Um aller Welt
Wunder wollte ſie ſich nicht von ihm ſehen laſſen,
ehe ſie in ihrem Staat war. Was kann ſie vor
eine Abſicht dabey haben?
Er kam, damit er meine Mutter gegen Sie
einnehmen, und ihr ſagen moͤchte, wie heftig und
unerbittlich die Wut der Jhrigen wegen Jhrer
Flucht ſey. Der Ausgang zeigete es.
Der wunderbare Mann verlangte, ſie allein
zu ſprechen. Jch bin ſonſt nicht gewohnt, ſolche
Ausnahmen zu hoͤren, wenn ſich jemand bey mei-
ner Mutter melden laͤßt.
So bald meine Mutter ſteiff und geputzt genug
war, kam ſie zu ihm herunter. Die Thuͤr ward
abgeſchloſſen. Sie ſteckten ihre beyden lehrreichen
Haͤupter zuſammen: ich glaube, ſie hielten ſie recht
nahe an einander, denn ich horchete, und konnte
kein Wort verſtehen, ſo eifrig ſie auch in ihrer Un-
terredung zu ſeyn ſchienen.
Jch hatte es ein paar mahl im Sinne, daß ich
ſie noͤthigen wollte, die Thuͤr zu oͤfnen. Jch wuͤr-
de gewiß verlangt haben, zu ihnen hinein zu kom-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/110>, abgerufen am 28.11.2024.
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