mir Proben davon zu geben, über die ich mich verwundern würde.
Jch erwiderte: wenn es auch gewiß wäre, daß Herr Lovelace sich solche Freyheiten herausge- nommen hätte, so sey es doch billig, da er von unserer Familie so sehr gehasset und in allen Ge- selschafften herunter gesetzt würde, daß man un- tersuchte, was die Veranlassung zu diesen Re- den gewesen sey: und ob nicht vielleicht einige meiner Verwanten ihn dadurch zu verächtlichen Ausdrücken gereitzt hätten, daß sie die Reichthü- mer, die sie besitzen, allzu hoch schätzen, und alle andern Vorzüge verachten, ja wohl so gar um seine Familie herunter zu setzen auch den Adel ihrer eigenen Familie als eine geringe Sache vor- stelleten und lächerlich zu machen suchten. Mit einem Wort: können sie sagen, Frau Base, daß auf unserer Seite weniger Groll ist, als auf sei- ner? kan er von uns geringschätziger reden, als wir von ihm? Und was das anlanget, daß man so oft wiederhohlet, er werde ein schlimmer Ehe- mann seyn, so möchte ich doch wissen, ob er sei- ner Frauen noch schlimmer begegnen kan, als mir begegnet wird, insonderheit von meinem Bruder und von meiner Schwester.
Ach! Fräulein Base! Ach mein Hertz, wie sehr hat sie der gottlose Mann gefesselt!
Vielleicht hat er das noch nicht gethan. Al- lein Eltern, die gern wollen, daß ihre Töchter eben so dencken sollen als sie, haben Ursache sich sorgfältig aller solcher Reden zu enthalten, die
ein
Die Geſchichte
mir Proben davon zu geben, uͤber die ich mich verwundern wuͤrde.
Jch erwiderte: wenn es auch gewiß waͤre, daß Herr Lovelace ſich ſolche Freyheiten herausge- nommen haͤtte, ſo ſey es doch billig, da er von unſerer Familie ſo ſehr gehaſſet und in allen Ge- ſelſchafften herunter geſetzt wuͤrde, daß man un- terſuchte, was die Veranlaſſung zu dieſen Re- den geweſen ſey: und ob nicht vielleicht einige meiner Verwanten ihn dadurch zu veraͤchtlichen Ausdruͤcken gereitzt haͤtten, daß ſie die Reichthuͤ- mer, die ſie beſitzen, allzu hoch ſchaͤtzen, und alle andern Vorzuͤge verachten, ja wohl ſo gar um ſeine Familie herunter zu ſetzen auch den Adel ihrer eigenen Familie als eine geringe Sache vor- ſtelleten und laͤcherlich zu machen ſuchten. Mit einem Wort: koͤnnen ſie ſagen, Frau Baſe, daß auf unſerer Seite weniger Groll iſt, als auf ſei- ner? kan er von uns geringſchaͤtziger reden, als wir von ihm? Und was das anlanget, daß man ſo oft wiederhohlet, er werde ein ſchlimmer Ehe- mann ſeyn, ſo moͤchte ich doch wiſſen, ob er ſei- ner Frauen noch ſchlimmer begegnen kan, als mir begegnet wird, inſonderheit von meinem Bruder und von meiner Schweſter.
Ach! Fraͤulein Baſe! Ach mein Hertz, wie ſehr hat ſie der gottloſe Mann gefeſſelt!
Vielleicht hat er das noch nicht gethan. Al- lein Eltern, die gern wollen, daß ihre Toͤchter eben ſo dencken ſollen als ſie, haben Urſache ſich ſorgfaͤltig aller ſolcher Reden zu enthalten, die
ein
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Die Geſchichte
mir Proben davon zu geben, uͤber die ich mich
verwundern wuͤrde.
Jch erwiderte: wenn es auch gewiß waͤre, daß
Herr Lovelace ſich ſolche Freyheiten herausge-
nommen haͤtte, ſo ſey es doch billig, da er von
unſerer Familie ſo ſehr gehaſſet und in allen Ge-
ſelſchafften herunter geſetzt wuͤrde, daß man un-
terſuchte, was die Veranlaſſung zu dieſen Re-
den geweſen ſey: und ob nicht vielleicht einige
meiner Verwanten ihn dadurch zu veraͤchtlichen
Ausdruͤcken gereitzt haͤtten, daß ſie die Reichthuͤ-
mer, die ſie beſitzen, allzu hoch ſchaͤtzen, und alle
andern Vorzuͤge verachten, ja wohl ſo gar um
ſeine Familie herunter zu ſetzen auch den Adel
ihrer eigenen Familie als eine geringe Sache vor-
ſtelleten und laͤcherlich zu machen ſuchten. Mit
einem Wort: koͤnnen ſie ſagen, Frau Baſe, daß
auf unſerer Seite weniger Groll iſt, als auf ſei-
ner? kan er von uns geringſchaͤtziger reden, als
wir von ihm? Und was das anlanget, daß man
ſo oft wiederhohlet, er werde ein ſchlimmer Ehe-
mann ſeyn, ſo moͤchte ich doch wiſſen, ob er ſei-
ner Frauen noch ſchlimmer begegnen kan, als mir
begegnet wird, inſonderheit von meinem Bruder
und von meiner Schweſter.
Ach! Fraͤulein Baſe! Ach mein Hertz, wie
ſehr hat ſie der gottloſe Mann gefeſſelt!
Vielleicht hat er das noch nicht gethan. Al-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/372>, abgerufen am 22.11.2024.
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