Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
er das wahre Original ihres Bildes ist: dem
ohngeachtet ist es nicht einmahl ein sehr nach-
theiliges Bild. Wenn mein Gemüth nicht
durch andere Sorgen so sehr beschäftiget und be-
schwert wäre, so wollte ich mich unterstehen, ein
liebenswürdigeres Gemählde zu übersenden, das
ihm vollkommen gleich sehen sollte.

Jst gleich Herr Hickmann nicht so freymü-
thig und unerschrocken, als einige andre Manns-
Personen, so besitzt er hingegen ein leutseeliges,
freundliches und gütiges Hertz, das andern feh-
let. Dieser eintzige Vorzug, nebst der unendli-
chen Hochachtung, die er für Sie hat, macht,
daß er sich für ein Frauenzimmer von Jhrer Leb-
haftigkeit und Feuer so vollkommen schicket, als
kein anderer Mensch auf der Welt, den ich bis-
her habe kennen lernen.

Sie sagen zwar: ich würde selbst nicht Lust
haben, ihn zu nehmen. Jch aber versichere Jh-
nen, daß ich nie wegen des Herrn Solmes mit
meinen Freunden zerfallen wäre, wenn sie mir
nicht hätten erlauben wollen, daß ich unverhey-
rathet bleiben möchte, und das äusserliche, das
Gemüth und die Aufführung bey ihm so gut
gewesen wäre, als bey Herrn Hickmann. Da
Herr Lovelace ein schlechtes Lob der Tugend
hat, so würde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf
die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieses
desto freymüthiger, weil Herr Lovelace sich
noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin-

gen

Die Geſchichte
er das wahre Original ihres Bildes iſt: dem
ohngeachtet iſt es nicht einmahl ein ſehr nach-
theiliges Bild. Wenn mein Gemuͤth nicht
durch andere Sorgen ſo ſehr beſchaͤftiget und be-
ſchwert waͤre, ſo wollte ich mich unterſtehen, ein
liebenswuͤrdigeres Gemaͤhlde zu uͤberſenden, das
ihm vollkommen gleich ſehen ſollte.

Jſt gleich Herr Hickmann nicht ſo freymuͤ-
thig und unerſchrocken, als einige andre Manns-
Perſonen, ſo beſitzt er hingegen ein leutſeeliges,
freundliches und guͤtiges Hertz, das andern feh-
let. Dieſer eintzige Vorzug, nebſt der unendli-
chen Hochachtung, die er fuͤr Sie hat, macht,
daß er ſich fuͤr ein Frauenzimmer von Jhrer Leb-
haftigkeit und Feuer ſo vollkommen ſchicket, als
kein anderer Menſch auf der Welt, den ich bis-
her habe kennen lernen.

Sie ſagen zwar: ich wuͤrde ſelbſt nicht Luſt
haben, ihn zu nehmen. Jch aber verſichere Jh-
nen, daß ich nie wegen des Herrn Solmes mit
meinen Freunden zerfallen waͤre, wenn ſie mir
nicht haͤtten erlauben wollen, daß ich unverhey-
rathet bleiben moͤchte, und das aͤuſſerliche, das
Gemuͤth und die Auffuͤhrung bey ihm ſo gut
geweſen waͤre, als bey Herrn Hickmann. Da
Herr Lovelace ein ſchlechtes Lob der Tugend
hat, ſo wuͤrde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf
die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieſes
deſto freymuͤthiger, weil Herr Lovelace ſich
noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin-

gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
er das wahre Original ihres Bildes i&#x017F;t: dem<lb/>
ohngeachtet i&#x017F;t es nicht einmahl ein &#x017F;ehr nach-<lb/>
theiliges Bild. Wenn mein Gemu&#x0364;th nicht<lb/>
durch andere Sorgen &#x017F;o &#x017F;ehr be&#x017F;cha&#x0364;ftiget und be-<lb/>
&#x017F;chwert wa&#x0364;re, &#x017F;o wollte ich mich unter&#x017F;tehen, ein<lb/>
liebenswu&#x0364;rdigeres Gema&#x0364;hlde zu u&#x0364;ber&#x017F;enden, das<lb/>
ihm vollkommen gleich &#x017F;ehen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>J&#x017F;t gleich Herr <hi rendition="#fr">Hickmann</hi> nicht &#x017F;o freymu&#x0364;-<lb/>
thig und uner&#x017F;chrocken, als einige andre Manns-<lb/>
Per&#x017F;onen, &#x017F;o be&#x017F;itzt er hingegen ein leut&#x017F;eeliges,<lb/>
freundliches und gu&#x0364;tiges Hertz, das andern feh-<lb/>
let. Die&#x017F;er eintzige Vorzug, neb&#x017F;t der unendli-<lb/>
chen Hochachtung, die er fu&#x0364;r Sie hat, macht,<lb/>
daß er &#x017F;ich fu&#x0364;r ein Frauenzimmer von Jhrer Leb-<lb/>
haftigkeit und Feuer &#x017F;o vollkommen &#x017F;chicket, als<lb/>
kein anderer Men&#x017F;ch auf der Welt, den ich bis-<lb/>
her habe kennen lernen.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;agen zwar: ich wu&#x0364;rde &#x017F;elb&#x017F;t nicht Lu&#x017F;t<lb/>
haben, ihn zu nehmen. Jch aber ver&#x017F;ichere Jh-<lb/>
nen, daß ich nie wegen des Herrn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> mit<lb/>
meinen Freunden zerfallen wa&#x0364;re, wenn &#x017F;ie mir<lb/>
nicht ha&#x0364;tten erlauben wollen, daß ich unverhey-<lb/>
rathet bleiben mo&#x0364;chte, und das a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche, das<lb/>
Gemu&#x0364;th und die Auffu&#x0364;hrung bey ihm &#x017F;o gut<lb/>
gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, als bey Herrn <hi rendition="#fr">Hickmann.</hi> Da<lb/>
Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> ein &#x017F;chlechtes Lob der Tugend<lb/>
hat, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf<lb/>
die Wage gelegt haben. Jch behaupte die&#x017F;es<lb/>
de&#x017F;to freymu&#x0364;thiger, weil Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> &#x017F;ich<lb/>
noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0088] Die Geſchichte er das wahre Original ihres Bildes iſt: dem ohngeachtet iſt es nicht einmahl ein ſehr nach- theiliges Bild. Wenn mein Gemuͤth nicht durch andere Sorgen ſo ſehr beſchaͤftiget und be- ſchwert waͤre, ſo wollte ich mich unterſtehen, ein liebenswuͤrdigeres Gemaͤhlde zu uͤberſenden, das ihm vollkommen gleich ſehen ſollte. Jſt gleich Herr Hickmann nicht ſo freymuͤ- thig und unerſchrocken, als einige andre Manns- Perſonen, ſo beſitzt er hingegen ein leutſeeliges, freundliches und guͤtiges Hertz, das andern feh- let. Dieſer eintzige Vorzug, nebſt der unendli- chen Hochachtung, die er fuͤr Sie hat, macht, daß er ſich fuͤr ein Frauenzimmer von Jhrer Leb- haftigkeit und Feuer ſo vollkommen ſchicket, als kein anderer Menſch auf der Welt, den ich bis- her habe kennen lernen. Sie ſagen zwar: ich wuͤrde ſelbſt nicht Luſt haben, ihn zu nehmen. Jch aber verſichere Jh- nen, daß ich nie wegen des Herrn Solmes mit meinen Freunden zerfallen waͤre, wenn ſie mir nicht haͤtten erlauben wollen, daß ich unverhey- rathet bleiben moͤchte, und das aͤuſſerliche, das Gemuͤth und die Auffuͤhrung bey ihm ſo gut geweſen waͤre, als bey Herrn Hickmann. Da Herr Lovelace ein ſchlechtes Lob der Tugend hat, ſo wuͤrde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieſes deſto freymuͤthiger, weil Herr Lovelace ſich noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin- gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/88
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/88>, abgerufen am 22.11.2024.