Rath zu geben, was zu thun sey, wenn ich einem Befehl, den sie insgesamt für billig hielten, keine Folge leisten wollte.
Jch habe von Elisabeth gehöret, daß mein Va- ter in der ersten Hitze sich entschlossen habe, sogleich selbst zu mir zu gehen, und mich aus dem Hause zu stossen. Er war auch von seinem Sinne nicht ab- zubringen, bis man ihm zu verstehen gab, daß ich vermuthlich ihn zu reitzen suchte, dieses zu thun, und daß er mir zu meinen verkehrten Absichten eben hiedurch beförderlich seyn würde. Endlich be- schloß man, daß mein Bruder, der allerdings die unrechten Mittel gebraucht hätte, (wie meine Mutter und Mutter Schwester behaupteten) von neuem an mich einen gelindern Brief schreiben soll- te: denn keinem andern wollte man erlauben, oder kein anderer hatte Lust an mich zu schreiben, weil ich im Antworten so fertig war. Da ich mich aber erkläret hatte, keine Briefe fernerhin ohne Befehl meiner Obern von ihm anzunehmen, so sollte mei- ne Mutter ihren Namen dazu hergeben. Sie hat auch dieses in folgenden Zeilen gethan, welche sie auf die äussere Seite des Briefes geschrieben. Jch lege den Brief und die Antwort mit bey.
Clarissa Harlowe.
Erbrich diesen Brief, und lese ihn mit derjenigen Gemüths-Fassung, welche deinem Geschlecht, deinem Gemüth, deiner Erziehung und deiner Pflicht gemäß ist. Sende die Antwort an dei- nen Bruder.
Charlotte Harlowe.
Die Geſchichte
Rath zu geben, was zu thun ſey, wenn ich einem Befehl, den ſie insgeſamt fuͤr billig hielten, keine Folge leiſten wollte.
Jch habe von Eliſabeth gehoͤret, daß mein Va- ter in der erſten Hitze ſich entſchloſſen habe, ſogleich ſelbſt zu mir zu gehen, und mich aus dem Hauſe zu ſtoſſen. Er war auch von ſeinem Sinne nicht ab- zubringen, bis man ihm zu verſtehen gab, daß ich vermuthlich ihn zu reitzen ſuchte, dieſes zu thun, und daß er mir zu meinen verkehrten Abſichten eben hiedurch befoͤrderlich ſeyn wuͤrde. Endlich be- ſchloß man, daß mein Bruder, der allerdings die unrechten Mittel gebraucht haͤtte, (wie meine Mutter und Mutter Schweſter behaupteten) von neuem an mich einen gelindern Brief ſchreiben ſoll- te: denn keinem andern wollte man erlauben, oder kein anderer hatte Luſt an mich zu ſchreiben, weil ich im Antworten ſo fertig war. Da ich mich aber erklaͤret hatte, keine Briefe fernerhin ohne Befehl meiner Obern von ihm anzunehmen, ſo ſollte mei- ne Mutter ihren Namen dazu hergeben. Sie hat auch dieſes in folgenden Zeilen gethan, welche ſie auf die aͤuſſere Seite des Briefes geſchrieben. Jch lege den Brief und die Antwort mit bey.
Clariſſa Harlowe.
Erbrich dieſen Brief, und leſe ihn mit derjenigen Gemuͤths-Faſſung, welche deinem Geſchlecht, deinem Gemuͤth, deiner Erziehung und deiner Pflicht gemaͤß iſt. Sende die Antwort an dei- nen Bruder.
Charlotte Harlowe.
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[44/0050]
Die Geſchichte
Rath zu geben, was zu thun ſey, wenn ich einem
Befehl, den ſie insgeſamt fuͤr billig hielten, keine
Folge leiſten wollte.
Jch habe von Eliſabeth gehoͤret, daß mein Va-
ter in der erſten Hitze ſich entſchloſſen habe, ſogleich
ſelbſt zu mir zu gehen, und mich aus dem Hauſe zu
ſtoſſen. Er war auch von ſeinem Sinne nicht ab-
zubringen, bis man ihm zu verſtehen gab, daß
ich vermuthlich ihn zu reitzen ſuchte, dieſes zu thun,
und daß er mir zu meinen verkehrten Abſichten eben
hiedurch befoͤrderlich ſeyn wuͤrde. Endlich be-
ſchloß man, daß mein Bruder, der allerdings die
unrechten Mittel gebraucht haͤtte, (wie meine
Mutter und Mutter Schweſter behaupteten) von
neuem an mich einen gelindern Brief ſchreiben ſoll-
te: denn keinem andern wollte man erlauben, oder
kein anderer hatte Luſt an mich zu ſchreiben, weil
ich im Antworten ſo fertig war. Da ich mich aber
erklaͤret hatte, keine Briefe fernerhin ohne Befehl
meiner Obern von ihm anzunehmen, ſo ſollte mei-
ne Mutter ihren Namen dazu hergeben. Sie hat
auch dieſes in folgenden Zeilen gethan, welche ſie
auf die aͤuſſere Seite des Briefes geſchrieben. Jch
lege den Brief und die Antwort mit bey.
Clariſſa Harlowe.
Erbrich dieſen Brief, und leſe ihn mit derjenigen
Gemuͤths-Faſſung, welche deinem Geſchlecht,
deinem Gemuͤth, deiner Erziehung und deiner
Pflicht gemaͤß iſt. Sende die Antwort an dei-
nen Bruder.
Charlotte Harlowe.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/50>, abgerufen am 23.11.2024.
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