stritten wird, beyde deutlich auseinander setzen, und die Entscheidung muß nach der Güldigkeit oder Ungültigkeit dessen gegeben werden, was jeder Theil zu Vertheidigung seiner Meinung vorbringen wird. Denn ich muß mir die Frey- heit nehmen, Euch zu gestehen, daß ich Eur all- zu männliches Hertz besser kenne, als daß ich mich wagen sollte, meine Sache mündlich mit Euch auszumachen.
Wenn Jhr aber meinen Vorschlag nicht an- nehmet, so muß ich daraus schliessen, daß Jhr selbst Eure Aufführung gegen mich nicht recht- fertigen könt: und ich habe weiter keine Bitte an Euch, als daß Jhr künftig mir so begegnen wollt, wie es eine Schwester von einem Bru- der erwarten kan, der nicht allein gelehrt son- dern auch wohl gezogen ist.
Wenn ich endlich in diesem Schreiben eine Dreistigkeit gezeiget habe, über die man sich bey mir nicht verwundern darf, weil ich die Ehre habe mit Euch und mit meiner Schwester so nahe verwandt zu seyn; und die von meiner vo- rigen Gemüths-Art, durch welche ich mich bey jedermann beliebt gemacht habe, so sehr verschie- den ist: so überleget, wer und was für Um- stände mich dazu genöthiget haben. Bedenckt, daß ich meine vorige Aufführung und meine sanftere Gemüths-Fassung nicht ehe geändert ha- be, bis ich sahe, daß ich dadurch verächtlich würde, und mir allerhand Beleidigungen und Verachtung dadurch zuzöge, die ein Bruder der
selbst
Die Geſchichte
ſtritten wird, beyde deutlich auseinander ſetzen, und die Entſcheidung muß nach der Guͤldigkeit oder Unguͤltigkeit deſſen gegeben werden, was jeder Theil zu Vertheidigung ſeiner Meinung vorbringen wird. Denn ich muß mir die Frey- heit nehmen, Euch zu geſtehen, daß ich Eur all- zu maͤnnliches Hertz beſſer kenne, als daß ich mich wagen ſollte, meine Sache muͤndlich mit Euch auszumachen.
Wenn Jhr aber meinen Vorſchlag nicht an- nehmet, ſo muß ich daraus ſchlieſſen, daß Jhr ſelbſt Eure Auffuͤhrung gegen mich nicht recht- fertigen koͤnt: und ich habe weiter keine Bitte an Euch, als daß Jhr kuͤnftig mir ſo begegnen wollt, wie es eine Schweſter von einem Bru- der erwarten kan, der nicht allein gelehrt ſon- dern auch wohl gezogen iſt.
Wenn ich endlich in dieſem Schreiben eine Dreiſtigkeit gezeiget habe, uͤber die man ſich bey mir nicht verwundern darf, weil ich die Ehre habe mit Euch und mit meiner Schweſter ſo nahe verwandt zu ſeyn; und die von meiner vo- rigen Gemuͤths-Art, durch welche ich mich bey jedermann beliebt gemacht habe, ſo ſehr verſchie- den iſt: ſo uͤberleget, wer und was fuͤr Um- ſtaͤnde mich dazu genoͤthiget haben. Bedenckt, daß ich meine vorige Auffuͤhrung und meine ſanftere Gemuͤths-Faſſung nicht ehe geaͤndert ha- be, bis ich ſahe, daß ich dadurch veraͤchtlich wuͤrde, und mir allerhand Beleidigungen und Verachtung dadurch zuzoͤge, die ein Bruder der
ſelbſt
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[68/0074]
Die Geſchichte
ſtritten wird, beyde deutlich auseinander ſetzen,
und die Entſcheidung muß nach der Guͤldigkeit
oder Unguͤltigkeit deſſen gegeben werden, was
jeder Theil zu Vertheidigung ſeiner Meinung
vorbringen wird. Denn ich muß mir die Frey-
heit nehmen, Euch zu geſtehen, daß ich Eur all-
zu maͤnnliches Hertz beſſer kenne, als daß ich
mich wagen ſollte, meine Sache muͤndlich mit
Euch auszumachen.
Wenn Jhr aber meinen Vorſchlag nicht an-
nehmet, ſo muß ich daraus ſchlieſſen, daß Jhr
ſelbſt Eure Auffuͤhrung gegen mich nicht recht-
fertigen koͤnt: und ich habe weiter keine Bitte
an Euch, als daß Jhr kuͤnftig mir ſo begegnen
wollt, wie es eine Schweſter von einem Bru-
der erwarten kan, der nicht allein gelehrt ſon-
dern auch wohl gezogen iſt.
Wenn ich endlich in dieſem Schreiben eine
Dreiſtigkeit gezeiget habe, uͤber die man ſich bey
mir nicht verwundern darf, weil ich die Ehre
habe mit Euch und mit meiner Schweſter ſo
nahe verwandt zu ſeyn; und die von meiner vo-
rigen Gemuͤths-Art, durch welche ich mich bey
jedermann beliebt gemacht habe, ſo ſehr verſchie-
den iſt: ſo uͤberleget, wer und was fuͤr Um-
ſtaͤnde mich dazu genoͤthiget haben. Bedenckt,
daß ich meine vorige Auffuͤhrung und meine
ſanftere Gemuͤths-Faſſung nicht ehe geaͤndert ha-
be, bis ich ſahe, daß ich dadurch veraͤchtlich
wuͤrde, und mir allerhand Beleidigungen und
Verachtung dadurch zuzoͤge, die ein Bruder der
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/74>, abgerufen am 24.11.2024.
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