Die Meinigen haben mir das mit Recht zu ver- stehen gegeben: und ich bin desto sorgfältiger, dem Endzweck gemäß zu handeln, mit welchem mir ein so ansehnliches Vermächtniß zugefallen ist. Ach wenn doch die Meinigen nur mein Hertz kennen möchten, und noch eine eben so gu- te Meinung als ehemahls davon hätten! denn wenn ich mich nicht selbst betriege, so ist mein Hertz noch eben dasselbe, obgleich ihr Hertz ge- ändert ist.
Wenn Jhnen Jhre Frau Mutter nur ver- gönnen wollte, Jhren Wagen oder Chaise an den Ab-Ort zu schicken, wo Herr Lovelace mich mit seines Vetters Wagen abzuhohlen verspricht: so werde ich mich nicht einen Augenblick beden- cken: so sehr bin ich theils aufgebracht, theils furchtsam und besorgt. Räumen Sie mir ein Plätzchen ein, was für eins Sie wollen: irgends eine Hütte, oder eine Kammer unter dem Dache. Geben Sie mich für eine Magd, oder für die Schwester einer Magd aus. Jch bin zum we- nigsten nicht gantz unglücklich, wenn ich Herrn Solmes entgehen kan, und doch nicht bey den Anverwanten des Feindes unserer Familie Zu- flucht suchen darf. Wohin aber kan ich fliehen, wenn mir Jhre Frau Mutter diese Bitte ab- schlägt? Liebstes Hertz, geben Sie Jhrer be- drängten Freundin einen Rath.
Jch
der Clariſſa.
Die Meinigen haben mir das mit Recht zu ver- ſtehen gegeben: und ich bin deſto ſorgfaͤltiger, dem Endzweck gemaͤß zu handeln, mit welchem mir ein ſo anſehnliches Vermaͤchtniß zugefallen iſt. Ach wenn doch die Meinigen nur mein Hertz kennen moͤchten, und noch eine eben ſo gu- te Meinung als ehemahls davon haͤtten! denn wenn ich mich nicht ſelbſt betriege, ſo iſt mein Hertz noch eben daſſelbe, obgleich ihr Hertz ge- aͤndert iſt.
Wenn Jhnen Jhre Frau Mutter nur ver- goͤnnen wollte, Jhren Wagen oder Chaiſe an den Ab-Ort zu ſchicken, wo Herr Lovelace mich mit ſeines Vetters Wagen abzuhohlen verſpricht: ſo werde ich mich nicht einen Augenblick beden- cken: ſo ſehr bin ich theils aufgebracht, theils furchtſam und beſorgt. Raͤumen Sie mir ein Plaͤtzchen ein, was fuͤr eins Sie wollen: irgends eine Huͤtte, oder eine Kammer unter dem Dache. Geben Sie mich fuͤr eine Magd, oder fuͤr die Schweſter einer Magd aus. Jch bin zum we- nigſten nicht gantz ungluͤcklich, wenn ich Herrn Solmes entgehen kan, und doch nicht bey den Anverwanten des Feindes unſerer Familie Zu- flucht ſuchen darf. Wohin aber kan ich fliehen, wenn mir Jhre Frau Mutter dieſe Bitte ab- ſchlaͤgt? Liebſtes Hertz, geben Sie Jhrer be- draͤngten Freundin einen Rath.
Jch
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der Clariſſa.
Die Meinigen haben mir das mit Recht zu ver-
ſtehen gegeben: und ich bin deſto ſorgfaͤltiger,
dem Endzweck gemaͤß zu handeln, mit welchem
mir ein ſo anſehnliches Vermaͤchtniß zugefallen
iſt. Ach wenn doch die Meinigen nur mein
Hertz kennen moͤchten, und noch eine eben ſo gu-
te Meinung als ehemahls davon haͤtten! denn
wenn ich mich nicht ſelbſt betriege, ſo iſt mein
Hertz noch eben daſſelbe, obgleich ihr Hertz ge-
aͤndert iſt.
Wenn Jhnen Jhre Frau Mutter nur ver-
goͤnnen wollte, Jhren Wagen oder Chaiſe an
den Ab-Ort zu ſchicken, wo Herr Lovelace mich
mit ſeines Vetters Wagen abzuhohlen verſpricht:
ſo werde ich mich nicht einen Augenblick beden-
cken: ſo ſehr bin ich theils aufgebracht, theils
furchtſam und beſorgt. Raͤumen Sie mir ein
Plaͤtzchen ein, was fuͤr eins Sie wollen: irgends
eine Huͤtte, oder eine Kammer unter dem Dache.
Geben Sie mich fuͤr eine Magd, oder fuͤr die
Schweſter einer Magd aus. Jch bin zum we-
nigſten nicht gantz ungluͤcklich, wenn ich Herrn
Solmes entgehen kan, und doch nicht bey den
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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