daß ihr kommen wollt. Jch will es um eures Besten willen thun: Denn mein Bruder ist eben bey meinen Eltern. Sie machte die Thür wieder auf, und als sie sahe, daß ich zurücke ging, sagte sie: komme/ wenn ihr wollt. Warum kommt ihr nicht? Sie folgete mir mit solchen empfindlichen Re- den bis an mein Closet nach; ich aber ging mit schwerem Herzen in das Closet, und schloß die Thür hinter mir zu. Die Thränen konnte ich nicht länger halten.
Jch antwortete ihr kein Wort, da sie einmahl über das andere verlangte, daß ich aufmachen sollte. Denn der Schlüssel war inwendig an der Thür. Sie sahe durch das Glaßfenster, ich kehr- te ihr aber nicht einmahl das Gesicht zu. End- lich zog ich den Vorhang zu, damit sie mich nicht weinen sehen möchte. Dis schien sie recht innig zu verdriessen: sie ging endlich weg, und stieß unter dem Gehen noch allerhand abgebrochene Worte heraus.
Kan dergleichen Aufführung einen nicht zu Uebereilungen bringen, zu denen man sonst nie gekommen wäre?
Weil es nur alizu wahrscheinlich ist, daß ich nach meines Onckles Wohnung geschleppt wer- den möchte, eher ich Jhnen davon etwas zum voraus melden kan: so ersuche ich Sie, daß Sie auf die erste Nachricht davon so gleich an den bewusten Ort schicken, und diejenigen Jhrer Brieffe abhohlen lassen, die vielleicht noch nicht
in
E 5
der Clariſſa.
daß ihr kommen wollt. Jch will es um eures Beſten willen thun: Denn mein Bruder iſt eben bey meinen Eltern. Sie machte die Thuͤr wieder auf, und als ſie ſahe, daß ich zuruͤcke ging, ſagte ſie: komme/ wenn ihr wollt. Warum kommt ihr nicht? Sie folgete mir mit ſolchen empfindlichen Re- den bis an mein Cloſet nach; ich aber ging mit ſchwerem Herzen in das Cloſet, und ſchloß die Thuͤr hinter mir zu. Die Thraͤnen konnte ich nicht laͤnger halten.
Jch antwortete ihr kein Wort, da ſie einmahl uͤber das andere verlangte, daß ich aufmachen ſollte. Denn der Schluͤſſel war inwendig an der Thuͤr. Sie ſahe durch das Glaßfenſter, ich kehr- te ihr aber nicht einmahl das Geſicht zu. End- lich zog ich den Vorhang zu, damit ſie mich nicht weinen ſehen moͤchte. Dis ſchien ſie recht innig zu verdrieſſen: ſie ging endlich weg, und ſtieß unter dem Gehen noch allerhand abgebrochene Worte heraus.
Kan dergleichen Auffuͤhrung einen nicht zu Uebereilungen bringen, zu denen man ſonſt nie gekommen waͤre?
Weil es nur alizu wahrſcheinlich iſt, daß ich nach meines Onckles Wohnung geſchleppt wer- den moͤchte, eher ich Jhnen davon etwas zum voraus melden kan: ſo erſuche ich Sie, daß Sie auf die erſte Nachricht davon ſo gleich an den bewuſten Ort ſchicken, und diejenigen Jhrer Brieffe abhohlen laſſen, die vielleicht noch nicht
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E 5
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der Clariſſa.
daß ihr kommen wollt. Jch will es um
eures Beſten willen thun: Denn mein
Bruder iſt eben bey meinen Eltern. Sie
machte die Thuͤr wieder auf, und als ſie ſahe,
daß ich zuruͤcke ging, ſagte ſie: komme/ wenn
ihr wollt. Warum kommt ihr nicht?
Sie folgete mir mit ſolchen empfindlichen Re-
den bis an mein Cloſet nach; ich aber ging mit
ſchwerem Herzen in das Cloſet, und ſchloß die
Thuͤr hinter mir zu. Die Thraͤnen konnte ich
nicht laͤnger halten.
Jch antwortete ihr kein Wort, da ſie einmahl
uͤber das andere verlangte, daß ich aufmachen
ſollte. Denn der Schluͤſſel war inwendig an der
Thuͤr. Sie ſahe durch das Glaßfenſter, ich kehr-
te ihr aber nicht einmahl das Geſicht zu. End-
lich zog ich den Vorhang zu, damit ſie mich nicht
weinen ſehen moͤchte. Dis ſchien ſie recht innig
zu verdrieſſen: ſie ging endlich weg, und ſtieß
unter dem Gehen noch allerhand abgebrochene
Worte heraus.
Kan dergleichen Auffuͤhrung einen nicht zu
Uebereilungen bringen, zu denen man ſonſt nie
gekommen waͤre?
Weil es nur alizu wahrſcheinlich iſt, daß ich
nach meines Onckles Wohnung geſchleppt wer-
den moͤchte, eher ich Jhnen davon etwas zum
voraus melden kan: ſo erſuche ich Sie, daß
Sie auf die erſte Nachricht davon ſo gleich an
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/79>, abgerufen am 22.11.2024.
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