er das wahre Original ihres Bildes ist: dem ohngeachtet ist es nicht einmahl ein sehr nach- theiliges Bild. Wenn mein Gemüth nicht durch andere Sorgen so sehr beschäftiget und be- schwert wäre, so wollte ich mich unterstehen, ein liebenswürdigeres Gemählde zu übersenden, das ihm vollkommen gleich sehen sollte.
Jst gleich Herr Hickmann nicht so freymü- thig und unerschrocken, als einige andre Manns- Personen, so besitzt er hingegen ein leutseeliges, freundliches und gütiges Hertz, das andern feh- let. Dieser eintzige Vorzug, nebst der unendli- chen Hochachtung, die er für Sie hat, macht, daß er sich für ein Frauenzimmer von Jhrer Leb- haftigkeit und Feuer so vollkommen schicket, als kein anderer Mensch auf der Welt, den ich bis- her habe kennen lernen.
Sie sagen zwar: ich würde selbst nicht Lust haben, ihn zu nehmen. Jch aber versichere Jh- nen, daß ich nie wegen des Herrn Solmes mit meinen Freunden zerfallen wäre, wenn sie mir nicht hätten erlauben wollen, daß ich unverhey- rathet bleiben möchte, und das äusserliche, das Gemüth und die Aufführung bey ihm so gut gewesen wäre, als bey Herrn Hickmann. Da Herr Lovelace ein schlechtes Lob der Tugend hat, so würde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieses desto freymüthiger, weil Herr Lovelace sich noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin-
gen
Die Geſchichte
er das wahre Original ihres Bildes iſt: dem ohngeachtet iſt es nicht einmahl ein ſehr nach- theiliges Bild. Wenn mein Gemuͤth nicht durch andere Sorgen ſo ſehr beſchaͤftiget und be- ſchwert waͤre, ſo wollte ich mich unterſtehen, ein liebenswuͤrdigeres Gemaͤhlde zu uͤberſenden, das ihm vollkommen gleich ſehen ſollte.
Jſt gleich Herr Hickmann nicht ſo freymuͤ- thig und unerſchrocken, als einige andre Manns- Perſonen, ſo beſitzt er hingegen ein leutſeeliges, freundliches und guͤtiges Hertz, das andern feh- let. Dieſer eintzige Vorzug, nebſt der unendli- chen Hochachtung, die er fuͤr Sie hat, macht, daß er ſich fuͤr ein Frauenzimmer von Jhrer Leb- haftigkeit und Feuer ſo vollkommen ſchicket, als kein anderer Menſch auf der Welt, den ich bis- her habe kennen lernen.
Sie ſagen zwar: ich wuͤrde ſelbſt nicht Luſt haben, ihn zu nehmen. Jch aber verſichere Jh- nen, daß ich nie wegen des Herrn Solmes mit meinen Freunden zerfallen waͤre, wenn ſie mir nicht haͤtten erlauben wollen, daß ich unverhey- rathet bleiben moͤchte, und das aͤuſſerliche, das Gemuͤth und die Auffuͤhrung bey ihm ſo gut geweſen waͤre, als bey Herrn Hickmann. Da Herr Lovelace ein ſchlechtes Lob der Tugend hat, ſo wuͤrde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieſes deſto freymuͤthiger, weil Herr Lovelace ſich noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin-
gen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0088"n="82"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
er das wahre Original ihres Bildes iſt: dem<lb/>
ohngeachtet iſt es nicht einmahl ein ſehr nach-<lb/>
theiliges Bild. Wenn mein Gemuͤth nicht<lb/>
durch andere Sorgen ſo ſehr beſchaͤftiget und be-<lb/>ſchwert waͤre, ſo wollte ich mich unterſtehen, ein<lb/>
liebenswuͤrdigeres Gemaͤhlde zu uͤberſenden, das<lb/>
ihm vollkommen gleich ſehen ſollte.</p><lb/><p>Jſt gleich Herr <hirendition="#fr">Hickmann</hi> nicht ſo freymuͤ-<lb/>
thig und unerſchrocken, als einige andre Manns-<lb/>
Perſonen, ſo beſitzt er hingegen ein leutſeeliges,<lb/>
freundliches und guͤtiges Hertz, das andern feh-<lb/>
let. Dieſer eintzige Vorzug, nebſt der unendli-<lb/>
chen Hochachtung, die er fuͤr Sie hat, macht,<lb/>
daß er ſich fuͤr ein Frauenzimmer von Jhrer Leb-<lb/>
haftigkeit und Feuer ſo vollkommen ſchicket, als<lb/>
kein anderer Menſch auf der Welt, den ich bis-<lb/>
her habe kennen lernen.</p><lb/><p>Sie ſagen zwar: ich wuͤrde ſelbſt nicht Luſt<lb/>
haben, ihn zu nehmen. Jch aber verſichere Jh-<lb/>
nen, daß ich nie wegen des Herrn <hirendition="#fr">Solmes</hi> mit<lb/>
meinen Freunden zerfallen waͤre, wenn ſie mir<lb/>
nicht haͤtten erlauben wollen, daß ich unverhey-<lb/>
rathet bleiben moͤchte, und das aͤuſſerliche, das<lb/>
Gemuͤth und die Auffuͤhrung bey ihm ſo gut<lb/>
geweſen waͤre, als bey Herrn <hirendition="#fr">Hickmann.</hi> Da<lb/>
Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi> ein ſchlechtes Lob der Tugend<lb/>
hat, ſo wuͤrde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf<lb/>
die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieſes<lb/>
deſto freymuͤthiger, weil Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi>ſich<lb/>
noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[82/0088]
Die Geſchichte
er das wahre Original ihres Bildes iſt: dem
ohngeachtet iſt es nicht einmahl ein ſehr nach-
theiliges Bild. Wenn mein Gemuͤth nicht
durch andere Sorgen ſo ſehr beſchaͤftiget und be-
ſchwert waͤre, ſo wollte ich mich unterſtehen, ein
liebenswuͤrdigeres Gemaͤhlde zu uͤberſenden, das
ihm vollkommen gleich ſehen ſollte.
Jſt gleich Herr Hickmann nicht ſo freymuͤ-
thig und unerſchrocken, als einige andre Manns-
Perſonen, ſo beſitzt er hingegen ein leutſeeliges,
freundliches und guͤtiges Hertz, das andern feh-
let. Dieſer eintzige Vorzug, nebſt der unendli-
chen Hochachtung, die er fuͤr Sie hat, macht,
daß er ſich fuͤr ein Frauenzimmer von Jhrer Leb-
haftigkeit und Feuer ſo vollkommen ſchicket, als
kein anderer Menſch auf der Welt, den ich bis-
her habe kennen lernen.
Sie ſagen zwar: ich wuͤrde ſelbſt nicht Luſt
haben, ihn zu nehmen. Jch aber verſichere Jh-
nen, daß ich nie wegen des Herrn Solmes mit
meinen Freunden zerfallen waͤre, wenn ſie mir
nicht haͤtten erlauben wollen, daß ich unverhey-
rathet bleiben moͤchte, und das aͤuſſerliche, das
Gemuͤth und die Auffuͤhrung bey ihm ſo gut
geweſen waͤre, als bey Herrn Hickmann. Da
Herr Lovelace ein ſchlechtes Lob der Tugend
hat, ſo wuͤrde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf
die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieſes
deſto freymuͤthiger, weil Herr Lovelace ſich
noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin-
gen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/88>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.