Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
daß sie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang
ist nahe vor der Thür. Sie befehlen mir, auf
bessere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will
hoffen.



Jch kan mich doch nicht zurückhalten, daß ich
nicht zuweilen ungeduldig seyn solte, nachdem ich
so weit getrieben und bey andern so sehr her-
unter gesetzt bin, daß, wenn auch meine gantze
künftige Lebenszeit glücklich seyn solte, ich mich der
Welt doch nicht würde zeigen noch mein Gesicht
frölich empor heben können. Alles, alles dieses
ist das Anstiften eines eigennützigen Bruders,
und einer neidischen Schwester.

Allein ich muß inne halten, und auf das noch
dencken, was ich schreibe. Giebt mir das nicht
der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor-
hin bereuet habe? Bin ich schon wieder so un-
geduldig, da ich den vorigen Augenblick so ge-
lassen war, und alles mit so kaltem Blute über-
legen konnte? Es ist schwer, ach allzuschwer,
den Zorn zu überwinden: insonderheit alsdenn,
wenn man im Leiden ist. O mein grausamer
Bruder! Allein nun wacht der Zorn schon wie-
der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen,
die ich doch nicht richtig führen kan: und will
meine Ungeduld zu überwinden suchen, die mich
zu noch strafbareren Vergehungen verleiten kan,
wenn mir diese Züchtigung zur Besserung zuge-
sandt ist.

Jch

Die Geſchichte
daß ſie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang
iſt nahe vor der Thuͤr. Sie befehlen mir, auf
beſſere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will
hoffen.



Jch kan mich doch nicht zuruͤckhalten, daß ich
nicht zuweilen ungeduldig ſeyn ſolte, nachdem ich
ſo weit getrieben und bey andern ſo ſehr her-
unter geſetzt bin, daß, wenn auch meine gantze
kuͤnftige Lebenszeit gluͤcklich ſeyn ſolte, ich mich der
Welt doch nicht wuͤrde zeigen noch mein Geſicht
froͤlich empor heben koͤnnen. Alles, alles dieſes
iſt das Anſtiften eines eigennuͤtzigen Bruders,
und einer neidiſchen Schweſter.

Allein ich muß inne halten, und auf das noch
dencken, was ich ſchreibe. Giebt mir das nicht
der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor-
hin bereuet habe? Bin ich ſchon wieder ſo un-
geduldig, da ich den vorigen Augenblick ſo ge-
laſſen war, und alles mit ſo kaltem Blute uͤber-
legen konnte? Es iſt ſchwer, ach allzuſchwer,
den Zorn zu uͤberwinden: inſonderheit alsdenn,
wenn man im Leiden iſt. O mein grauſamer
Bruder! Allein nun wacht der Zorn ſchon wie-
der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen,
die ich doch nicht richtig fuͤhren kan: und will
meine Ungeduld zu uͤberwinden ſuchen, die mich
zu noch ſtrafbareren Vergehungen verleiten kan,
wenn mir dieſe Zuͤchtigung zur Beſſerung zuge-
ſandt iſt.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0410" n="404"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
daß &#x017F;ie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang<lb/>
i&#x017F;t nahe vor der Thu&#x0364;r. Sie befehlen mir, auf<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will<lb/>
hoffen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jch kan mich doch nicht zuru&#x0364;ckhalten, daß ich<lb/>
nicht zuweilen ungeduldig &#x017F;eyn &#x017F;olte, nachdem ich<lb/>
&#x017F;o weit getrieben und bey andern &#x017F;o &#x017F;ehr her-<lb/>
unter ge&#x017F;etzt bin, daß, wenn auch meine gantze<lb/>
ku&#x0364;nftige Lebenszeit glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn &#x017F;olte, ich mich der<lb/>
Welt doch nicht wu&#x0364;rde zeigen noch mein Ge&#x017F;icht<lb/>
fro&#x0364;lich empor heben ko&#x0364;nnen. Alles, alles die&#x017F;es<lb/>
i&#x017F;t das An&#x017F;tiften eines eigennu&#x0364;tzigen Bruders,<lb/>
und einer neidi&#x017F;chen Schwe&#x017F;ter.</p><lb/>
          <p>Allein ich muß inne halten, und auf das noch<lb/>
dencken, was ich &#x017F;chreibe. Giebt mir das nicht<lb/>
der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor-<lb/>
hin bereuet habe? Bin ich &#x017F;chon wieder &#x017F;o un-<lb/>
geduldig, da ich den vorigen Augenblick &#x017F;o ge-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en war, und alles mit &#x017F;o kaltem Blute u&#x0364;ber-<lb/>
legen konnte? Es i&#x017F;t &#x017F;chwer, ach allzu&#x017F;chwer,<lb/>
den Zorn zu u&#x0364;berwinden: in&#x017F;onderheit alsdenn,<lb/>
wenn man im Leiden i&#x017F;t. O mein grau&#x017F;amer<lb/>
Bruder! Allein nun wacht der Zorn &#x017F;chon wie-<lb/>
der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen,<lb/>
die ich doch nicht richtig fu&#x0364;hren kan: und will<lb/>
meine Ungeduld zu u&#x0364;berwinden &#x017F;uchen, die mich<lb/>
zu noch &#x017F;trafbareren Vergehungen verleiten kan,<lb/>
wenn mir die&#x017F;e Zu&#x0364;chtigung zur Be&#x017F;&#x017F;erung zuge-<lb/>
&#x017F;andt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0410] Die Geſchichte daß ſie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang iſt nahe vor der Thuͤr. Sie befehlen mir, auf beſſere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will hoffen. Jch kan mich doch nicht zuruͤckhalten, daß ich nicht zuweilen ungeduldig ſeyn ſolte, nachdem ich ſo weit getrieben und bey andern ſo ſehr her- unter geſetzt bin, daß, wenn auch meine gantze kuͤnftige Lebenszeit gluͤcklich ſeyn ſolte, ich mich der Welt doch nicht wuͤrde zeigen noch mein Geſicht froͤlich empor heben koͤnnen. Alles, alles dieſes iſt das Anſtiften eines eigennuͤtzigen Bruders, und einer neidiſchen Schweſter. Allein ich muß inne halten, und auf das noch dencken, was ich ſchreibe. Giebt mir das nicht der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor- hin bereuet habe? Bin ich ſchon wieder ſo un- geduldig, da ich den vorigen Augenblick ſo ge- laſſen war, und alles mit ſo kaltem Blute uͤber- legen konnte? Es iſt ſchwer, ach allzuſchwer, den Zorn zu uͤberwinden: inſonderheit alsdenn, wenn man im Leiden iſt. O mein grauſamer Bruder! Allein nun wacht der Zorn ſchon wie- der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen, die ich doch nicht richtig fuͤhren kan: und will meine Ungeduld zu uͤberwinden ſuchen, die mich zu noch ſtrafbareren Vergehungen verleiten kan, wenn mir dieſe Zuͤchtigung zur Beſſerung zuge- ſandt iſt. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/410
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/410>, abgerufen am 22.11.2024.